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Zum journalistischen Leitbild von t-online."Ich fühle mich nicht sicher" Davor fürchtet sich Bayerns "Monster"
Mit seinem Tordebüt gegen Stuttgart setzte Min-jae Kim ein Ausrufezeichen hinter eine starke Hinrunde. Er verrät, warum er seinen Status als Stammspieler bei Bayern trotzdem in Gefahr sieht.
Wenn Min-jae Kim das Bedürfnis hatte, seinem Trainer sich und seine Qualitäten im abschließenden Heimspiel des Jahres noch einmal eindrücklich in Erinnerung zu rufen, dann ist ihm das gelungen. Beim 3:0 des FC Bayern gegen den VfB Stuttgart, bei dem er per Kopf zum Endstand getroffen hatte, durchlebte der eigentlich so besonnene Südkoreaner trotzdem eine Achterbahnfahrt der Gefühle. Als er anschließend in den Katakomben der Allianz Arena stand, wirkte er noch immer emotional aufgewühlt.
"Ich habe schon lange darauf gewartet, mein erstes Tor für Bayern zu schießen", sagte Kim dort im Gespräch mit t-online. Damit hatte er in seiner Wahrnehmung aber nicht weniger als nur seine Pflicht erfüllt. "Das ist auch mein Job als Verteidiger. Wenn ein Abwehrspieler Tore erzielt, wird es nämlich viel einfacher für die ganze Mannschaft", erklärte er. "Eigentlich wollte ich schon viel früher treffen. Ich freue mich, dass es jetzt endlich mal geklappt hat."
Gleich mehrere Anläufe hatte er dafür gegen Stuttgart genommen und nicht aufgegeben, bis er endlich seinen Treffer hatte. Zum ersten Mal jubelte er bereits in der 25. Spielminute ausgelassen über sein vermeintliches Tor zum 2:0, das er nach einem Freistoß von Aleksandar Pavlović per Kopf erzielt hatte.
VAR-Wahnsinn lässt Kim verzweifeln
"Ich war sehr aufgeregt und dann sehr traurig", erzählte Kim. Weil der Schiedsrichter auf Abseits entschied und der Video-Assistent die Situation aufgrund eines Kameraausfalls nicht auflösen konnte, wie der DFB t-online mitteilte, zählte sein Tor nämlich nicht.
11. Spieltag
Kurz danach sah man Kim sogar noch ausgelassener jubeln – allerdings im eigenen Strafraum. Nachdem er dort seinem Gegenspieler Josha Vagnoman den Ball erfolgreich weggegrätscht hatte, baute sich der 1,90-Meter-Mann vor der Südkurve auf und riss beide Arme energisch nach oben.
Den nächsten Pavlović-Freistoß köpfte Kim zu Harry Kane rüber, der die Vorlage zum 2:0 nutzte (55.). Beim folgenden Eckball des Jungstars war Kim dann zum dritten Mal der Abnehmer und traf per Kopf zum 3:0 (63.) und seinem langersehnten Glück. Dieses Mal zögerte er allerdings mit seinem Jubel. Warum? "Ich hatte ein bisschen Angst, dass es vielleicht als Eigentor gewertet wird." Denn sein Stuttgarter Gegenspieler Anthony Rouault hatte den Ball noch unhaltbar ins Tor abgefälscht. Diesmal zählte der Treffer aber – endlich.
Kim nimmt Frankfurt-Debakel persönlich
Der 27-Jährige lieferte auch ansonsten mal wieder eine starke Leistung ab und verdiente sich damit die t-online-Note 1. Er gewann viele entscheidende Zweikämpfe und ihm gelang es gemeinsam mit Dayot Upamecano, das gefährliche Stuttgarter Sturmduo Serhou Guirassy und Deniz Undav komplett auszuschalten.
