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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Leiche lag im Mülheimer Hafen Erstochener 15-Jähriger – Prozess beginnt mit Tumult
Im März 2024 wird im Mülheimer Hafen in Köln ein 15-Jähriger erstochen. Nun sind vier junge Männer wegen Mordes angeklagt.
Gleich zu Beginn des Prozesses wird es laut und chaotisch. Der Prozess gegen vier Männer, die einen 15-Jährigen ermordet haben sollen, beginnt mit einem Tumult.
Schon beim Hereinkommen ringt eine Frau, mutmaßlich die Mutter des Getöteten, um Fassung. Auf dem Weg zu ihrem Platz als Nebenklägerin stützt sie sich an Stühlen ab, atmet schwer. Auf ihrem Stuhl bricht sie in lautes Wehklagen aus, hebt beide Hände in die Luft, wiederholt mehrmals laut einen kurzen Ausruf auf Arabisch. Eine junge Angehörige versucht, sie zu beruhigen, bricht dann aber selbst in lautes Schluchzen und Rufen aus.
Prozess in Köln: "Ich hatte diese Situation noch nicht"
Der Vorsitzende erscheint, zeigt Verständnis für die emotionale Situation, fordert aber vehement Ruhe ein. Wer sich nicht daran halte, dürfe nicht im Saal bleiben. Zunächst zeigt seine Ansage Wirkung. Als aber Wachtmeister den ersten der vier Angeklagten – einen schmalschultrigen 19-Jährigen – in den Saal führen, eskaliert die Lage. Frauen aus der Familie des Opfers rufen, werden immer lauter, bis nur noch ein Kreischen zu hören ist.
Auch im Zuschauerraum, der in diesem Verhandlungssaal durch eine Glasscheibe vom vorderen Teil getrennt ist, stößt eine Frau laute Rufe aus und gestikuliert heftig. Sie spricht kein Deutsch. Dass es Verwünschungen sind, ist trotzdem unmissverständlich.
Erfolglos bittet der Vorsitzende erneut um Ruhe. Mehr Wachtmeister kommen in den Saal, teilen sich auf. Einige führen die Zuschauerinnen und Zuschauer ab, andere geleiten die Familie des Opfers aus dem Saal. "Arschloch", stößt hilflos die Frau, die mutmaßlich die Mutter des Opfers ist, in Richtung des 19-Jährigen hervor. Dann wird es wieder ruhig.
"Was machen wir, wenn das gleich so weitergeht?", will einer der Verteidiger wissen. Nebenkläger sind berechtigt, am Verfahren teilzunehmen. "Ich hatte diese Situation noch nicht. Ich bin von ihr überrascht", antwortet der Vorsitzende ausweichend. Allmählich kommen die anderen Angeklagten durch eine Nebentür herein. Alle vier sitzen aufgrund der Tatvorwürfe in Untersuchungshaft.
Oberstaatsanwalt: Wut und Rache als Motiv
Auch Nebenkläger und Publikum dürfen nun wieder zurück auf ihre Plätze. Dieses Mal bleibt es ruhig. Oberstaatsanwalt Bastian Blaut verliest die Anklage. Allen jungen Männern werden Freiheitsberaubung und gemeinschaftlicher Mord aus niederen Beweggründen zur Last gelegt. In den Morgenstunden des 10. März im vergangenen Jahr sollen zwei von ihnen ihr späteres Opfer vor dem Mülheimer Lokal "Zum Krug" entführt und zur Mülheimer Insel gebracht haben.
Auf der Insel soll der 15-Jährige vier Messerstiche in den Oberschenkel und vier in den Oberkörper erhalten haben. Der Jugendliche erlitt tödliche Verletzungen an Lunge und Leber. Er starb an inneren Blutungen und weil sein Atemsystem versagte. Die vier Männer hätten den Tatplan gemeinschaftlich verfasst, sagt Blaut: "Sie handelten aus Wut und Rache." In einem Drogenprozess vor dem Amtsgericht hatte der 15-Jährige die Angeklagten belastet, um selbst eine mildere Strafe zu bekommen. Zudem hätten sie ihn für Schulden in Höhe von 700 Euro "abstrafen" wollen.
