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Köln: Theologe stellt Woelki fatales Zeugnis aus – und fordert Revolution der Kirche


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Theologe über Kirchen-Krise
"Wir brauchen einen pastoralen Ungehorsam"

  • Lena Kappei
InterviewVon Lena Kappei

Aktualisiert am 14.03.2021Lesedauer: 9 Min.
Jesus am Kreuz (Symbolbild): Moraltheologe Daniel Bogner hat sich Gedanken über eine Reform der kirchlichen Verfassung gemachtVergrößern des Bildes
Jesus am Kreuz (Symbolbild): Moraltheologe Daniel Bogner hat sich Gedanken über eine Reform der kirchlichen Verfassung gemacht (Quelle: Christoph Schmid/unsplash.com)
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Missbrauchsskandale, vermehrte Austritte: Nicht nur in Köln steckt die Kirche in einer tiefen Krise. Der Moraltheologe Daniel Bogner fordert eine Revolution. Was muss dafür passieren?

Die Kirchenaustritte nehmen zu und Kölns Erzbischof Rainer Maria Kardinal Woelki steht massiv in der Kritik. Der Theologe Daniel Bogner fordert, was der Kirche seit Jahrtausenden zuwider ist: Revolution – damit die Kirche eine Chance auf Heilung hat. Denn ihr Problem ist systemgemacht.

t-online: Herr Prof. Bogner, Sie sagen: Der Kirchenkörper ist krank. Was funktioniert am System Kirche nicht?

Daniel Bogner: Viele Menschen sind immer noch in der Kirche, weil sie die Botschaft des christlichen Glaubens mit einem gerechten und barmherzigen Gott, der gleichen Würde aller Menschen und dessen Verantwortlichkeit attraktiv finden. Das Kernproblem der Kirche dabei ist aber: Die Kirche hat einen guten Inhalt, aber unpassende Formen dafür.

Sie fordern eine "Reform der kirchlichen Verfassung", weil die bisherige Form nach dem "Modell einer absolutistischen Monarchie" viel zu starr und veraltet ist. Sollte die Kirche wie ein Staat aufgebaut werden, mit Gewaltenteilung?

Die Kirche hat ihre derzeitige Form in einer Zeit ausgebildet, in der es viele Dinge aus unserem heutigen Zusammenleben noch gar nicht gegeben hat. Zum Beispiel verbindliche Mitbestimmung, Gewaltenteilung, Machtkontrolle, Demokratie. Die Kirche lebt in einem veralteten Gewand, während sich alles andere längst weiterentwickelt hat. Natürlich ist die Kirche ein Gebilde mit Doppelnatur: Sie ist einerseits – theologisch gesagt – eine göttliche Stiftung. Andererseits spielt sich das Ganze ja in unserer heutigen Welt ab. Die Kirche kann sich also nicht von den Herausforderungen der demokratischen Gesellschaft verabschieden. Im Gegenteil, sie kann sogar viel davon lernen. Wo Menschen miteinander leben, egal ob in Staat oder Kirche, bilden sich Hierarchien. Und die Notwendigkeit, Macht auszuüben, aber auch zu kontrollieren. Macht kann von Menschen aber missbraucht werden, auch in der Kirche.

Daniel Bogner (geb. 1972) lebt in Münster und lehrt Theologische Ethik an der Universität Fribourg/Schweiz. Er befasst sich unter anderem mit Fragen der Menschenrechte und hat sich vermehrt zur Krise der katholischen Kirche geäußert. Seine wichtigsten Überlegungen sind zusammengefasst in dem Buch "Ihr macht uns die Kirche kaputt ... doch wir lassen das nicht zu" (Herder 2019).

Warum war Missbrauch in der Kirche so lange ungehindert möglich, ohne bestraft zu werden?

Da gibt es den historischen Faktor: Etwas, das seit Langem besteht, entwickelt im Laufe der Jahrhunderte ein Eigengewicht. Irgendwann denkt man dann: Das ist schon richtig so, nur weil es lange existiert. Andererseits gab es immer eine Sakralisierung, also eine theologische Überhöhung dieser institutionellen Form der Kirche. Das muss man heute kritisch betrachten und hinterfragen. Das hat zu lange nicht stattgefunden. Zudem hat sich bei den Kirchenmitgliedern ein "Schäfchen-Bewusstsein" gebildet. Eher gehorcht man, als dass man aufmüpfig ist. Eher folgt man, als dass man hinterfragt.