"Min-jae war schon im Old Trafford sehr gut zusammen mit Upa. Beide waren heute sehr stark, mit der Körperlichkeit und ihrem Konzentrationslevel", lobte Bayerns Chefcoach Thomas Tuchel, "Min-jae war überragend." Die Wiedergutmachung nach dem blamablen 1:5 in Frankfurt am vorangegangenen Spieltag, bei dem sich auch Kim und Upamecano ebenso unerklärbare und folgenreiche Aussetzer geleistet hatten, ist damit erfolgreich gelungen.
Dieses Debakel hat das Innenverteidigerduo der Bayern offenbar persönlich genommen und die aufkommenden Zweifel damit wieder beseitigt. In den folgenden beiden Spielen in Manchester und gegen den VfB ließen sie jedenfalls insgesamt nur noch drei Torschüsse zu – und keine einzige Großchance.
Kim ist Bayerns heimlicher Spielmacher
Mit solchen Leistungen hat Kim, der im Sommer für 50 Millionen Euro von der SSC Neapel kam, sich beim FC Bayern mittlerweile ohnehin längst unverzichtbar gemacht. Gemeinsam mit Upamecano ist er eigentlich schon nicht mehr aus der Mannschaft wegzudenken – erst recht nicht in der weiter angespannten Personalsituation speziell in der Abwehr.
Mit 110 Ballkontakten im Schnitt und einer Passquote von 93 Prozent ist er so etwas wie Bayerns heimlicher Spielmacher geworden, spielt europaweit mit die meisten Offensivpässe. Wenn Kim nicht – wie in Münster und Kopenhagen – angeschlagen fehlte, stand er in 21 der 23 Pflichtspiele in der Startelf und fast immer auch über die kompletten 90 Minuten auf dem Feld. Der Neuzugang spielte viel unter Tuchel, nicht zuletzt aufgrund von mehreren Verletzungen von Matthijs de Ligt, vielleicht sogar zu viel.
"Er ist einfach bisschen müde, er ist am Limit. Da passieren Unkonzentriertheiten, das ist menschlich", räumte Bayerns Sportdirektor Christoph Freund zuletzt bei Sky ein. Kims Motto lautet aber: Lieber zu viel spielen als zu wenig. "Es ist besser müde zu sein, als nur wenige Minuten zu spielen", sagte er. Es gehöre schließlich "auch zu den Leistungen eines Spielers dazu, wie man mit Müdigkeit umgeht".
Kim: "Ich fühle mich noch nicht sicher als Stammspieler"
Kim wird seinem Ruf und Spitznamen als "Monster" in der Abwehr, den er schon in der italienischen Serie A mit Leben füllte, auch in München immer mehr gerecht. Allerdings erlaubte er sich – wie in Frankfurt – auch immer wieder mal vereinzelte Unkonzentriertheiten.
"Mit meinem ersten halben Jahr in der Bundesliga bin ich deshalb nicht vollkommen zufrieden", sagte Kim und überraschte mit seiner kritischen Selbsteinschätzung. "Ich fühle mich immer noch nicht sicher, dass ich ein Stammspieler bin", so Kim weiter, der eigentlich Tuchels volles Vertrauen genießt. Kim verwies darauf, dass mit de Ligt sein Hauptkonkurrent große Teile der Hinrunde verletzt verpasst habe.
"Deshalb bin ich noch unsicher. Wenn wir drei richtig konkurrieren, weiß man nicht, wie es wird." Bevor de Ligt sich Anfang November das Innenband im Knie riss, hatte sich auch der Niederländer auf einen harten, teaminternen Konkurrenzkampf eingestellt. "Wir sind alle drei Monster", sagte de Ligt im September bei "Voetbal International". Kim sei der beste Verteidiger der Serie A gewesen, Upamecano spiele für die französische Nationalelf, er selbst habe in der vergangenen Saison fast alle Partien absolviert, fasste er zusammen: "Es herrscht ein großer Wettbewerb und das ist großartig."
