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Kölner Karneval: Ein Norddeutscher besucht das erste Mal die Narren


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Kultur oder Kampftrinken?
Kommt ein Norddeutscher zum Karneval


Aktualisiert am 12.11.2024Lesedauer: 4 Min.
Vier Karnevalisten und unser Reporter mit Zylinder mittendrin: Der Kölner Karneval heißt alle willkommen.Vergrößern des Bildes
Vier Karnevalisten und unser Reporter (mit Zylinder): Der Kölner Karneval heißt alle willkommen. (Quelle: Malte Bollmeier)

Kölle Alaaf, Pittermännchen und die Zülpicher Straße: Unserem Autor ist all das unbekannt, denn er kommt aus Norddeutschland und war noch nie beim Karneval. Am 11.11. will er das im Hauruckverfahren ändern.

Mein erster Karneval beginnt ganz hervorragend. Aus grauen Wolken wird Niesel, aus Niesel wird Regen und aus Regen wird dieser widerlich-nasskalte Zustand allgegenwärtiger Unbehaglichkeit. Obendrein kommt der Bus nicht, eine ältere Dame schimpft: "Immer wenn es regnet, bricht in Köln der Verkehr zusammen."

Nur gut, dass zu meinem Zirkusdirektor-Kostüm auch ein Zylinder gehört. Dessen Krempe läuft nun über wie eine verstopfte Regenrinne und lässt das Wasser auf meinen rot-schwarzen Frack tröpfeln. Wenigstens das Wetter ist hier in Köln wie in meiner Heimat im Norden Niedersachsens. Aber beim Karneval war ich noch nie, denn in meinem Heimatdorf zwischen Bremen und Hamburg gibt es nur Kinderfasching. Und in Berlin, wo ich nun lebe und arbeite, gibt es zwar Umzüge wie die "Love Parade" oder den "Karneval der Kulturen", aber da ist nie die ganze Stadt auf den Beinen.

Den Karnevalisten in Köln scheint das miese Wetter wenig auszumachen. Junge Frauen und Männer in Polizeikostümen, Hexen, Astronauten, Super Mario und eine Grinsekatze schieben sich in die Zülpicher Straße. Von der habe ich bisher alles Mögliche gehört, nur nichts Gutes. Ich bin hier zufällig reingestolpert, weil es hier Kneipen mit Tageskasse geben soll.

Polizei jagt Pandabär

Die beiden Besucher Simon und Marcel erzählen mir aber, dass es beim Karneval nur am Rande um die Kneipen gehe. Bis 11.11 Uhr wollen sie die Stimmung auf dem Zülpicher Platz genießen und dann in den Club "Roonburg" gehen. Und die Stimmung ist hier gut, Durchkommen hingegen nicht. Ich hatte keine konkreten Erwartungen, aber irgendwie dachte ich, dass Karneval dynamischer, beweglicher ist.

Ein junger Mann bringt es auf den Punkt: "Hier stehen Zehntausend junge Leute in komischen Klamotten, saufen und feuern Leute an, auf eine Ampel zu steigen." Ein Kerl im Pandakostüm lässt sich davon inspirieren, klettert hoch – nur damit ihn zwei Minuten später die Polizei schnappt und zurück in den Zoo bringt. Das mag mancher als billige Unterhaltung sehen, aber die Umstehenden und ich sind uns einig, auch Schadenfreude ist Freude.

In der Massenmaskerade wird mir schnell warm. Ich bin allein gekommen, denn ich kenne niemanden in Köln außer meinen Kollegen – und die müssen ebenfalls arbeiten. Aber meine Einsamkeit ist schnell vorbei, vier Freunde nehmen mich gerne eine Weile mit und werfen mit Bierdosen, Klopfern und Schnaps nur so um sich: Marcel, verkleidet als Super Mario, Thomas, ein Muskelmann mit Gasmaske, ein Anzugtyp namens Sylvester und das wandelnde Bierglas "Fuss", was auf Kölsch wohl Rotschopf bedeutet. Gute, gastfreundliche Leute.

