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Nach Wolfbiss im Tierpark – Expertin: "Ein Wolf hat nichts mit einem Hund zu tun"


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Beißattacke in Tierpark
Wolfsexpertin: "Ein Wolf hat nichts mit einem Hund zu tun"

  • Patrick Schiller ist t-online Regio Redakteur in Hannover.
InterviewVon Patrick Schiller

Aktualisiert am 23.09.2023Lesedauer: 5 Min.
WolfVergrößern des Bildes
Ein Wolf in einem Gehege (Archivbild): Nach einer Attacke in einem Tierpark stellt sich die Frage nach der Verantwortung. (Quelle: picture alliance / Bernd Thissen/dpa/dpa)

Ein Wolf attackiert und verletzt im Filmtierpark Eschede einen Achtjährigen. Hätte der Vorfall verhindert werden können? Eine Wolfsexpertin gibt Antwort.

Ein Wolf hat im Filmtierpark Eschede (Landkreis Celle) einen kleinen Jungen während einer "Privataudienz" attackiert und leicht verletzt. Der Vorfall hat für Schlagzeilen gesorgt und einmal mehr die Gefahr von Wildtieren für den Menschen zur Debatte gemacht. Aber auch die Haltungsbedingungen und den Sinn derartiger Kontaktzoos in Deutschland infrage gestellt.

Hätte der Vorfall in Eschede also verhindert werden können? Und welche Schuld trifft den Tierpark und die Eltern des Kindes? t-online sprach mit Tanja Askani. Im Wildpark Lüneburger Heide betreut sie mehrere Wolfsrudel – stets selbst im unmittelbaren Kontakt mit den Tieren.

t-online: Frau Askani, vor einigen Tagen ist ein Junge im Filmtierpark Eschede von einem Wolf in die Brust gebissen und leicht verletzt worden. (Mehr dazu lesen Sie hier). Was ist hier schiefgelaufen?

Tanja Askani: Ein achtjähriges Kind hat nichts in der Nähe eines Raubtieres zu suchen. Egal, was hier diesbezüglich schiefgelaufen ist – das hätte nicht passieren dürfen, da haben alle Beteiligten komplett in ihrer Verantwortung versagt.

Was hätte besser laufen müssen?

Es handelte sich hier um einen erwachsenen Wolf, der an einer Leine aus seinem Gehege geführt wurde. Der Termin für diese Audienz stand fest, das Tier wurde nicht gefragt, ob es ihm passt. Das Tier hatte einfach zu funktionieren und zu "gehorchen". So kann man aber meiner Meinung nach nicht mit erwachsenen, geschlechtsreifen Wölfen umgehen. Der Wolf ist laut Bericht zwei Jahre alt. Es ist das Alter, in dem Grauwölfe erwachsen werden und mächtig pubertieren, und zwar in Gefangenschaft geborene Wölfe gleichermaßen wie wilde Wölfe. Das erleichtert den Jungtieren ihren Abnabelungsprozess von den Eltern, um selbstständig zu werden und eigene Wege gehen zu können.

Was bedeutet das genau?

In diesem Alter kommt es bei den Jungtieren zu einer starken Charakterveränderung, die wir bei Hunden nicht kennen. Es hat nichts mit "gut" oder "böse" zu tun, sondern mit Arterhaltung. Die Natur hat nicht vorgesehen, dass die erwachsenen Jungtiere noch bei den Eltern "auf dem Schoß hocken".

Sondern?

Sie müssen sich frei strampeln, abwandern, um ein eigenes Revier zu finden und einen bevorzugten blutfremden Partner oder eine bevorzugte blutfremde Partnerin, um für die Arterhaltung zu sorgen. Das hat höchste Priorität und das ist der größte Unterschied zwischen Wolf und Hund. Für einen Hund ist der Mensch lebenslang Sozialpartner, solche Charakterveränderungen wie bei einem Wolf finden beim Hund nicht statt. Die Reaktion des Wolfes auf das Kind war also aus Sicht des Wolfes völlig in Ordnung. Die Verantwortlichen dieser Situation haben hier grob fahrlässig gehandelt, indem sie einen Wolf wie einen Hund behandelten.

Was halten Sie generell von diesen "Privataudienzen"?

Persönlich halte ich von solchen Angeboten nicht viel. Ich frage mich, ob sich die tierlieben Teilnehmer überhaupt Gedanken machen, wie es den Tieren dabei geht. Ob sie wirklich glauben, dass der Löwe, Tiger, Bär oder Wolf freiwillig an einer Kette oder Leine ihr Gehege und ihren Rückzugsraum verlassen, um von wildfremden Menschen angefasst zu werden und für Erinnerungsbilder posieren zu müssen.

