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Tuchel und die Bayern-Bosse: Wie soll das nur funktionieren?


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Explosive Mischung
Tuchel und die Bayern-Bosse: Wie soll das nur funktionieren?


Aktualisiert am 27.03.2023Lesedauer: 6 Min.
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Thomas Tuchel: "Ich fühl mich extrem wohl mit der Laufzeit". (Quelle: reuters)

Auf den ersten Blick scheint Thomas Tuchels Engagement beim FC Bayern quasi unausweichlich zu sein. Doch sein Umgang mit Autoritäten birgt massives Konfliktpotenzial.

"Es war für mich eine Art Zeremonie, um Sachen abzuschließen. Aber auch, um Dinge neu zu starten" – die Sätze des mittelalten Mannes wirken etwas esoterisch. Er ist braun gebrannt, trägt Shorts. Um seine knochigen Schultern hängt ein etwas zu großes Hemd. Im Hintergrund wippen Palmenblätter hin und her.

Es ist Thomas Tuchel. Hinter ihm liegen im Dezember 2022 kräftezehrende Monate. Deshalb sucht er Inspiration bei einer Ayurveda-Kur im exklusiven Sitaram Beach Retreat in Indien. Auf dem Programm stehen unter anderem Entgiftung, Meditation, leichtes Essen, Ruhe – und Lachyoga.

Tuchels neugewonnene Energie

Das Ergebnis bringt Tuchel sichtlich ins Schwärmen: "Ich fühle mich selbstbewusst, glücklich und gesund", sagt er in einem Interview der Einrichtung – und wirkt dabei ein bisschen wie erleuchtet: "Ich bin glücklich mit mir selbst, erlaube mir, Sachen nicht zu erzwingen, sondern sie auf mich zukommen zu lassen."

Letzterer Umstand scheint dem 49-Jährigen nun zupasszukommen. Denn Tuchel wird ein gutes halbes Jahr nach seiner Entlassung beim FC Chelsea einen neuen Job antreten – und bei Bayern München Julian Nagelsmann ablösen. Am Samstagmittag wird er offiziell an der Säbener Straße vorgestellt.

Tuchels Engagement sorgt in der deutschen Fußballszene für Augenreiben – einerseits, weil der gebürtige Krumbacher eher mit Tottenham Hotspur oder Real Madrid in Verbindung gebracht wurde; andererseits weil Bayern-Präsident Herbert Hainer Nagelsmann gegenüber dem "Kicker" vor Wochenfrist noch das Vertrauen ausgesprochen hatte ("Wir planen mit ihm langfristig.").

Doch wer außer Tuchel sollte den FC Bayern nach durchwachsenen Wochen (Lesen Sie hier mehr zum Nagelsmann-Aus beim FCB.), nach denen die Verantwortlichen die Saisonziele nachhaltig in Gefahr sehen, auch sonst zurück in die Erfolgsspur bringen?

Er ist international erfahren, hat bei Borussia Dortmund, Paris Saint-Germain und Chelsea zahlreiche Titel gewonnen – allen voran die Champions League 2021 – und nachgewiesen, dass er den Umgang mit Superstars beherrscht. Von Neymar ("Es ist eine Freundschaft.") bis Gianluigi Buffon ("Er zeigt Einfühlungsvermögen, kommt dadurch glaubhaft rüber und sendet positive Energie aus. Wunderschön.") – viele ehemalige Schützlinge überschütten Tuchel regelrecht mit Lob.

Doch so positiv Spieler vom Welttrainer des Jahres 2021 sprechen, so negativ fallen oft die Zeugnisse von Vereinsoberen aus. Unvergessen ist in diesem Zusammenhang Hans-Joachim Watzke, der Tuchel nach dessen Abgang in Dortmund hinterherrief, "ein schwieriger Mensch" zu sein.

Vorausgegangen war ein wochenlanges Hickhack zwischen Vereinsspitze und Coach. Ein Streitpunkt war der Umgang mit dem Bombenanschlag auf den BVB-Bus vor dem Spiel gegen Monaco im April 2017. Der Trainer befürwortete erfolglos, wegen der psychischen Belastung für die Spieler am nächsten Tag nicht zur Neuansetzung anzutreten. Watzke sah das anders. Berühmt ist die Antwort des BVB-Bosses auf die Frage, ob es einen Dissens zwischen ihm und Tuchel gebe: "Das ist so, ja."