Kim outet sich als Upamecano-Fan
Kim verriet: Weil auch sein Nationalmannschaftskollege Hee-Chan Hwang in der Saison 2020/21 noch unter Julian Nagelsmann in Leipzig spielte, habe er Upamecano schon damals "sehr oft und sehr gerne" zugesehen – und sich durchaus auch gewisse Dinge von ihm abgeschaut. Warum? "Upamecano ist wirklich ein Topspieler, für mich einer der besten der Welt." Dementsprechend sei er "sehr glücklich", den Franzosen nun bei Bayern als seinen Partner in der Innenverteidigung an seiner Seite zu haben.
Im Spiel gegen Stuttgart saß der wieder genesene de Ligt zumindest als Notlösung wieder auf der Bank. Spätestens im neuen Jahr will der 24-Jährige voll bei Bayern angreifen.
Davor fürchtet sich Bayerns Monster jetzt
Und Kim fürchtet in dem bevorstehenden Kampf der "Abwehr-Monster" nun einen großen Nachteil. Ab 12. Januar wird er daran nämlich gar nicht erst teilnehmen können und stattdessen mit Südkorea bei der Asien-Meisterschaft um den Titel spielen, der am im Finale am 10. Februar vergeben wird.
"Während des Turniers werde ich meinen Platz bei Bayern frei machen müssen", sagte Kim, "und wenn Upa und Matthijs in dieser Zeit gut spielen, werden die beiden wahrscheinlich auch danach erst mal das Abwehrduo sein."
Das sei nun mal bei allen Mannschaften normal. "Wenn ein anderer Spieler in meiner Abwesenheit gut spielt, erhält er weiterhin das Vertrauen. Das ist die unvermeidliche Realität", so Kim: "Also muss ich nach meiner Rückkehr weiterhin um meinen Platz kämpfen und gute Leistungen zeigen."
Kim: "Neuer ist unglaublich viel besser als erwartet"
Möglicherweise wird sich Kim dann sogar in einem Vier- statt nur einem Dreikampf behaupten müssen. Ein neuer Innenverteidiger hat bei Bayerns Suche nach Verstärkungen im Winter auch aufgrund Kims bevorstehender Abwesenheit nun nämlich Priorität.
"Die Spieler spielen diese Turniere gerne für ihr Land", sagte Tuchel am Dienstag bei seiner Pressekonferenz auf t-online-Nachfrage. "Das ist sehr unglücklich, dass alle Vereinsmannschaften die Spieler in der Saison abstellen müssen. Die Situation ist sehr komisch, aber schon immer so – deshalb werden wir damit umgehen und Lösungen dafür finden."
Aufgrund von Verletzungen hatte Tuchel in der Hinrunde bisweilen sogar ohne einen einzigen gelernten Abwehrspieler mit Leon Goretzka als Notlösung in der Defensive improvisieren müssen. Das soll sich nicht wiederholen und nun unbedingt Verstärkung her.
Kim: "Neuer ist unglaublich viel besser als erwartet"
Auf der Torhüterposition hat der Chefcoach die mit der Rückkehr von Manuel Neuer nach dessen Schien- und Wadenbeinbruch und knapp einem Jahr Zwangspause bereits bekommen. Von dem Zusammenspiel mit dem Weltmeister und Welttorhüter ist Kim beeindruckt. Nicht nur mit seiner Ausstrahlung verleiht Neuer der gesamten Bayern-Abwehr nämlich Sicherheit.
"Er pusht uns permanent von hinten und gibt uns klare Kommandos", erzählte Kim, "und ich höre ihm gut zu." Sowohl für ihn persönlich sowie für das gesamte Team sei es "schon sehr gut, dass er wieder auf dem Platz steht", so Kim. "Neuer ist ein Spieler, den ich seit meiner Kindheit verfolge und er ist unglaublich viel besser als erwartet." Kim ist im Aufbau häufig Neuers erste Anspielstation. Der Südkoreaner ist gewillt, darum zu kämpfen, dass das auch nach der Asien-Meisterschaft wieder so sein wird.
- Eigene Beobachtungen als Reporter vor Ort
- Persönliches Gespräch mit Min-jae Kim
- Aussagen von Matthijs de Ligt bei "Voetbal international" im September
- sofascore.com: Daten von Min-jae Kim