Tanja Askani inmitten eines ihrer Rudel.
Tanja Askani inmitten eines ihrer Rudel. (Quelle: Libuse Radová)

Wolfsexpertin Tanja Askani

Tanja Askani ist eine leidenschaftliche Wolfsforscherin und engagierte Tierliebhaberin. Vor mehr als 30 Jahren begann sie im Wildpark Lüneburger Heide als Falknerin zu arbeiten, dann übernahm sie die Aufzucht eines Wolfswaisen. Heute betreut sie ausschließlich die Wölfe des Wildsparks. Ihr Ansatz zeichnet sich durch einen partnerschaftlichen Umgang mit den Tieren aus, bei dem sie auf Dominanzansätze verzichtet.

Sind Tierparks in dieser Form überhaupt noch zeitgemäß?

Gehegewölfe können als "Botschafter ihrer wilden Artgenossen" gesehen werden. Eine zoologische Einrichtung hat sicher eine Berechtigung, weil Besucher Tiere erleben können, die sie nirgendwo anders lebend sehen könnten. Grundsätzlich also können Tierparks dazu beitragen, die Entfremdung der Menschen von Natur und von Wildtieren zu mildern.

Sie sehen also einen Bildungseffekt durch Tierparks?

Ich erlebe es oft bei meinen täglichen Vorträgen an den Gehegen, dass Besucher überrascht sind von dem, was sie über Wölfe hören. Und nicht wenige Besucher wollen mehr über Wölfe erfahren, beginnen, sich mit Wölfen zu beschäftigen. Und von einigen erfahre ich, dass sie sich dann auch irgendwann für Wölfe einsetzen. Wildparks können also Geburtsstätten von Engagements und auch Begegnungsstätten von Mensch – Tier sein, die wir nötig haben in unserer zubetonierten und versiegelten Welt.

Dennoch nimmt die Kritik von Tierschützern an den rund 750 Zoos in Deutschland zu. Berechtigt?

Allgemein würde ich es begrüßen, wenn Richtlinien und Gesetze, die die Haltung von Wildtieren in Gefangenschaft behandeln, neu überarbeitet und dem aktuellen Wissensstandard angepasst werden. Gerade bei der Haltung der Wölfe sind sie in vielen Punkten veraltet und als nicht artgerecht einzustufen.

Was sind Ihrer Meinung nach die Hauptgründe für solche Zwischenfälle, bei denen es zu Begegnungen zwischen Menschen und wilden Tieren kommt?

Unfälle passieren nicht nur mit Wildtieren, sondern auch mit Haustieren. Eine absolute Sicherheit gibt es nirgendwo, nicht mal zwischen uns Menschen selbst. Es werden jedes Jahr Hunderte Zoobesucher-Finger bei einer Fütterung durch einen Zaun von verschiedenen Pflanzenfressern angeknabbert, das erregt aber keine Aufmerksamkeit. Die kommt erst, wenn ein Fleischfresser im Spiel ist.

Wie könnte man derartige Vorfälle generell reduzieren?

Im Umgang mit Tieren sind genaue Kenntnisse unverzichtbar und das nicht nur über die Tierart allgemein, sondern auch über das individuelle Tier selbst. Jede Tierart hat eigene Verhaltensweisen, Signale, Gewohnheiten, die man kennenlernen muss, wenn man für die Tiere verantwortlich ist. Ich nenne es "lesen", man sollte die Tiere, mit denen man arbeitet, von klein auf kennen und muss sie grundsätzlich ständig im Blick behalten. Wölfe haben wie alle anderen intelligenten Wesen verschiedene Charaktere, Launen und Vorlieben, die sich je nach Erfahrung, Prägung, Alter oder Jahreszeiten stark verändern können.

Welche Empfehlungen hätten Sie für Tierparks, um solche Begegnungen sowohl für die Besucher als auch für die Tiere sicherer zu gestalten? Ist das überhaupt möglich?

Ja, das ist möglich, wenn man beachtet, dass auch Tiere Launen und Stimmungen haben können, dass sie heute bestens kooperieren und am nächsten Tag richtig schlecht gelaunt und griesgrämig sein können. Die Tiere müssen respektvoll behandelt werden, ohne Druck, ohne Zwang und mit der Möglichkeit, sich zu jeder Zeit zurückziehen zu können, wenn sie zum Beispiel einen Teilnehmer an einer Führung als unsympathisch oder unheimlich empfinden. Und wenn die Betreuer nicht nur Verantwortung für ihre Tiere haben, sondern auch das dazu nötige Wissen und über die notwendigen Erfahrungen oder Kenntnisse und Fähigkeiten sowie Intuition verfügen, dann wären wir einen großen Schritt weiter.

Abschließend, was ist Ihrer Meinung nach die wichtigste Lektion, die aus dem Vorfall im Filmtierpark Eschede gezogen werden kann – sowohl für Tierparks als auch für Besucher?

Bei Begegnungen mit Tieren, die uns körperlich überlegen sind, muss man sich immer bewusst sein, dass man ein Restrisiko nicht völlig ausschließen kann. Egal, ob man an einer Reitstunde teilnimmt, mit Nutztieren zu tun hat oder einem Wildtier begegnet. Die Altersgrenze bei solchen Angeboten sollte auf jeden Fall erst ab 18 Jahren sein.

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Verwendete Quellen
  • Gespräch mit Tanja Askani
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