15-Jährigen erstochen: Angeklagter spricht von Revierstreitigkeiten
Als dann Strafverteidiger Ingmar Rosentreter für seinen 27-jährigen Mandanten eine Erklärung zur Tatnacht verliest, zeichnet er das Bild von unglücklichen Verstrickungen. An deren Ende stand demnach zwar die Tötung des Jungen, geplant soll sie aber nicht gewesen sein.
Auf einen Anruf hin sei der 27-Jährige zum Lokal "Zum Krug" gekommen. Dort habe er zwei andere Männer treffen wollen, die einen der Mitangeklagten schon oft bedroht hätten, "man könnte es Revierstreitigkeiten nennen". Die Angeklagten hätten mit Drogen gehandelt, die anderen Männer auch. Das spätere Opfer habe erst auf ihrer Seite gestanden, später auf der anderen.
Bei seinem Eintreffen vor dem Lokal hätten die Kontrahenten dann aber nichts gesagt. "Ihr redet seit Wochen schlecht über mich. Und jetzt wisst ihr nicht, worüber ihr reden sollt", habe er gesagt. "Ist mir im Grunde auch scheißegal. Ich will nur meine Ruhe haben, wir sollten uns besser alle aus dem Weg gehen." Spontan habe er dann gesagt, der 15-Jährige solle zu ihm kommen. "Ich wollte nur nicht, dass mir jemand folgt", gab er zur Erklärung an. Der 19-Jährige habe den Jüngeren dann in den Schwitzkasten genommen. Ziellos seien sie auf diese Weise durch Mülheim gelaufen. So seien sie zur Insel gelangt.
Mordprozess: "Ich wollte, dass er einmal richtig Angst hat"
"Ich wollte, dass er einmal richtig Angst hat und sieht, dass die anderen ihm nicht helfen können", trägt Rosentreter für seinen Mandanten vor. Dass dann der 19-Jährige ein Messer zog, sei nicht Teil seines Plans gewesen. Er habe gar nicht gewusst, dass sein Freund ein Messer bei sich hatte. Nachdem dieser dem 15-Jährigen ins Bein gestochen habe, habe er noch versucht, die beiden zu trennen. Der 15-Jährige sei weggerannt, der 19-Jährige hinterher.
Wegen einer Anhöhe habe er nicht durchgehend Sicht auf die beiden gehabt. "Ich hörte einen schlimmen Schrei und sah, dass er ihn in den Oberkörper gestochen hat", so die Schilderung. Zunächst habe er noch einen Krankenwagen rufen wollen, dann aber nicht mehr daran gedacht. Gemeinsam seien sie geflüchtet. Die beiden anderen Angeklagten hätten nichts damit zu tun. Er habe ihnen aber gesagt, was geschehen sei, und sie hätten Grillanzünder besorgt. Damit sei später die Kleidung des Opfers verbrannt worden.
Die zwei weiteren Angeklagten schildern den Hergang ähnlich. Einer von ihnen gibt an, er habe das Opfer gemocht. Als seine beiden Freunde von einer tödlichen Messerstecherei auf der Mülheimer Insel berichtet hätten, habe er gedacht, dass der Tote ein wesentlich älterer Konkurrent aus dem Drogenmilieu sei. Erst als er am nächsten Nachmittag in den Nachrichten hörte, dass ein 15-Jähriger erstochen worden sei, habe er verstanden, um wen es ging. Der 19-Jährige, der den Angaben zufolge der Haupttäter ist, wird laut seinem Anwalt zu einem späteren Zeitpunkt aussagen.
Das Verfahren wird fortgesetzt.
- Reporterin vor Ort