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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Kölner Juso-Chefin wechselt in Pflege "Das geht wirklich an die Substanz"
Die 27-jährige Lena Snelting wurde erst vor wenigen Wochen als Vorsitzende der Kölner Jusos wiedergewählt. Ihr Politik-Masterstudium hat sie aber abgebrochen, um in die Pflege zu wechseln. Mit ihrem ungewöhnlichen Schritt hofft sie auf Nachahmer.
Wenn sie bei Sitzungen des SPD-Nachwuchses ist, muss sie sich schonmal früher verabschieden. "Spätestens um 21.30 Uhr ist bei mir Schluss", sagt Lena Snelting. "Sonst ist das nicht zu schaffen, wenn ich morgens um sechs Uhr auf der Arbeit sein muss." Zuerst hatte sie ihren Bachelor in Sozialwissenschaften gemacht, anschließend zwei Semester Politik auf Master studiert. Dann kam die Sinnkrise: Wie sollte es beruflich weitergehen? Einen Bürojob wollte sie nicht. Also wechselte sie in einen Knochenjob: In die Pflege.
Die Nachwuchs-Politikerin und Kölner Juso-Chefin wusste, auf was sie sich einlässt. Schon in ihrer Schulzeit hatte sie sich ehrenamtlich in einer Einrichtung zur Altenpflege engagiert – freilich "nur" in der Betreuung älterer Menschen. Sie hat viele Freunde und Bekannte aus der Pflegebranche, arbeitete neben dem Masterstudium in einer Einrichtung.
Den Ausschlag für ihre berufliche Weichenstellung habe dann eine Diskussion bei den Jusos gegeben. "Wir haben mit einer Abgeordneten diskutiert, die selbst eine Ausbildung in der Altenpflege gemacht hatte", erinnert sich Lena Snelting: "Die hat dann gefragt: Warum machen junge Leute keine Ausbildung mehr? Da bin ich ins Nachdenken gekommen."
Psychische Belastung hoch
Jetzt genießt sie die Zusammenarbeit im Team, auch wenn die Arbeit mit älteren Menschen in Pflegeeinrichtungen körperlich wie psychisch fordernd ist. Sie berichtet von einem Bewohner, der an Demenz erkrankt ist und immer wieder grundlos und verwirrt das Bett verlässt. Ihre Aufgabe sei es in solchen Situationen, ihn einfühlsam zurückzubringen: "'Sie sind echt ein Engel'", hat er dann gesagt. "Eine solche Rückmeldung zu bekommen, tut schon ziemlich gut", erzählt Snelting.
Essen bringen, miteinander sprechen, im Bett umdrehen, Kranke waschen – die Tätigkeiten in ihrem neuem Job sind herausfordernd. "Kürzlich habe ich eine bettlägrige Bewohnerin mehrere Tage lang komplett allein versorgt", sagt die junge Frau: "Das ist ein empowerndes Erlebnis. Man wächst über sich selbst hinaus."
Nicht immer mache sie dabei nur positive Erfahrungen: "Wenn Menschen durch Demenz kognitiv stark verändert sind, neigen sie manchmal zu Gewalt gegenüber Pflegenden. Da kriegt man schon mal eine Ohrfeige, wenn man nicht aufpasst." Eine Patientin, die wegen starker Bauchschmerzen als Notfall versorgt werden musste, habe im Delirium mit Gegenständen geworfen: "Die mussten wir zu dritt beruhigen. Das geht wirklich an die Substanz." Belastend sei es auch, wenn sie nach einem Wochenende wieder zum Dienst komme und Bewohnende in der Alteneinrichtung inzwischen verstorben seien.
Zu wenige Befugnisse für Pflegende
So ganz auf Hörsäle verzichten braucht Snelting aber auch künftig nicht: Neben der praktischen Ausbildung zur Pflegefachfrau absolviert sie ein duales Studium zur Klinischen Pflege an der Kölner Uniklinik. Diese Teil-Akademisierung findet sie gut, weil damit alte Grenzen überwunden werden könnten, die den Pflegeberuf bisher lähmen. "Es gibt viele Tätigkeiten, die noch Ärzten vorbehalten sind", erklärt Snelting: "Dabei macht das keinen Sinn, wenn das Pflegepersonal gut ausgebildet ist."
So dürften die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bisher nicht einmal verschreibungsfreie Ohrentropfen geben. Auch Blut abnehmen dürfen sie nicht, für die Versorgung von Wunden müssen Ärzte schriftliche Anweisungen erteilen. Impfungen, beispielsweise gegen Corona, dürften die Pflegenden auch nicht spritzen.
"Das ist extrem einschränkend und im Grunde nicht begründet", ist die 27-Jährige überzeugt. "Schon heute haben viele in der Pflege gute fachliche Weiterbildungen gemacht, sind lange dabei. Da lässt sich kaum erklären, warum sie viele Tätigkeiten nicht eigenverantwortlich ausüben dürfen.“
Mehr Geld allein reiche nicht aus
Die Kölner Juso-Chefin erinnert sich gut an die Wochen zu Beginn der Corona-Pandemie, in denen von Balkonen für das Pflegepersonal applaudiert wurde. Auch sei diskutiert worden, dass das Personal besser bezahlt werden müsse. Da habe sich nicht viel getan, und das allein reiche auch nicht. Auch die Rahmenbedingungen müssten sich verbessern: "Wir haben teilweise einen hohen Krankenstand, auch weil Abteilungen völlig unterbesetzt sind. Das Personal, das gebraucht wird, gibt es aber nicht."
Der Nachwuchs fehle. Pflege sei ein hoch professioneller Beruf, für den eine dreijährige Ausbildung nötig sei, so Snelting: "Mich ärgert es, wenn das dann als Job gesehen wird, den quasi jeder machen kann." Zu dem Beruf gehöre neben Fachkompetenz auch ein hohes Maß an Empathie. Wegen der extremen Belastung würden sogar Pflegende den Beruf verlassen.
Eine Stimme für Pflegekräfte
Das kann Lena Snelting sich selbst nicht vorstellen. "Mir ist klar geworden, dass ein Bürojob nichts für mich ist. Ich möchte auch nach Ausbildung und Pflege-Studium am Patientenbett arbeiten." Und sie will sich dafür einsetzen, dass ihr neuer Beruf für alle attraktiver wird. Deshalb hat sie sich auch in die Auszubildenden-Vertretung an der Kölner Uniklinik wählen lassen. Eine Arena bleiben für sie auch die Jusos.
Beim Kölner SPD-Nachwuchs wird sie die Zukunft der Pflege weiterhin beschäftigen – auch wenn sie wegen des Schichtdienstes so manche abendliche Sitzung früher verlassen. "Da erlebe ich ein extrem großes Verständnis", freut sich Lena Snelting. "Mit wird aus meiner Partei viel Respekt und Verständnis für meine Berufswahl entgegengebracht. Mehrere haben mich schon gefragt, was sie tun können, damit ich politisch weiter aktiv bleiben kann."
- Gespräch mit Lena Snelting