Formel 1 in Montréal "Ich bin aufgefressen worden"
Nico Hülkenberg verzweifelt zunehmend im Haas-Auto. Lewis Hamilton dagegen schöpft neue Hoffnung mit Mercedes. Die wichtigsten Fragen zum Großen Preis von Kanada.
Die Formel 1 überquert den Großen Teich. Aus Barcelona geht es 6.000 km Luftlinie nach Montréal, wo am Sonntag (ab 20 Uhr im Liveticker bei t-online) der Große Preis von Kanada ausgetragen wird. Wie immer bei dem Rennen auf dem Circuit Gilles Villeneuve werden volle Tribünen erwartet – und schwierige Witterungsbedingungen. Oft regnet es sintflutartig, wechselhaftes Wetter ist ein fester Punkt auf der Tagesordnung.
Die wichtigsten Fragen zum Rennen im Überblick:
Wer ist der Favorit?
Darauf kann es nur eine Antwort geben: Max Verstappen und Red Bull. Die Königsklasse wird von ihnen dominiert: In fünf der bisherigen sieben Rennen 2023 triumphierte Weltmeister Max Verstappen, zweimal drängelte sich sein Teamkollege Sergio Perez ganz nach vorne. Auch auf dem 4,3 km langen Kurs auf der Île Notre-Dame mit seinen über 60 Prozent Vollgasanteil und eher langsamen Kurven dürfte der RB19 bestens liegen.
Konkurrenz droht wohl allenfalls von Mercedes, das zuletzt einen Aufwärtstrend erkennen ließ. Die Plätze zwei und drei in Barcelona durch Hamilton und George Russell hinter dem unantastbaren Verstappen nährten beim deutschen Rennstall wieder den Glauben an die Rückkehr an die Spitze – wenn auch nicht sofort. Ob es allerdings schon zum Sieg eines Sternfahrers reicht, darf bezweifelt werden.
"Es ist nach wie vor ein bisschen 'Jugend forscht'", sagte Teamchef Toto Wolff am Sky-Mikrofon: "Es geht bergauf. Aber es ist wie ein Aktienkurs, es kann auch mal bergab gehen." Zumindest haben die neuesten Updates auf dem Circuit de Barcelona-Catalunya bestens funktioniert. Auch weil Ersatzpilot Mick Schumacher "im Simulator einen großartigen Job" gemacht habe, wie Hamilton hervorhob.
"Das Auto hat sich so gut angefühlt wie seit 15, 16 Monaten nicht mehr", freute sich der siebenmalige Weltmeister und adressierte sogleich eine zarte Kampfansage an Red Bull: "Sie sind immer noch ein Stück voraus, aber wir jagen sie."
Könnte es eine Überraschung geben?
Eher nicht. Der Großteil des Feldes wird wohl einmal mehr hinterherfahren. Hatte Aston Martin mit Altmeister Fernando Alonso in den ersten Saisonrennen noch die leise Hoffnung auf ein bisschen Wettkampf geweckt, so verpufften die Erwartungen ausgerechnet bei Alonsos Heimrennen in Barcelona kläglich.
Ferrari mit dem allmählich entzauberten Wunderknaben Charles Leclerc und Carlos Sainz kriegt die Kurve irgendwie gar nicht, kein Wunder, dass die Gerüchte um einen Wechsel von Lewis Hamilton zur Scuderia immer lauter werden. Mercedes könnte sich langsam wieder der absoluten Spitze annähern. Das Auto scheint keine allzu großen Macken mehr zu haben, und das Fahrerduo Hamilton und George Russell ist – vorsichtig formuliert – nicht das Schlechteste in der Formel 1.
Wie läuft es eigentlich für Nico Hülkenberg?
Nun ja. Zwar ist der Nachfolger des von Teamchef Günther Steiner rausgeekelten Mick Schumacher auf Augenhöhe mit seinem Haas-Teamkollegen Kevin Magnussen, bringt in den Qualifyings solide Leistungen, hält auch in den Rennen bestmöglich mit. Beste Positionierung 2023: Platz sieben beim großen Preis von Australien Anfang April. Aber: Nur eben dieses eine Mal schaffte es der 35-Jährige in die Punkte. Dass Hülkenberg in diesem Jahr seine unfassbare Serie von mittlerweile 186 Grand-Prix-Starts ohne Podestplatz endlich beenden kann, ist mehr als unwahrscheinlich.
Auch Hülkenberg selbst weiß, wie – im wahrsten Sinne des Wortes – verfahren die Lage ist: "Am Ende des Tages reicht es vom Tempo her nicht. Die ersten fünf Runden war ich wie Fallobst. Ich bin einfach aufgefressen worden", sagte er nach Platz 15 beim Großen Preis von Spanien Anfang Juni bei Sky. Und weiter: "Auf einer Runde sind wir konkurrenzfähig, auf 66 nicht genug. Daran müssen wir arbeiten, das ist in dieser Saison unsere Schwachstelle." Beleg für die unterdurchschnittliche Performance des Autos: In Katalonien war Hülkenberg nach einem starken Qualifying als Siebter aussichtsreich gestartet, konnte die Position aber schon in den ersten Runden nicht halten und fiel zurück.
Das Problem des US-Teams: Der enorme Reifenverschleiß. Denn weil die Pneus durch die hohe Beanspruchung des Autos schnell an Qualität verlieren, sind die Fahrer Hülkenberg und sein dänischer Teamkollege Kevin Magnussen in den Rennen im Mittelfeld ebenso schnell hoffnungslos unterlegen. Hülkenberg hofft nun auf technische Verbesserungen.
Wie geht es danach weiter?
Mit dem Double-Header Österreich (2. Juli) und Großbritannien (09. Juli). Insgesamt stehen bis zur vierwöchigen Sommerpause noch vier Rennen auf dem Programm. Nach Spielberg und Silverstone macht die Formel 1 auf dem Hungaroring vor den Toren von Budapest (23. Juli) und auf dem Ardennenkurs in Spa-Francorchamps (30. Juli) Station. Danach ist Pause bis zum 27. August – Max Verstappens Heimrennen auf dem Dünenkurs in Zandvoort
- Mit Material der Nachrichtenagentur SID