Mehr als 150 Journalistinnen und Journalisten berichten rund um die Uhr für Sie über das Geschehen in Deutschland und der Welt.
Zum journalistischen Leitbild von t-online.Kanzler-Zitat sorgt für Wirbel Ein Skandal, der keiner war
Scholz' "Diplomaten statt Granaten"-Aussage beim Bürgergespräch in Dresden wird im Netz kontrovers diskutiert. Vor Ort gab es diese Aufregung nicht.
150 Sachsen sind ausgelost worden, um dem Bundeskanzler am Donnerstagabend in Dresden ihre drängendste Frage zu stellen. Ein 55-Jähriger brachte neben einer Frage auch eine prall gefüllte Klarsichtfolie mit. Der Inhalt dieser Folie veranlasste den Kanzler zu einer Aussage, die in den sozialen Medien für Wirbel sorgte. Um zu verstehen, wie es dazu kam, ist es wichtig, die Vorgeschichte zu kennen. t-online hat die Szenen miterlebt.
Bereits zu Beginn des Abends – noch vor der Fernsehaufzeichnung – fiel der 55-Jährige, aus den Reihen der Freien Wähler, auf. Die Moderatorin Anja Koebel ermahnte ihn wegen seines mitgebrachten Papierstapels: "Mehrere Zettel sind Mist." Für ausgearbeitete Statements sei keine Zeit. Doch der Dresdner versicherte, nichts vorlesen zu wollen. Nach etwas mehr als einer Stunde kam er schließlich zu Wort.
Der Mann im gelben Pullover wollte von Olaf Scholz (SPD) wissen, welche sieben Kriterien für ihn eine demokratische Grundordnung ausmachen. "Ich weiß nicht, ob es sieben sein müssen, aber ich sage Ihnen, was mir wichtig ist: Rechtsstaatlichkeit, dass man sich auf die Gesetze verlassen kann – auch wenn man zur Minderheit gehört." Der 55-Jährige möchte darauf eingehen, doch die Moderatorin bremst ihn. Also breitet er den Inhalt seiner Klarsichtfolie aus, statt eine zweite Frage zu stellen.
Olaf Scholz adressiert umstrittenen Satz um
Er überreicht dem Kanzler den ausgedruckten Amtseid mit den Worten "Es wäre ganz gut, wenn Sie sich den nochmal durchlesen". Dann packt er Aufkleber mit dem Slogan "Diplomaten statt Granaten" aus. Hinter dem Slogan steht die Forderung an die Bundesregierung beziehungsweise die Nato, mit dem diktatorischen Regime von Wladimir Putin Friedensverhandlungen zu beginnen, statt Waffen an die Ukraine zu liefern. Ein umstrittener Satz, der seit Beginn des Überfalls auf die Ukraine immer wieder in der Republik plakatiert wird.
Wir benötigen Ihre Einwilligung, um den von unserer Redaktion eingebundenen Instagram-Inhalt anzuzeigen. Sie können diesen (und damit auch alle weiteren Instagram-Inhalte auf t-online.de) mit einem Klick anzeigen lassen und auch wieder deaktivieren.
Der Bundeskanzler fasst die Aufkleber nur mit spitzen Fingern an und legt sie umgedreht aufs Redepult. Doch statt das Thema zu umschiffen, greift er den Slogan auf, adressierte ihn jedoch um: "Diplomaten, statt Granaten ist der Satz, den wir in Richtung Kreml nach Moskau skandieren."
Im Netz sorgt ein Ausschnitt dieser Aussage, die Olaf Scholz mit gereckter Faust zeigt, für Aufregung. Ohne den Kontext könnte man annehmen, er stelle die eigenen Waffenlieferungen infrage. Allerdings ging der "Diplomaten, statt Granaten"-Aussage der Appell an andere Nato-Staaten voraus, ihre Waffenlieferung zu erhöhen.
Im Saal überraschte die Aussage daher niemanden, und auch nach der Fragerunde wurde darüber nicht weiter diskutiert. Im Netz jedoch erregte der Ausschnitt so viel Aufsehen, dass sich Regierungssprecher Steffen Hebestreit noch am selben Abend genötigt sah, den von Scholz zitierten Satz in den Kontext der Ereignisse beim Bürgerdialog zu rücken.
- Reporter vor Ort