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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Marcella Rockefeller über Homofeindlichkeit Dragqueen: Angriffe auf Schwule haben in Köln zugenommen
Zum Christopher Street Day schmückt sich Köln mit den Farben der Toleranz. Doch so tolerant wie früher sei die Stadt schon lange nicht mehr, sagt Dragqueen Marcella Rockefeller.
Marcel Kaupp ist seit rund 15 Jahren als Künstler auf vielen Bühnen der Republik unterwegs. Der 34-jährige Wahlkölner tritt als Dragqueen Marcella Rockefeller auf. 2014 gewann er so die achte Staffel von "Das Supertalent". Bei der CSD-Demonstration in Köln ist er ein gern gesehener Gast.
Er kämpft für die Rechte queerer Menschen in Köln und verarbeitet seine Erfahrungen als Homosexueller auch in seinen Liedern. Dass Schwulsein in Köln , erzählt Marcel Kaupp im Interview mit t-online.
t-online: Marcel, ist Köln tolerant oder tut die Stadt nur so?
Marcel Knaupp alias Marcella Rockefeller: Ich bin vor ungefähr zwölf Jahren nach Köln gekommen. Damals war Köln noch viel toleranter. In letzter Zeit gab es einige Rückschritte. Ich kann gar nicht sagen, woran das liegt. Ich habe damals in Köln-Mülheim gewohnt. Da passiert öfter mal was. Ich konnte mich aber noch geschminkt in die Bahn setzen. Heute wohne ich 25 Minuten vom queeren Hotspot Schaafenstraße entfernt und würde nicht mehr allein nach Hause laufen.
Was macht dir da Angst?
Ich habe schon viel mitbekommen und bin auch selbst einmal Opfer von Gewalt geworden. Das kam aus dem Nichts. Ich war mit Leuten unterwegs, an Orten, die bei der LGBT-Community beliebt sind. Da hatte ich plötzlich eine Faust im Gesicht. Meine Freunde haben viel Schlimmeres erlebt. Die lagen monatelang im Krankenhaus, der Kiefer gebrochen, das Gesicht zertreten. Vor so was muss man sich leider heutzutage schützen.
Das heißt, du musst dich vorsichtiger verhalten, damit du nicht ins Visier dieser Leute gerätst?
Ja, leider muss ich mich in der Öffentlichkeit immer wieder verstellen und als super hetero auftreten. Sonst ist die Gefahr einfach zu groß, dass ich am nächsten Tag im Krankenhaus aufwache.
Wir bekommen zu wenig Unterstützung von der Stadt
Marcel Kaupp alias Marcella Rockefeller
Heute musst du also jederzeit mit Angriffen rechnen. Wie war das denn vor zehn Jahren?
Als ich hierherkam, war Köln die Schwulenhauptstadt Deutschlands. Die Stadt schmückt sich sehr gern mit dieser Toleranz und Offenheit. Aber letzten Endes sind wir diejenigen, die unsere Safe Spaces selbst verteidigen müssen, weil dort heute zu wenig Unterstützung von der Stadt kommt.
Was glaubst du denn, woran das liegt, dass sich die Haltung gegenüber LGBTQ so verändert hat?
Ich glaube, es liegt unter anderem an der mangelnden Aufklärung. Auf den Social-Media-Plattformen liest man, dass die Leute sehr genervt sind, ständig irgendwelche Prides, CSDs und Regenbogenfähnchen zu sehen. Leider setzen sie sich nicht damit auseinander, um die Wichtigkeit dahinter zu sehen. Und ich habe da, ehrlich gesagt, auch keinen Bock drauf. Ich will auch nicht mein Leben damit verbringen, nur für meine Rechte kämpfen zu müssen. Ich habe doch die gleichen Pflichten wie alle anderen. Dann muss ich auch die gleichen Rechte haben, verdammt noch mal.
Also ein Kampf gegen Windmühlen?
So in der Art. Ich merke heute immer wieder, wie hasserfüllt die Leute gegenüber queeren Menschen sind. Früher habe ich da noch stundenlang bei Facebook diskutiert. Heute fehlt mir einfach die Kraft dazu. Vor Kurzem habe ich mich mal wieder auf eine Diskussion eingelassen. Da hat einer unter meinen Post geschrieben: "Das werde ich nie verstehen, wie kann man so was machen?" Meine Antwort: "Ich kann nicht verstehen, dass du es nicht verstehst. Wo ist das Problem, wenn ein Mensch einfach der ist, der er ist?"
Wer sind denn die Leute, die in Köln gegen Homosexuelle sind?
Mittlerweile sind es oft jüngere Leute, jünger, als ich es bin. Meine Generation, die jetzt so Anfang, Mitte 30 ist, hat meiner Meinung nach gar kein Problem mit dem Thema. Ich treffe ja viele und trete auch vor älteren Menschen auf. Die finden das richtig toll und ich habe da nach meinem Auftritt noch anderthalb Stunden Fotos gemacht.
Das ist also alles nur Vorurteil, wenn man sagt, die Älteren seien dagegen?
