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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Formel 1 Ferrari sollte einen neuen Team-Kollegen für Vettel holen
Die Formel 1 geht in die heiße Saison-Phase. Motorsport-Experte Marc Surer erklärt, was die Fans vom Rennen in Kanada erwarten können, gibt einen Überblick über die aktuelle Lage in der Königsklasse des Rennsports und wirft einen Blick auf die wohl heißeste Personaldebatte der Saison. Dabei stehen auch Ferrari und Sebastian Vettel im Fokus.
Herr Surer, was erwarten Sie vom Großen Preis von Kanada?
Surer: Ich rechne mit einem spannenden Rennen. Die Strecke in Montreal kommt den Mercedes sehr entgegen. Sie gehen als Favorit ins Rennen. Aber Ferrari hat im Laufe der Saison schon gezeigt, dass sie auf den Geraden mit den Silberpfeilen mithalten können. Das ist in Kanada ein entscheidender Faktor. Die Red Bull werden im Qualifying Probleme haben, da sie im Top-Speed-Bereich nicht mit Mercedes und Ferrari mithalten können. Aber über eine komplette Renndistanz muss man auch die Red Bull auf der Rechnung haben. Außerdem muss man abwarten, was das Wetter macht. Das war in Kanada schon oft ein unberechenbarer Faktor.
In den kommenden sieben Wochen stehen fünf Rennen auf dem Programm. Bricht jetzt die vorentscheidende Phase der Saison an?
Ja, bis zur Sommerpause werden die Weichen gestellt. Nicht nur rechnerisch, auch psychologisch ist diese Phase extrem wichtig. Sollte sich eines der drei Top-Teams jetzt eine Schwächephase erlauben, wars das mit dem WM-Titel.
Daniel Ricciardo wurde für seinen Sieg in Monaco von allen Seiten gelobt. Welche Rolle kann er in dieser Formel 1 Saison spielen?
Ricciardo ist ein heißer Kandidat auf den Weltmeister-Titel. Sollte er den WM-Titel holen, würde das der Formel 1 sehr guttun. Er wäre ein Vorzeige-Weltmeister. Er bringt fahrerisch alles mit, auch der Red Bull ist konkurrenzfähig. Allerdings hat er das Problem, dass er in dieser Saison mit dem technischen Defekt in Bahrain und der teaminternen Kollision mit Max Verstappen in Baku bereits zwei Ausfälle zu verschmerzen hatte. Das kann in einer Saison, in der es so eng zugeht wie in diesem Jahr, am Ende den Unterschied ausmachen.
Was sind aus fahrerischer Sicht die großen Stärken von Ricciardo?
Ricciardo ist nicht der schnellste Fahrer im Feld, aber er hat die Fähigkeit, dass er jede sich bietende Chance gnadenlos ausnutzt. Er ist ein unheimlich cooler und abgeklärter Fahrer. Keiner überholt so konsequent wie er. Er lauert geduldig auf die Lücke und schnappt dann eiskalt zu. Dabei weiß er das Risiko so zu portionieren, dass es nur in seltensten Fällen zu Unfällen kommt. Von dieser Sorte Fahrer gibt es nicht viele. Fernando Alonso ist da ein vergleichbarer Typ.
Ist er denn überhaupt die Nummer Eins bei Red Bull?
Dafür ist die Saison noch zu jung. Verstappen ist verdammt schnell, den darf man zu so einem frühen Zeitpunkt noch nicht einbremsen. Red Bull muss die Dinge jetzt laufen lassen und dann zum richtigen Zeitpunkt die strategisch richtigen Entscheidungen treffen. Sollte Ricciardo nach der Sommerpause in Schlagdistanz zum WM-Titel sein, muss auch Red Bull auf Stallorder umstellen und ihn zur Nummer Eins machen. Bernie Eccelstone hat einmal zu mir einen Satz gesagt, der genau zur derzeitigen Situation bei Red Bull passt: "Wenn du die Wahl zwischen dem schnelleren Fahrer (Verstappen) und einem Siegertypen (Ricciardo) hast, entscheide dich immer für den Siegertypen".
Ricciardos Vertrag läuft zum Saisonende aus. Welcher nächste Schritt wäre aus seiner Sicht sinnvoll?
Ich gehe fest davon aus, dass Red Bull langfristig mit Verstappen als Nummer Eins plant. Sonst hätte er wohl seinen Vertrag nicht verlängert. Daher wäre ein Wechsel für Ricciardo sinnvoll.
Und wohin?
Ricciardo und Ferrari, das passt wie die Faust aufs Auge. Für beide Seiten. Ricciardo hat italienische Wurzeln und bringt viel Persönlichkeit mit. Sportlich ist er ohnehin einer der besten Fahrer im Feld. Und Ferrari würde sich als Gesamtpaket mit einem zweiten Sieg-Fahrer noch ein Stück weiterentwickeln und könnte Mercedes noch mehr unter Druck setzen.
Hätte Vettel damit nicht ein Problem?
Ricciardo wäre aus sportlicher Sicht mit Sicherheit ein unangenehmerer Teamkollege als Kimi Räikkönen, der die klare Nummer Zwei bei Ferrari ist und dem in den vergangenen Jahren die letzte Konsequenz abhandengekommen ist. Außerdem hat Vettel schlechte Erfahrungen mit dem Australier gemacht. 2014 sind sie gemeinsam für Red Bull gefahren und Ricciardo hat Vettel deutlich geschlagen. Das darf aber nicht die Grundlage für die Entscheidung sein. Ferrari darf sich die Personalpolitik nicht von Vettel vorschreiben lassen sondern muss das bestmögliche Gesamtpaket aufstellen.
Wie schätzen sie die derzeitige Performance von Lewis Hamilton ein?
Lewis macht im Hinblick auf die Weltmeisterschaft alles richtig. Wenn er merkt, dass er ein Rennen nicht gewinnen kann, gibt er sich auch mit dem zweiten oder dritten Platz zufrieden. Und sammelt so wichtige Punkte für die Gesamtwertung.
Ganz im Gegensatz zu Vettel und Ferrari, oder?
Surer: Ferrari und Vettel machen den Eindruck, als wollen sie die Erfolge erzwingen. Das ist kontraproduktiv und führt zwangsläufig zu Fehlern. Das kostet viele Punkte und kann in der Endabrechung den Unterschied machen.