Als der Trainer zum Saisonende bei der Klubspitze zum Rapport antreten sollte, kam es zur Trennung – die zum Missfallen des Klubs nicht der BVB, sondern Tuchel verkündete. Per Twitter. Den Account hatte er sich kurzfristig vor der Sitzung eingerichtet, offenbar in Erwartung des Rausschmisses. Ein im deutschen Fußball noch immer beispielloser Vorgang.

Dieser steht sinnbildlich dafür, dass Tuchel in seiner Karriere eben nichts einfach nur auf sich zukommen ließ. Eher im Gegenteil. Taktik-Fuchs Tuchel galt – besonders zu Beginn seiner Karriere – als Kontrollfreak, der am liebsten alle Fäden selbst in der Hand hielt. Auch bei Transfers.

Tuchels Rauswurf an Heiligabend

Das war Ausgangspunkt für sein Aus in Paris. An Heiligabend 2020 wurde der ehemalige Zweitligaprofi dort – völlig überraschend – vor die Tür gesetzt. Nicht einmal ein halbes Jahr zuvor hatte er PSG ins Finale der Champions League geführt – ein Erfolg, von dem das mit katarischer Hilfe zusammengekaufte Starensemble aktuell nur träumen kann (Lesen Sie hier alles zum Ausscheiden von PSG gegen Bayern.). So gut wie unter Tuchel harmonierten Neymar, Kylian Mbappé und Co. danach nie wieder.

Als "Schock" bezeichnete Tuchels Co-Trainer Zsolt Löw in der ungarischen Zeitung "Nemzeti Sport" denn auch den Rausschmiss – zumal PSG nach einem schwierigen Saisonbeginn mit zahlreichen Verletzungen und Corona-Infektionen im Dezember 2020 eigentlich zurück in der Erfolgsspur war und in der Liga nur einen Punkt Rückstand auf Platz eins hatte.

Entscheidender als die sportliche Situation war ein Zerwürfnis mit der Klubspitze. Tuchel hatte als Reaktion auf einige prominente Abgänge öffentlich Neuverpflichtungen gefordert. Sportdirektor Leonardo schmeckte das gar nicht. Er kritisierte den Deutschen scharf und wies darauf hin, dass dieser die "Politik des Vereins" akzeptieren müsse.

Der Rest ist Geschichte. Die Klubbosse aus Katar stellten sich hinter ihren Sportdirektor und der deutsche Trainer musste gehen. Tuchel-Intimus Zsolt Löw resümierte später, dass der vorherige "Zustand nicht aufrechtzuerhalten gewesen" sei.

Die Geschichte erinnert etwas an Hansi Flick beim FC Bayern. Der heutige Bundestrainer hatte nach dem Gewinn der Champions League 2020 (im Finale gegen Tuchel und PSG) und einigen namhaften Abgängen ebenfalls öffentlich über Verstärkungen gesprochen. Bei der Bayern-Führungsebene kam das gar nicht gut an – und gilt bis heute als Anfang vom Ende Flicks beim Rekordmeister.

Gute Zusammenarbeit mit der "mächtigsten Frau im Fußball"

Ähnlich wäre es wohl auch Tuchel mit obigen Aussagen ergangen. Zumal der gebürtige Bayer immer wieder bei Klubautoritäten aneckte. Wirklich geräuschlos lief es nur beim FC Chelsea – allerdings nur zeitweise. Im Tandem mit Klubdirektorin Marina Granovskaia, die die "Times" einst als "mächtigste Frau im Fußball" bezeichnete, gewann Tuchel neben der Champions League auch die Klub-WM und den europäischen Supercup. Granovskaia musste aufgrund der Nähe zum russischen Ex-Klubbesitzer Roman Abramowitsch jedoch im vergangenen Sommer gehen.

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Mit Todd Boehly, der den Klub im Mai 2022 für fünf Milliarden Euro übernahm, kam Tuchel dann gar nicht zurecht. Mehrere Medien berichten, dass der Investor die personelle Besetzung im Team offensiv mitbestimmen wollte. Die Trennung von Tuchel im vergangenen September war daher fast vorprogrammiert. Chelsea lag zu diesem Zeitpunkt auf Platz vier der Premier League.