So sieht es aus, und ich finde es schön, dieses Klischee durch meine Auftritte zu widerlegen. Ich bekomme da eine Bühne, und die Leute finden das cool. Und ich glaube, bei den Jüngeren fehlt einfach die Aufklärung. Der Film "Buzz Lightyear" ist in manchen Ländern sogar verboten – nur weil es einen lesbischen Kuss darin gibt. Da denke ich mir: Ich wäre als kleines Kind froh gewesen, zu wissen, welche Optionen es für die Liebe überhaupt gibt. Dann hätte ich mich nicht jahrelang falsch gefühlt.
Woher kommt denn diese eingefahrene Denkweise? Wer ist dafür verantwortlich?
Das liegt daran, dass Eltern solche Szenen sexuell aufladen. Die Eltern denken, das sei Propaganda. Die interpretieren da Dinge hinein, an die Kinder gar nicht denken. Ich habe damals nicht überlegt, wie das mit Arielle und Prinz Erik funktioniert. Dabei könnten die Eltern ihren Kindern einen viel einfacheren Weg bereiten. Das war mir und vielen anderen leider verwehrt.
In manchen Nächten wollte ich mein Leben beenden.
Marcel Kaupp alias Marcella Rockefeller
Du findest also, die Eltern sind für die mangelnde Toleranz gegenüber LGBTQ heutzutage mitverantwortlich. Was macht das mit betroffenen Jugendlichen?
Wenn man dir dein Leben lang sagt, dass du falsch und anders seist, macht das viel mit dir. Die Suizidrate unter queeren Jugendlichen ist um einiges höher als bei heterosexuellen. Es gab damals auch bei mir einige Nächte, in denen ich alles beenden wollte. Ich habe mich gefragt: "Was soll das für ein Leben sein, wenn ich mich für den Rest meines Lebens immer wieder erklären muss?" Solche Gedanken sollte ein 15-Jähriger nicht haben. Er sollte Spaß am Leben haben und sich aufs Leben freuen.
Wie war es in deiner Kindheit und Jugend, als du dann wusstest, wie du tickst?
Die Situation als Kind und Jugendlicher war eigentlich rückblickend gar nicht so schlimm. Meine Mutter ist der toleranteste Mensch auf der Welt, aber weil diese Sache eben so verrufen war, hatte ich trotzdem Angst, ihr das zu sagen. Irgendwann kam dann aber der Moment, da habe ich ihr von meinen Gefühlen erzählt. Sie darauf: "Du setzt dich jetzt sofort zu mir und erzählst mir alles!" Meine Großmutter hatte danach allerdings Angst um mich, weil sie wusste, wie die Gesellschaft tickt.
Wie war dann dein großes Coming-out?
Das kam in der Berufsschule. Ich hatte wahnsinnig Schiss davor, weil die Leute da noch älter und stärker sind. Ich habe Friseur gelernt und war der einzige Schwule unter sieben Männern. Ich habe da dann auch schnell meinen ersten Freund kennengelernt. Bis dahin habe ich nie einen getroffen, der genauso ist wie ich. Dann konnte ich endlich dazu stehen und habe verstanden: Es ist so und es ist gut so.
Du sagst, du warst der einzige Schwule in der Klasse der Friseur-Azubis. Ist es also nur ein Klischee, dass Friseure oft schwul sind?
Im Fernsehen zeigt man gerne den Klischee-Schwulen. Das ist Entertainment. Man merkt einem Schwulen aber gar nicht unbedingt an, wie er ist. Er ist eben, wie er ist. Durch das Zur-Schau-Stellen des Klischee-Schwulen machen wir uns unsere eigenen Schubladen. Das ruft dann irritierte Reaktionen hervor: "Beim CSD sind sie alle geschminkt und verkleidet!", heißt es dann. Jeder denkt, dass wir alle so sind. Was eben nicht so ist. Jeder ist einzigartig.
Ich werde nicht schweigen, solange sich hier junge Menschen falsch fühlen.
Marcel Kaupp alias Marcella Rockefeller
Was wünschst du dir denn von der Gesellschaft?
Ich wünschte, durch eine veränderte Sichtweise müsste ich meine Musik nicht immer politisch aufladen. Im Moment geht das aber noch nicht. Ich werde nicht schweigen, solange sich hier junge Menschen falsch fühlen. Wenn alles irgendwann normal wäre, wäre das doch cool.
Wie hilft denn dabei der CSD? Ist das Show oder bringt der wirklich was?
Wir sind gerade an einem Punkt, an dem wir auf jeden Heterosexuellen angewiesen sind. Die Demo soll Brücken schlagen. Wir brauchen Verbündete, die sagen: "schwul" ist kein Schimpfwort. Dazu trägt der CSD bei, indem er verschiedenste Menschen zusammenbringt. Wenn die Leute sich den Zug anschauen und den Gedanken an andere weitertragen, dann ist viel gewonnen.
Danke, Marcel, für das Interview.
Hinweis: Hier finden Sie sofort und anonym Hilfe, falls Sie viel über den eigenen Tod nachdenken oder sich um einen Mitmenschen sorgen.
- Gespräch mit Marcel Kaupp