Mehr als 150 Journalistinnen und Journalisten berichten rund um die Uhr für Sie über das Geschehen in Deutschland und der Welt.
Zum journalistischen Leitbild von t-online.Problemimmobilie in Gelsenkirchen "Wir wohnen neben einem Horrorhaus"
Kakerlakenbefall, Rattenplage, Ruhestörungen und Vermüllung: Im Gelsenkirchener Stadtteil Feldmark fühlen sich Anwohner durch die Zustände in zwei Wohnhäusern in der Straße massiv gestört. Die Örtlichkeit ist Stadt und Polizei wohlbekannt.
Eigentlich hat Tarek Kaya (Name geändert) immer gerne im Gelsenkirchener Stadtteil Feldmark gewohnt. Unweit von seinem Wohnhaus beginnt ein Naturschutzgebiet, auch die Trabrennbahn und ein Kleingartenverein sind nicht weit entfernt. Die nahe gelegene Autobahn A42 ist kaum zu hören. "Eine ordentliche Gegend. Viele kennen sich hier seit Jahrzehnten", sagt Kaya.
Das Multikulti aus Deutschen und polnisch-, libanesisch- sowie türkischstämmigen Menschen habe immer funktioniert. Bis das Haus nebenan nach langem Leerstand zwangsversteigert wurde und in mehreren Nachtaktionen neue Nachbarn einzogen.
Von Fremdinvestor aufgekauft
Die Kennzeichen der Handwerkerfahrzeuge, aus denen Männer, Frauen und Kinder stiegen, stammten aus Rumänien und Bulgarien. Deutsch sprachen sie nicht, Kontakt wollten sie keinen. Wie die Nachbarn eigentlich heißen, weiß von den Anwohnern bis heute niemand – Klingelschilder gibt es nicht. Ohnehin sind die Gesichter, die in dem Wohnhaus ein und aus gehen, immer wieder neue.
"Wie ein Taubenschlag ist das. Da wohnen regelmäßig neue Familien ", sagt Kaya. Nach seinen Beobachtungen müssten die Wohnungen in jedem Fall überbelegt sein. Kaya vermietet im Haus nebenan mehrere Wohnungen und wohnt als Vermieter selbst mit im Haus. "Seit die Immobilie von einem Fremdinvestor aus Neuss aufgekauft und als Handwerkerwohnungen vermietet wurde, sind die Zustände immer schlimmer geworden", sagt der Gelsenkirchener.
Müll zieht Ratten an
Erst sammelte sich haufenweise Müll auf der Straße und im Hof, dann kamen Ratten und Kakerlaken. "Über den Lüftungsschacht gelangt das Ungeziefer mittlerweile auch in meine Wohnung", klagt Betül Arslan (Name geändert), die ebenfalls eine Nachbarin ist. Die Familien grillten unsachgemäß im Hinterhof und seien laut bis tief in die Nacht. "Wir wünschen uns einfach vernünftige Nachbarn", sagt Kaya.
Eines Nachmittags sei er nach Hause gekommen, da habe eine Matratze im Baum gehangen. "Einfach aus dem dritten Stock aus dem Fenster geschmissen", sagt er und zeigt Fotos davon. An einem anderen Tag fand er sein geparktes Auto mit Kratzern am Lack vor – handtellergroße Teile des Putzes vom Nachbarhaus waren darauf gefallen. Kaya hat die Beweise alle gesammelt.
"Die Immobilie verfällt mehr und mehr. Das ist ein Schandfleck in der Straße", sagt Kaya. Eine Begehung der t-online-Reporterin vor Ort bestätigt den Eindruck. Seine Wohnungen, da ist sich der Gelsenkirchener sicher, hätten durch die aktuelle Situation an Wert verloren. "Hier will doch so keiner wohnen", sagt er. Er und die anderen Anwohner fühlen sich machtlos. "Man kann mit den Menschen keinen Kontakt aufnehmen. Sie sagen, sie würden nichts verstehen", sagt Arslan.
Im Hinterhof, den Kaya und Arslan von ihrem Fenster aus einsehen können, lagern Dutzende Fahrräder. "Die klauen die Kinder aus der Gegend und betreiben hier richtige Zerlegearbeit", ist sich Kaya sicher. Schon von klein auf würden sie aufs Klauen getrimmt. "Und die Frauen betteln teilweise am Supermarkt", sagt Arslan.
Hakenkreuze an der Fassade
Für die Anwohner passt all das nicht mit der Tatsache zusammen, dass die Bewohner teure Limousinen – Modelle von BMW – fahren. "Ich kann mir das nicht leisten, und ich gehe jeden Tag arbeiten", sagt Arslan. Mehrfach haben die Anwohner schon das Ordnungsamt und die Polizei kontaktiert. "Es gibt keine richtige Unterstützung", sagen sie.
Wohl als Reaktion fanden sie auf ihre Hauswand geschmierte Hakenkreuze vor. Kinder aus dem Nachbarhaus sollen sie daran gesprüht haben. "Ich habe selbst einen Migrationshintergrund, mein Vater kam aus der Türkei nach Deutschland und hat sich hier ein neues Leben aufgebaut", sagt Kaya. Seine Generation sei bestens integriert, seine Geschwister und er hätten gute Berufe. "Wird das bei der nächsten Generation im Nachbarhaus der Fall sein?", fragt er und antwortet selbst: "Wohl kaum."
