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Nach der Flut | Das Ahrtal kurz vor Weihnachten: "Wir werden uns in den Schlaf weinen"


Weihnachten im Ahrtal
"Am Abend werden wir uns in den Schlaf weinen"

Von Tobias Christ und Thomas Banneyer (Fotos)

Aktualisiert am 14.12.2021Lesedauer: 5 Min.
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Hausbesitzer Roger Buchmann in seinem Haus in Altenahr: "Man wird irgendwie funktionieren", sagt er mit Blick auf das anstehende Weihnachtsfest.Vergrößern des Bildes
Hausbesitzer Roger Buchmann in seinem Haus in Altenahr: "Man wird irgendwie funktionieren", sagt er mit Blick auf das anstehende Weihnachtsfest. (Quelle: Thomas Banneyer/t-online)

In den Flutgebieten im Ahrtal steht das erste Weihnachtsfest nach der Flutkatastrophe vom 14. Juli vor der Tür. Die einen werden ihr Überleben feiern, für andere wird die Bilanz des Jahres bitter ausfallen. Ein Besuch.

Roger Buchmann steht auf den Trümmern seiner Dachterrasse. Der Blick fällt auf einen bewaldeten Berghang, vor dem sich die Ahr windet. Es war mal ein lauschiges Fleckchen Erde, nun laden Baufahrzeuge neben den Resten einer Fahrradbrücke Schutt auf eine Halde. Es war nicht selbstverständlich, dass Roger Buchmann, seine Frau und seine dreijährige Tochter an diesem Ort die tobenden Wassermassen überlebten.

Doch von Glücksgefühlen will der Diplom-Kaufmann nicht mehr reden, zu sehr drücken die Fragen der Gegenwart und der Zukunft. Bis zum 14. Juli verlief das Leben des 36-jährigen Diplom-Kaufmanns in geordneten Bahnen. Seit der Flut ist es eine Baustelle, so wie das halbe Ahrtal. Roger Buchmanns Erkenntnis am Ende eines Katastrophenjahrs: "Sicherheit, die gibt es nicht."

Vom Fachwerk-Touristendomizil zur Ruine inmitten von Matsch

Seit fast fünf Monaten steht sein Haus fast allein an der Seilbahnstraße im Ort Altenahr. Mit seiner Fachwerkoptik ähnelt es ein wenig den Hexenhäuschen aus Lebkuchen und Zuckerguss, die Kinder zu Weihnachten geschenkt bekommen. Die Buchmanns kauften die 300-Quadratmeter-Immobilie 2014 und bauten das Erdgeschoss zu einem Bed & Breakfast für Touristen aus. Jetzt ist es eine Ruine inmitten einer Schlammwüste, "Matschepampehaus" sagt Roger Buchmanns kleine Tochter.

Die Flut hat den Großteil der Umgebung mit sich gerissen. Mehrere Gebäude, Bäume, Autos, Lebensentwürfe – alles weg. Allein in Buchmanns direkter Nachbarschaft starben drei Menschen. Dass die Familie überlebte, ist vielleicht dem Bauherrn ihres Hauses zu verdanken: Er soll in den 1950er-Jahren mehr Beton verwendet haben als allgemein üblich.

"Der Höchststand des Hochwassers war hier am Ort wahrscheinlich gegen Mitternacht", sagt Roger Buchmann und zeigt an der Giebelwand die Stelle, wo die Ahr ihren Scheitelpunkt erreichte. 5,30 Meter über der Haustür stand das Wasser, ehe es sich wieder zurückzog. Am Anfang rechnete niemand mit diesen Dimensionen, dann mussten die Buchmanns immer weiter nach oben flüchten. Die Fluten rauschten ohrenbetäubend und ließen Möbel gegen Wände krachen.

Tragödie im Nachbarhaus

Die Nacht verbrachte die Familie schließlich im engen Dachgeschoss, ausgestattet nur mit Taschenlampen. "Wir haben unserer Tochter gesagt, dass wir dort campen", erinnert sich Roger Buchmann. Zum Glück habe sie in der Nacht viel geschlafen und kaum etwas von den Dramen um sie herum mitbekommen. Eigentlich sei er ein rationaler Mensch. Doch das Gefühl, das ihn gegen 23 Uhr erfasste, sei Todesangst gewesen.

Um diese Zeit riss das Wasser das Nachbarhaus mit dem älteren Ehepaar mit sich. Die Frau starb, der Mann konnte sich ins Freie retten und fand irgendwo in den Weinbergen Halt. "Wir haben das leider sehen müssen, weil wir ein Badezimmerfenster in diese Richtung haben", erzählt Roger Buchmann: "Da war uns klar, es gibt hier kein Ausharren, wir werden hier weggespült wie alle anderen auch." 33 Mal wählten sie im Laufe der Nacht den Notruf. Doch wegen des schlechten Wetters könne kein Helikopter starten, hieß es auf der Rettungswache.

Gegen Mitternacht riefen Roger Buchmann und seine Frau ihre Eltern an, um sich für immer von ihnen zu verabschieden: "Wir hatten das Gefühl, wir werden es nicht schaffen."