Schmaler Grat zwischen Exzess und Tradition

Wenn Sie sich nun fragen, wie ich vormittags so viel trinken und am Nachmittag konzentriert darüber schreiben kann, dann sei Ihnen gesagt, dass ich kürzlich zwei Wochen lang vom Oktoberfest berichtet habe. So ein paar Kölsch verspachtele ich da am 11.11. buchstäblich zum Frühstück. Auch Karnevalskultur ist deutsche Kultur, und deutsche Kultur heißt irgendwie immer auch Alkoholge- und -missbrauch. Erbrochenes und Schnapsleichen pflastern meinen Weg, in München wie in Köln.

Mein erster, natürlich sehr subjektiver Eindruck vom Karneval nimmt eine weitere gesellige Wendung – und zwar, als ich "Die Flotte" betrete, eine bald 40 Jahre alte Kölsch-Kneipe am Zülpicher Platz. Die ist ebenfalls rappelvoll, allerdings nicht so räudig wie der vermüllte Platz vor der Tür. Leonie Frey hat sogar eine Dreiviertelstunde in der Schlange gestanden, nur um hineinzukommen. Sie ist 23 Jahre alt und aus Leverkusen zum Feiern angereist. "Am besten gefallen mir die Leute, jeder ist offen, jeder hat Spaß", sagt sie. Straßenkarneval sei großartig, aber in der Kneipe noch besser, die Gäste nähmen jeden auf.

Die Leute feiern hier tatsächlich ausgelassen, Ballons verdecken bald die ganze Decke und aus den Lautsprechern tönen kölsche Lieder, Schlager wie "Herzbeben" von Helene Fischer, und sporadisch Deutschrap, etwa "Bier" von KIZ.

"Männer und Frauen grabschen mich an", sagt ein Kellner

Die Kellner schwingen ihre vollen Tabletts herum, als wären es Hanteln im Fitnessstudio. "Kölschkränze" heißen die Dinger, wird mir später eine Kollegin erzählen. Eines steht fest: Mit den Kellnern hier mache ich kein Armdrücken, die brechen mir noch das Handgelenk – und wie soll ich dann mein Kölsch trinken?

Dass sie fit sind, fällt ihnen aber auch auf die Füße. Einer berichtet mir von sexueller Belästigung: "Männer und Frauen grabschen mich an und finden das witzig." Gerade ältere Frauen seien der Ansicht, dass es in Ordnung sei, ihn ungefragt zu küssen. "Wenn ich sage, sie sollen das lassen oder sie fliegen sonst raus, hören sie auf. Aber besser wäre, wenn sie erst fragen."

Sein Kollege sagt, er werde weniger belästigt, aber bisweilen doch angefasst. Außerdem erzählt er: "Frauen könnten hier nicht arbeiten, die Gäste würden sie mindestens einmal pro Schicht anpacken." Mein Neid auf die Kraft der Kellner hat sich damit erledigt.

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König: "Brauhaus ist einer der authentischen Orte an der Zülpicher"

In "Hellers Brauhaus", ein paar Hausnummern weiter, lasse ich meinen Karnevalstrip ausklingen. Und treffe einen König: Mit goldener Krone und Wappenrock stellt sich mir Dominik vor. Er ist 42 Jahre alt und kommt seit knapp 20 Jahren zum Karneval immer in diese Kneipe. Er nimmt die Zülpicher Straße in Schutz: "Das Brauhaus ist einer der authentischen Orte an der Zülpicher." Hier würden nur kölsche Lieder gespielt, ohne Ballermannhits, und das Publikum sei durchmischt; auch ältere Karnevalisten kämen hierher.

Er könne zwar verstehen, dass die Trinkerei draußen viele Anwohner störe, aber den Straßenkarneval komplett zu verbieten, lehne er ab: "Wir sollten das Kind nicht mit dem Bade ausschütten."

Diese Meinung vertritt neben dem etwas älteren König ebenfalls die jüngere Autowaschanlage: Lena, Philine und Ruven haben sich als die bunten Puschel einer Waschstraße verkleidet und finden: "Im Brauhaus gibt es noch richtigen Karneval." Hier gehe es nicht nur ums Trinken, sondern die Gäste würden darüber hinaus gemütlich schunkeln und Bekanntschaften schließen.

Am Ende, zurück in der Redaktion, weiß ich nicht recht, was ich vom Karneval halten soll. Ich bin hin- und hergerissen zwischen Kultur und Kampftrinken und werde noch einmal in mich gehen, bevor ich ein abschließendes Fazit ziehe.

Verwendete Quellen
  • Reporter vor Ort
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