Das ist jetzt durch die Missbrauchsskandale schon stark in Bewegung gekommen.

Gott sei Dank. Auch Priester akzeptieren nicht mehr diese ihnen durch die Kirche zugewiesene Rolle, diese Platzanweisung. Sie beginnen, zu hinterfragen. Und ein zweiter wichtiger Grund ist: Obwohl die Kirche viel von der Menschenwürde spricht, gibt es in ihrem Recht keinen konsequenten Schutz des Individuums. Deshalb war man oft mehr am Ruf der Institution interessiert als am Leiden der Opfer. Eines ist ganz entscheidend: Die Kirche muss sich weiterentwickeln, um sich treu bleiben zu können. Das ist der Ruf der Stunde.

Wie beurteilen Sie das aktuelle Krisenmanagement des Erzbistums Köln und das Verhalten des Erzbischofs Rainer Maria Kardinal Woelki?

Es ist katastrophal. Ich nehme dem Krisenmanagement zwar ab, dass es irgendwo auch einen Aufklärungswillen gibt. Aber zugleich zeigt sich am Kölner Fall, dass diese Aufklärung nicht vernünftig geschehen kann, weil die institutionellen Spuren, in denen die Kirchenleitung agiert, so problematisch sind. Ein Bistum ist aufgebaut wie eine absolutistische Monarchie. Es gibt keine verbindliche Gewaltenkontrolle, der Erzbischof ist der oberste Monarch, der im Alleingang Gesetze beschließen, sie umsetzen und darüber Recht sprechen kann. Selbst wenn die Bischöfe wirklich etwas verändern und erneuern wollen, sind sie immer noch gefangen in ihrem Amtskleid. Da hilft der beste gute Wille nichts. Man muss also an die Strukturen heran. In der bürgerlichen Gesellschaft hat sich durchgesetzt, dass es eben beides braucht: Die richtige Haltung der handelnden Menschen, aber auch die richtige Rahmenordnung. Das nennen wir Verfassung. Eine gute Verfassung aber gibt es für die Kirche nicht. Und das sieht man am Kölner Fall sehr deutlich.

Was wären die ersten Schritte, um aus diesem starren Gerüst der Kirche herauszukommen?

Einen Masterplan für die Kirche gibt es nicht. Aber es gibt Schritte, die angegangen werden können. Die Kirchenleitung müsste Initiativen ergreifen, um eine Weiterentwicklung der Verfassungsordnung der Kirche in Angriff zu nehmen. Das geschieht noch viel zu zaghaft. Ich vermisse, dass Bischöfe proaktiv die Kirchenordnung umgestalten wollen. Das müsste natürlich in weltweiter Vernetzung geschehen. Warum können sich reformwillige deutsche Bischöfe nicht mit ihren Amtsbrüdern aus anderen Ländern kurzschließen? Die Probleme gibt es schließlich auf allen Kontinenten.

Was könnten Kirchenmitglieder tun?

Es wäre wichtig, dass die Kirchenmitglieder ihren Schäfchen-Gehorsam ablegen. Wir brauchen einen "pastoralen Ungehorsam". Menschen müssen nicht gleich aus der Kirche austreten, aber: Sie können die Platzanweisung verweigern, die ihnen vom System gegeben wird. Beispielsweise könnten Frauen, die in der Kirche berufstätig sind, Aufgaben verweigern, die ihnen aufgetragen werden und sie damit ins zweite Glied verweisen. Wir brauchen einen theologischen Warnstreik. Und zwar aus ganz redlichen Motiven. Es geht ja um die Sache. Priester könnten auch gegenüber ihren Bischöfen deutlicher werden und aufbegehren. Das hätte Gewicht!

Bisher gab es nur zwei Möglichkeiten für alle Beteiligten: gehen oder bleiben.

Genau. Die Doppelbotschaft muss aber sein: Wir wollen Kirche bleiben, aber nicht so wie bisher. So würde ein Zeichen gesetzt. Die Kirchenaustritte bestärken leider die Hardliner, die drinbleiben, alles noch starrer zu interpretieren. Es braucht den dritten Weg.

Verträgt die Kirche Rebellion?