Die Anwohner haben weitere dubiose Beobachtungen gemacht: In regelmäßigen Abständen soll eine Frau vorbeikommen und Briefumschläge entgegennehmen. In der Nacht hielten stundenlang schwarze Transporter am Straßenrand. "Es muss etwas passieren", fordern Arslan und Kaya. Die Kommune müsse härter durchgreifen. Bei einem Anwalt haben sie sich bereits beraten lassen – mit ernüchternder Bilanz: Das Gesetz gibt kaum Möglichkeiten, gegen die Nachbarn vorzugehen.
Verifizieren kann t-online all die beschriebenen Beobachtungen nicht. Bei Polizei und Stadt ist die Adresse allerdings wohlbekannt. Die Gelsenkirchener Polizei ist im laufenden Jahr bereits zu drei Einsätzen im Zusammenhang mit Ruhestörungen ausgerückt. Ende des vergangenen Jahres habe es Sachbeschädigungen gegeben.
Unter Beobachtung der Behörden
Die Zahl der Einsätze sei zwar vergleichsweise gering, den Bezirksbeamten der Polizei sei die Örtlichkeit aber bekannt. "Die Häuser werden regelmäßig von den Kräften des Bezirksdienstes, die überwiegend zu Fuß unterwegs sind, aufgesucht, und es wird Kontakt mit den Menschen vor Ort aufgenommen", teilt Pressesprecher Matthias Büscher mit. Allerdings gestalte sich die Kommunikation aufgrund vorhandener Sprachbarrieren mühselig.
Auch bei der Stadt heißt es: "Die Häuser sind als Problemimmobilien bekannt und stehen unter regelmäßiger Beobachtung. Eine Objektprüfung durch ein behördenübergreifendes Interventionsteam hat unter den Anwohnern Meldeverstöße, Sozialleistungsmissbrauch sowie verschiedene weitere Vergehen festgestellt und zur Anzeige gebracht." Einige Wohnungen seien von der Wohnungsaufsicht gesperrt, Stromzähler wegen Verdachts auf Stromdiebstahl entfernt worden.
"Zahlreiche abgemeldete oder nicht korrekt zugelassene Fahrzeuge wurden abgeschleppt. Offensichtlich wurde durch einen Teil der Bewohner illegal Schrott gesammelt und unsachgemäß verarbeitet", sagt Stadtsprecher Martin Schulmann. Im Rahmen einer Fahreridentifizierung seien zuletzt mehrere vorbestrafte Personen angetroffen worden.
Neben diesen repressiven Maßnahmen werde ebenfalls versucht, auf die Bewohner einzugehen und sie zu einem verträglichen und rechtskonformen Verhalten anzuhalten. Die Örtlichkeit werde in regelmäßigen Abständen von städtischen Mitarbeitenden und muttersprachlichen Kräften aus verschiedenen Projekten aufgesucht.
Sozialarbeiter vor Ort
"In den Projekten werden die Ziele des gesamtstädtischen Handlungskonzeptes der Zuwanderung aus EU-Ost der schnellstmöglichen Eingliederung der Neuzugewanderten sowie die Erhöhung des sozialen Friedens verfolgt", sagt Schulmann. Dabei informiere man über die Regeln zum Zusammenleben und des Alltags und unterstütze bei Bedarf diesbezüglich, etwa bei der Beantragung von Sperrmüll-Abfuhr oder ordnungsgemäßer Mülltrennung.
Ebenso erfolgten Ansprachen zu den Themen Einhaltung der Ruhezeiten, Lautstärke und ordnungsgemäße Nutzung eines Grills. "Zudem werden die Personen über bestehende Beratungsangebote informiert und entsprechend der Bedarfe verwiesen", sagt Schulmann.
Schulpflichtige Kinder angetroffen
Kinder seien zum Spielen auf öffentliche Kinderspielplätze verwiesen worden. "An einem der nächsten aufsuchenden Termine erfolgt eine Begleitung der Kinder und ihrer Familien zu Kinder- und Jugendfreizeitstätten in der Nähe", kündigt Schulmann an. An einem Termin vor Ort seien vormittags auch schulpflichtige Kinder angetroffen worden. Aber: "Diese bereiteten ihre Rückreise in ihr Heimatland vor und befinden sich aktuell nicht mehr in Gelsenkirchen", sagt der Pressesprecher.
Eine Überbelegung habe man bei den bisherigen Besuchen nicht feststellen können. "Die Nachbarn sind gebeten worden, Störungen oder Müllablagerungen unmittelbar an die Leitstelle des Kommunalen Ordnungsdienstes zu melden, damit von dort reagiert werden kann", sagt Schulmann.
- Eigene Beobachtungen und Gespräche vor Ort
- Anfrage an die Stadt Gelsenkirchen
- Anfrage bei der Polizei Gelsenkirchen