Überall Dreck, überall Schlamm – auch fünf Monate später noch

Es ist kalt geworden im Ahrtal. Der Regen, der an diesem Morgen fällt, bleibt in höheren Lagen als Schnee liegen. Im Tal verwandelt er das, was mal Straßen waren, in schwer passierbare Feuchtgebiete. Dreck und Schlamm sind allgegenwärtig, riesige Baufahrzeuge und Trecker mit Anhänger voller Schutt ebenfalls.

Walter Radermacher sitzt im großen Saal des historischen Bahnhofs von Ahrbrück, nur wenige Kilometer von Altenahr entfernt. Vor der Flut trafen hier die Ratsmitglieder der 1.200-Einwohner-Gemeinde zu ihren Sitzungen zusammen, nun ist es die Zentrale des örtlichen Krisenstabs. Als ehrenamtlicher Ortsbürgermeister ist Walter Radermacher jeden Tag hier und kümmert sich um defekte Wasserleitungen, ölverseuchtes Mauerwerk und zerstörte Grundstücke.

Immer wieder fällt der Strom aus – und viele brauchen ihn zum Heizen

In Ahrbrück ist der 66-Jährige geboren und aufgewachsen, ganz in der Nähe des Bahnhofs steht sein Haus, dessen untere beiden Etagen heute unbewohnbar sind. Weil der Bahnhof höher liegt als die Umgebung, fanden Radermacher und seine Frau in der Flutnacht zusammen mit rund 50 Anwohnern hier Zuflucht. Sie sahen, wie draußen Wohnwagen und Öltanks vorbeischwammen: "Das war zum Fürchten", sagt Walter Radermacher in ruhigem, sonorem Tonfall.

Nach der Katastrophennacht war er dann ununterbrochen im Einsatz. Viele Bereiche der Infrastruktur seien zwar wieder halbwegs intakt. Doch erst an diesem Vormittag gab es wegen Reparaturarbeiten abermals Schwankungen in der Stromversorgung. In der kalten Jahreszeit ist das ein großes Problem, denn viele Menschen sind wegen zerstörter Öl- oder Gasheizungen auf strombetriebene Radiatoren angewiesen.

Auch seine Ölheizung habe es erwischt, erzählt Radermacher. Als Ersatz habe er einen Holzofen und vier Radiatoren aufgestellt: "Solange das Stromnetz funktioniert, haben wir es warm, aber wehe, unser Netz kriegt einen mit."

33-Jähriger bringt "Wärme für das Ahrtal"

Für Tobias Schott sind Radiatoren wegen des hohen Stromverbrauchs und des labilen Netzes keine gute Wahl. Um das Ahrtal mit effizienteren Alternativen auszustatten, hat der 33-Jährige das Projekt "Wärme für das Ahrtal" mit ins Leben gerufen. Seit dem Sommer fährt der Helfer aus Hessen zusammen mit rund 250 ehrenamtlichen Monteuren aus ganz Deutschland durch das Krisengebiet, um stromsparende Wärmepumpen, sogenannte 1-Raum-Heizungen, kostenlos zu installieren.

Rund 900 gespendete Geräte sind bereits eingebaut worden. Derzeit pausiert das Team, aber Anfang kommenden Jahres soll es weitergehen. "Wir sehen jeden Tag, dass die Hilfe wirklich gebraucht wird", sagt Tobias Schott. Gerade wenn das Thermometer unter null Grad falle, klingele das Telefon.

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Bei seinen Einsätzen bekommt der Unternehmer die Probleme der Menschen im Ahrtal hautnah mit. Mit Blick auf die bevorstehenden Weihnachtsfeiertage mache er sich vor allem Sorgen um diejenigen, die allein in den Trümmern ihres Hauses und ihres Lebens ausharren müssen. "Es gibt viele Menschen, die den Kopf in den Sand stecken und depressiv sind."

Weihnachten nach der Flut: "Man wird irgendwie funktionieren"

"Weihnachten wird ein besonders schlechtes Fest", befürchtet auch Roger Buchmann. Die Erleichterung, die sich einstellte, als der Wasserspiegel sank und die Familie schließlich ihr Matschepampehaus verlassen konnte, habe sich nur wenige Tage gehalten. Dann habe die Realität die Kontrolle übernommen.

Mittlerweile wohnen die Buchmanns in einer 60 Quadratmeter großen Ferienwohnung, 20 Minuten von ihrer alten Heimat entfernt. Aus Angst vor einem neuen Hochwasser und Trauer über die verlorene Nachbarschaft haben sie entschieden, nicht mehr zurückzukehren. Doch wie es weitergehen soll, wo und wie sie in Zukunft leben wollen und wie das alles bezahlt werden soll, weiß noch niemand. Viele Fragen seien ungeklärt, die Struktur des staatlichen Wiederaufbaufonds zu schlecht abgestimmt auf Menschen, die nicht am bisherigen Ort wiederaufbauen wollen.

Wie sie das Weihnachtsfest feiern, wissen die Buchmanns ebenfalls noch nicht. Ihre Tochter wird am zweiten Weihnachtsfeiertag vier Jahre alt. Für sie sollen es fröhliche Tage werden. "Es wird eine Fassade geben für meine Tochter", sagt Roger Buchmann. "Man wird irgendwie funktionieren." Aber am Abend, da ist er sich sicher, "werden wir uns in den Schlaf weinen".

Verwendete Quellen
  • Gespräche und Beobachtungen vor Ort
  • Telefonat mit Tobias Schott
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