Ja. Wenn die Rebellion im Namen der richtigen Anliegen geschieht – nämlich der biblischen Werte Gerechtigkeit, Barmherzigkeit und Nächstenliebe – dann verträgt die Kirche nicht nur Rebellion. Wir brauchen eine Revolution der Kirche. Man wünscht sich für die Kirche manchmal eine "kreative Zerstörung". Der Begriff stammt vom Wirtschaftswissenschaftler Joseph Schumpeter. Wenn etwas erfolgreich war, muss es zerstört werden, um daraus neue, kreative Energie zu schöpfen und weiterzukommen. Kein Unternehmer kann sich auf einmal erwirtschafteten Erfolgen ausruhen. Diesen Geist bräuchte die Kirche vielmehr. Eigentlich ist das auch der Geist, den ein Jesus von Nazareth einmal gelebt hat.

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Wie sieht in Ihren Augen die ideale Kirche aus?

Das eine ideale Bild einer Kirche zu zeichnen, wäre eine Häresie (eine von der offiziellen Kirchenmeinung abweichende Meinung oder Lehre, Anm. d. Red.), das wäre autoritär. Das würde verkennen, dass Kirche sich den immer neuen Herausforderungen der Gegenwart zu stellen hat und darauf reagieren muss. Was man aber sagen kann: Eine Kirche, die ihre Botschaft der Menschenwürde nicht ernst nimmt, hat ein Problem. Und sie wird zur Erfolglosigkeit verdammt sein. Die Kirche muss auch selbst die Werte ernst nehmen, die sie für Staat und Gesellschaft doch empfiehlt: Geschlechtergerechtigkeit, Machtkontrolle, verbindliche Beteiligung.

Mal angenommen, es kommt zu einer Bewegung unter den Gläubigen. Wie lange kann es dauern, bis sich die Kirche neu aufstellt?

Ich bin Realist, aber Pessimismus liegt mir fern. In den Achtzigerjahren hätte niemand mit der deutschen Wiedervereinigung gerechnet. Man wurde als Ewiggestriger abgestempelt, wenn man darüber geredet hat. Doch dann kam die Wende. Nicht nur deshalb habe ich für die Kirche immer Hoffnung. Erste Schritte zur Veränderung, die Symbolkraft haben, können eine große Dynamik auslösen. So etwas kann die Lage schon in wenigen Jahren verändern. Dazu gehört aber, dass die Dinge nicht schöngeredet werden dürfen und die Probleme beim Namen genannt werden.

Wie wichtig ist dabei das Wort von ganz oben, also von den höchsten Geistlichen und dem Papst?

Nur auf die Einsicht der Monarchen zu hoffen, ist zu wenig. Selbst wenn es Vernünftige unter ihnen gibt. Aber ohne die Bewegung von unten wird in der Kirche nichts passieren! Es braucht unbedingt den starken Druck von unten. Dieser wird umso wirksamer sein, wenn er durch kluges Handeln einsichtiger Personen aus der Kirchenleitung begleitet wird.

Was die Heilung der Kirche anbelangt, drängt sich auch das Thema Frauen in der Kirche immer wieder auf. Die Komikerin Carolin Kebekus beispielsweise machte in den sozialen Medien erst kürzlich wieder deutlich, wie stark Frauen in der katholischen Kirche "wegen ihres Geschlechts systematisch ausgeschlossen, übersehen und herabgesetzt werden". Sie fragt sich, warum die katholische Kirche ihre derzeit entstehenden Lücken nicht mit gebildeten, großartigen Frauen füllt, um sich selbst zu retten?

Frau Kebekus hat mir sehr aus dem Herzen gesprochen. Die Frage nach dem Geschlechterverhältnis ist ein, wenn nicht der zentrale Ansatzpunkt. Wie überzeugt ist die Kirche denn von ihrer eigenen Botschaft von der gleichen Würde aller Menschen? Sie kann nicht einerseits diese Botschaft nach außen verkünden sowie staatlich und gesellschaftlich einfordern, aber andererseits sich nach innen gegen diese Forderungen immunisieren. Es gibt gute theologische Gründe gegen den Ausschluss von Frauen zum geweihten Amt.

Welche wären das?

Es ist ein Zeichen theologischer Demut zu sagen: Nicht nur Männer, sondern auch Frauen können Christus repräsentieren. Es geht hier um Symbole, wir haben es schließlich nicht mit Christus selbst zu tun. Nur ein vielfältiges Zeichen kann das Große, für das es steht, darstellen. Außerdem verlangen wir ja auch nicht, dass nur Zimmermannssöhne aus Palästina Priester werden dürfen. An anderer Stelle sind wir also offen für solche Vielfalt. Das Kriterium des Geschlechts wird in einer ganz seltsamen Weise überbewertet. Das befremdet auch deshalb, weil in der Kirchengeschichte die Geschlechtlichkeit des Menschen oft verdrängt und verleugnet wurde.

