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Wolf in Hannover? Expertin: "Menschen können böse sein, Wölfe sind es nicht"


Interview
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Nach Beißattacke in Tierpark
Expertin: "Menschen können böse sein, Wölfe sind es nicht"

  • Patrick Schiller ist t-online Regio Redakteur in Hannover.
InterviewVon Patrick Schiller

Aktualisiert am 04.09.2023Lesedauer: 5 Min.
Wölfe (Archivbild): Nördlich von Hannover starb ein von einem Schuss verletztes Tier.Vergrößern des Bildes
Wölfe (Archivbild): Nördlich von Hannover starb ein von einem Schuss verletztes Tier. (Quelle: Hildenbrand/dpa)

Die Rückkehr des Wolfs in Deutschland sorgt für Angst und Schrecken. Doch Wolfsexpertin Tanja Askani sagt im Interview: "Es gibt keine bösen und keine guten Tiere."

Mit der Rückkehr des Wolfs in Deutschland kehrt auch die Angst zurück. Die Angst vor dem "großen, bösen Wolf". Doch was ist dran an dem Märchen? Und wie gefährlich sind die Tiere wirklich?

Tanja Askani muss es wissen: Sie ist seit Jahren für mehrere Wolfsrudel im Wildpark Lüneburger Heide verantwortlich. Den persönlichen Kontakt scheut sie dabei nicht – im Gegenteil. Wie ihr das gelingt und warum sie seit Jahrzehnten ohne jeden Kratzer davonkommt, verrät sie im Interview mit t-online. In Teil 1 des Gesprächs erzählte sie bereits, was zur Beißattacke auf ein Kind im Filmtierpark Eschede vor wenigen Wochen geführt haben könnte. Das können Sie hier nachlesen.

t-online: Frau Askani, was ist dran am Märchen vom "großen, bösen Wolf?"

Tanja Askani: Wirklich nichts. Es gibt keine bösen und keine guten Tiere, alle Wildtiere verhalten sich natürlich, verhalten sich ihrer Natur entsprechend. Das Adjektiv "böse" stammt aus der Welt der Menschen. Menschen können durchaus böse sein, Wölfe sind es nicht. Leider sind die alten Märchen tief in uns verankert, in denen der Wolf als Bestie, als böses Tier dargestellt wurde, mitunter gar als "das Böse" schlechthin, also der "Teufel".

Das ist alles also ausschließlich Menschenwerk?

Richtig. Wölfe sind Familientiere, sehr intelligent, sensibel, ausgesprochen sozial, äußerst anpassungsfähig an wechselnde Umgebungen und an wechselnde Lebensbedingungen. Wölfe sind Fleischfresser, deshalb müssen Weidetiere vor ihnen geschützt werden. Wenn ein Fleischfresser seine Beute frisst, geht es nicht zimperlich zu – egal, ob Löwen ein Tier zerreißen, ob ein Bär ein großes Säugetier tötet, ob afrikanische Wildhunde sich an einer Beute zu schaffen machen.

Für manche Menschen sieht das alles sehr brutal aus.

Wir bezeichnen es als grausam, aber das ist es nicht. Es ist Natur. Kein Mensch bezeichnet Löwen als "böse Tiere", im Gegenteil, Löwen werden bewundert und als Könige der Savanne bezeichnet. Wölfe aber gelten als böse.

Wie erleben Sie die Rückkehr des Wolfs in Deutschland?

Ich bin über die außerordentliche Anpassungsfähigkeit der Tiere überrascht, wie wir es seit mehr als 20 Jahren in Deutschland erleben. Früher dachte man, Wölfe brauchen Wildnis und meiden Menschen, heute erleben wir aber, dass Wölfe sehr gut mit unseren Kulturlandschaften klarkommen und auch mit der Nähe von Menschen. Sie brauchen nur für die Welpenaufzucht Rückzugsorte und genügend Beute. Aber unsere Wälder sind gut gefüllt mit Schalenwild, und wenn unsere Weidetiere geschützt werden, müssen die nicht zur leichten Beute von Wölfen werden.

Wie sind Sie überhaupt zu ihrer Arbeit gekommen?

Tiere haben mich schon als Kind fasziniert. Mein Vater brachte oft verwaiste Tierkinder oder Tiere, die Hilfe brauchten, mit nach Hause und wir päppelten sie auf, bis sie wieder in die Natur zurückkonnten. Das war für mich als Kind Normalität, aber eine leidenschaftliche Normalität, die dazu führte, dass ich in meinem Leben von Tieren umgeben sein muss, um mich wohl und heimisch zu fühlen. Vor mehr als 30 Jahren begann ich im Wildpark Lüneburger Heide als Falknerin zu arbeiten. Und dort passierte es, dass man mir eines Tages ein winziges Fellbündel brachte, mehr tot als lebendig.