Nun wird Tuchel also einen Anlauf in München starten, wo er bereits 2018 ganz kurz vor einem Engagement gestanden haben soll. Der "Kicker" berichtet sogar, dass der Klub Tuchel damals schon "mehr oder weniger eine Zusage" gegeben habe. Doch Uli Hoeneß habe alles daran gesetzt, den damaligen Coach Jupp Heynckes irgendwie noch vom Verbleib in München zu überzeugen – weshalb man Tuchel hingehalten habe. Als die Bayern dann angerufen hätten, um Tuchel "das definitive Ja-Wort zu geben", hätte sich der schon anders orientiert gehabt und wechselte zu PSG.

Die Geschichte birgt durchaus Konfliktpotenzial. Denn obwohl sowohl Hoeneß als auch der damalige Vorstandsboss und Tuchel-Fürsprecher Karl-Heinz Rummenigge nicht mehr im Amt sind, dürfte Tuchel den Ablauf im Jahr 2018 nicht vergessen haben. Das plötzliche Nagelsmann-Aus soll auch damit zu tun haben, dass die Bayern sich Tuchel nicht ein zweites Mal durch die Lappen gehen lassen wollten.

Tuchels Selbstbewusstsein dürfte dieser Umstand mehr als zuträglich sein. Wie sich das mit den besonderen Rahmenbedingungen beim FC Bayern und den komplizierten Machtansprüchen im Entscheider-Dreieck um Vorstandsboss Oliver Kann, Sportvorstand Hasan Salihamidzic und Präsident Hainer verträgt, wird mehr als spannend. Zumal sich auch Rummenigge und vor allem Hoeneß immer wieder öffentlich einschalten.

"Man muss bereit sein, sich auf Thomas Tuchel einzulassen, und der Erfolg ist fast garantiert", sagte Christian Heidel bei Sport1. Unter seiner Ägide als Manager trainierte Tuchel 2009 in Mainz erstmals ein Bundesligateam. Heidels Rat in Sachen Tuchel ist unmissverständlich: "Bei Versuchen, ihn zu verändern und ihm in seinen Job reinzureden, wird es schwierig."

Das belegt der Werdegang des Trainers überdeutlich. Dieser hat gezeigt, dass es immer dann Stress gab, wenn sich Klubautoritäten in Tuchels Arbeit direkt einmischen oder ihm anderweitig reinreden wollten. Das wird beim FC Bayern bis zu einem gewissen Grad fast zwangsläufig zu erwarten sein.

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Im eingangs erwähnten Video schwärmt Tuchel von den Begebenheiten in dem indischen Ayurveda-Retreat – mit angenehmen Temperaturen, Blick auf den Ozean und besonders großen Schmetterlingen. So viel Wohlfühlatmosphäre wird ihn München sicher nicht erwarten.

Verwendete Quellen
  • kicker.de: So scheiterte Bayerns erster Versuch bei Tuchel
  • welt.de: In Indien hat sich Tuchel auf die neue Aufgabe vorbereitet
  • 11freunde.de: Das kommt mir spanisch vor
  • sportschau.de: Tuchel zu den Bayern - Kurzfristig der Beste (Radiobeitrag)
  • sportschau.de: Thomas Tuchel - Spielerversteher und Funktionärsschreck
  • kicker.de: Bayern-Bosse bei Tuchel unter Zeitdruck: "Es soll nicht wie 2018 sein" (Video)
  • bild.de: So tickt der neue Bayern-Trainer (Video)
  • bild.de: So lief der Tuchel-Rauswurf
  • youtube.de: Bayern Insider #119 | Alles zum Nagelsmann-Hammer! Und warum jetzt Tuchel kommt (Podcast)
  • youtube.de: Thomas Tuchel On The Power of Intuition (Channel von Dr. Vignesh Devraj)
  • wa.de.: Tuchel äußert sich erneut via Twitter
  • sportbuzzer.de: Fragen und Antworten zum Trainer-Knall beim FC Bayern
  • twitter.com: Account von @tuchelcam
  • fcbinside.de: Neuer FCB-Coach: Thomas Tuchel sagte Real und Tottenham für die Bayern ab!
  • transfermarkt.de: Trainerprofil von Thomas Tuchel
  • Mit Material der Nachrichtenagenturen SID und dpa
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