Wie sieht es mit dem Zölibat aus? Ist eine Kirche vorstellbar, in der Priester mit Familien oder Partnern so leben können, wie sie wollen?

Das wäre eine Möglichkeit, aber nicht der wichtigste Punkt für die Heilung der Kirche. Theologisch gesehen ist die Geschlechtergerechtigkeit viel wichtiger als die Aufhebung des Zölibats. Ich glaube, dass es für die Seelsorge ein hilfreicher Erfahrungshintergrund wäre, wenn Priester auch aus eigener Erfahrung Familienwirklichkeit kennen. Aber ich sage auch, dass das zölibatäre Leben ein Charisma mit sich bringt. Das kann nicht jeder, klar. Aber wem das gegeben ist, der kann das in einer für andere guttuenden Weise einbringen. Das Problem ist der Pflichtzölibat. Der Zwang zu diesem Leben funktioniert einfach nicht. Der Zölibat ist nicht per se schlecht. Ich würde nur die Verpflichtung dazu aufheben.

Auf Twitter wurde die Frage aufgeworfen, warum es nach dem Missbrauchsskandal nie Razzien in der Kirche oder Durchsuchungen der Kirchenarchive gab, so wie auch Moscheen durchsucht werden, wenn es dafür Gründe gibt.

Das liegt sicher auch daran, dass in Deutschland die großen Kirchen in einem bislang sehr vertrauensvollen und auf Kooperation bedachten Verhältnis mit dem Staat existieren konnten. Der Staat hat die Kirchen mit ihrer eigenen Verantwortung beim Wort genommen, für eine Aufklärung der Missbrauchsverdachtsfälle zu sorgen, was ja zunächst einmal sinnvoll ist. Wenn aber deutlich wird, dass die Kirche das nicht kann, weil sie institutionell gehemmt ist, muss der Staat eingreifen. Der Staat muss wachsam sein, ob der Kirche diese Aufarbeitung gelingt. Das Beispiel Köln zeigt, dass dies offenbar nicht der Fall ist. Das Verhältnis zu den großen Kirchen muss also neu justiert werden.

Wie kann die Kirche in der aktuellen Situation wieder Vertrauen gewinnen?

Vertrauen gewinnt man durch Transparenz, Ehrlichkeit und tätige Reue. Das muss sichtbar werden. Derzeit will die Kirche zwar rhetorisch einen Umkehrwillen bekunden, läuft aber aufgrund ihrer starren Formen Gefahr, immer wieder in alte Muster zu verfallen.

Warum sollten sich gerade junge Menschen heute überhaupt noch für die Kirche interessieren?

Man kann als Mensch die Erfahrung machen, dass eine religiöse Überzeugung den Horizont erweitern kann. Der christliche Glaube kann für die eigene Lebensführung etwas Wertvolles sein. Und diesen Glauben kann man besser in Gemeinschaft als isoliert alleine leben. Das ist die tiefste Begründung für Kirche. Diesem Ziel hat sich die Kirche unterzuordnen. Sie soll nicht der Ort sein, an dem irgendwas indoktriniert wird. Sie soll der Ort sein, an dem die Menschen ihre ganz persönlichen Glaubensüberzeugungen auf bestmögliche Weise leben können. Kirche baut sich nicht Top-down, sondern Bottom-up auf, also von unten her. Von den Menschen, die sich irgendwie von der christlichen Botschaft berührt fühlen.

Stehen Sie mit Ihrer klaren Haltung in der Theologie eigentlich allein da oder sehen Ihre Kolleginnen und Kollegen das ähnlich?
Ich bin nicht der Einzige, der die Situation so betrachtet. Was viele nicht wissen: Die Theologie hat den Auftrag, die Kirche kritisch zu betrachten. Und zwar im Namen der Sache. Sie muss dem institutionellen Betrieb Kirche immer wieder den Spiegel vorhalten. An den kritischen Fragen ist die Theologie schon lange dran. Aber bis vor Kurzem waren viele Theologinnen und Theologen eingeschüchtert, hatten Angst und wurden gemaßregelt. In der aktuellen Situation der Kirche gibt es aber nun ein offenes Gelegenheitsfenster. Leider hat es dafür den Missbrauchsskandal gebraucht, um offen über Missstände sprechen zu können.

Verwendete Quellen
  • Eigenes Interview
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