Ein Wolfsbaby?

Ja. Seine Mutter und Geschwister starben bei der Geburt im Park. Nur dieses winzige Wesen atmete noch. Ich nannte es "Flocke", weil sie leicht wie eine Schneeflocke war. Die Polarwölfin Flocke war meine erste Wölfin und meine große Lehrerin in der Wolfsschule. Das war die Grundlage für die anderen Wölfe, die folgten. Heute betreue ich ausschließlich die Wölfe des Wildparks Lüneburger Heide.

Mit welcher Herangehensweise und Philosophie gehen Sie mit den Tieren um?

Als ich mich stärker Wölfen zuwandte, besuchte ich viele Wolfsexperten quer durch Deutschland und versuchte herauszubekommen, wie man es richtig macht mit Wölfen. Ich hörte, dass man Wölfe dominieren muss. Ich hörte, dass ich als Frau meine Hände von Wölfen lassen sollte. Ich hörte viele Dinge, die nicht zu meinen Erfahrungen mit Flocke passten. Auch als Flocke kein Welpe mehr war, nach der Geschlechtsreife, hatten wir eine vertrauensvolle, partnerschaftliche Beziehung, die von Respekt füreinander und von Freundlichkeit geprägt war, bis zu ihrem Tod.

Wie gelingt es Ihnen, eine Beziehung zu den Wölfen aufzubauen?

Ich kroch damals nicht wie manche meiner männlichen Kollegen auf allen Vieren durch das Gehege und zerrte mit meinen Zähnen am Fleisch, um Flocke zu beweisen, dass ich die Stärkere war oder sogar "die Rudelführerin", die Chefin. Ich hatte mich entschieden, es auf meine Art zu machen – den Wölfen immer mit großem Respekt und auf "Augenhöhe" zu begegnen, sie gut lesen zu lernen und zu versuchen zu verstehen, was in ihnen vorgeht.

Wie machen Sie das?

Ich dränge ihnen grundsätzlich nichts auf und versuche, sie nicht in eine Situation zu bringen, in der sie sich unwohl fühlen würden. Ich bitte sie manchmal, etwas zu tun. Entweder machen sie es dann oder nicht – das ist in Ordnung, und das akzeptiere ich. In jeder Situation gehe ich davon aus, dass sie es sind, die immer recht haben, nichts passiert grundlos. Mein Leben mit Wölfen hat nichts mit Dominanz zu tun, aber sehr viel mit Liebe und gegenseitigem Vertrauen.

Wie haben Ihre persönlichen Erfahrungen und Begegnungen mit Wölfen Ihre Sichtweise auf diese Tiere verändert?

Es gab nie negative Wolfsbilder und Wolfsvorstellungen in mir. Als Kind schwärmte ich wie viele Kinder von Wölfen und Wildnis, von Wolfsgeheul in frostigen Nächten und vergrub mich mit solchen liebevollen Bildern in meinem warmen Bett. Später lernte ich Wölfe als außerordentlich sensibel und vorsichtig kennen.

Sie sind also nie von einem Wolf verletzt worden?

Sie haben mir in all den Jahren absolut keinen Ritzer zugefügt, auch bei Auseinandersetzungen untereinander. Wölfe haben zwar eine sehr große Beißkraft, aber sie können diese Kraft sehr differenziert, zielgerecht und behutsam einsetzen. Einem Menschen, dem sie vertrauen und der sie lesen kann, werden sie niemals grundlos etwas zuleide tun.

Welche Ratschläge haben Sie für Menschen, die Kontakt zu Wölfen suchen, wenn sie es als ihr Lieblingstier bezeichnen?

Man kann Wölfe in Wildparks sehen. Quasi in der Rolle als Botschafter ihrer wilden Artgenossen. Um also überhaupt einmal zu erleben, wie ein Wolf aus der Nähe aussieht, wie er sich bewegt, wie es ist, einen Wolf aus nur wenigen Metern Entfernung zu sehen. Mit wilden Wölfen ist es schwieriger, oftmals Glückssache. Wer Interesse an Wölfen hat, kann mittlerweile auch an Wolfsführungen in Wolfsterritorien teilnehmen, die im Netz angeboten werden. Wer selbst in einem Gebiet mit Wölfen lebt, kann sich auch irgendwo draußen ein heimliches Plätzchen suchen, auf Glück hoffen.

Frau Askani, vielen Dank für das Gespräch.

Transparenzhinweis
Verwendete Quellen
  • Gespräch mit Tanja Askani
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