Ex-Bürgermeister Müller blickt zurück "Berlin ist Hauptstadt nachhaltiger Projekte"
Nach sieben Jahren ist Schluss: Berlins ehemaliger Regierender Bürgermeister Michael Müller wechselt in den Bundestag. Mit t-online schaut er auf das vergangene Jahr zurück. Dieses Mal: die Berliner Nachhaltigkeit.
Als Regierender Bürgermeister saß Michael Müller (SPD) jahrelang auf dem Chefsessel des Roten Rathauses in Berlin. Nach sieben Jahren im Amt wurde er nun am 21. Dezember von seiner Parteikollegin Franziska Giffey abgelöst und wechselt von der Landes- in die Bundespolitik. Bei der Wahl im September gewann er ein Direktmandat und zog in den Bundestag ein.
Mit t-online hat der Ex-Bürgermeister auf das vergangene Jahr zurückgeblickt. Wie nah ist die Hauptstadt seinem Ziel der Klimaneutralität? Und wie gut ist Berlin auf das sich verändernde Klima vorbereitet?
Hinweis: Das Interview wurde schriftlich geführt.
t-online: Mal Hand aufs Herz: Ist Berlin in puncto Nachhaltigkeit eher Vorreiter oder Nachzügler? Warum ist das so?
Michael Müller: Berlin ist nicht nur politische Hauptstadt, sondern auch die Hauptstadt nachhaltiger Projekte. Der weltweite Nachhaltigkeitsindex der Tourismus- und Kongressindustrie zum Beispiel sieht Berlin 2021 erstmals auf Platz 5 unter den internationalen Metropolen.
Erst im September dieses Jahres hat die Senatsumweltverwaltung zu den 17 Zielen für nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen zusammengestellt, welche Projekte, Ergebnisse und Maßnahmen der Berliner Senat in den vergangenen Jahren beschlossen und umgesetzt hat, um ebendiese Ziele zu erreichen.
Eines dieser Ziele ist beispielsweise nachhaltiger Konsum und Produktion – das heißt, der Verbrauch von Rohstoffen. So ist das Bruttoinlandsprodukt in Berlin zwischen 2000 und 2018 um 33,9 Prozent gestiegen, der Rohstoffverbrauch in der gleichen Zeit um 42,1 Prozent gesunken. Das zeigt den gestiegenen schonenden Umgang mit Ressourcen.
Die Projekte und Initiativen sollen das Thema Nachhaltigkeit weiter vorantreiben und darüber hinaus die Perspektiven und die Lebensqualität für Berlinerinnen und Berliner steigern. Dafür braucht es die Zusammenarbeit der gesamten Gesellschaft. Den Wandel unter den Herausforderungen der wachsenden Stadt zu gestalten, ist der Auftrag, dem sich das Land Berlin verpflichtet hat.
Welche Maßnahmen wurden im vergangenen Jahr für Berlin vorgenommen, um den Klimaschutz voranzubringen?
Berlin hat sich zum Ziel gesetzt, bis 2045 klimaneutral zu werden. Unser Klimaschutzziel für 2020 haben wir übrigens schon 2019 vorzeitig erreicht – mit 41,1 Prozent weniger CO2-Emissionen gegenüber 1990. Die folgenden drei Maßnahmen hat Berlin zur Bekämpfung des Klimawandels auf den Weg gebracht: Erstens, wir haben die Klima-Notlage anerkannt. Mit zahlreichen Maßnahmen und Initiativen, etwa im Bereich Stadtentwicklung, Verkehr und Energieversorgung, tragen wir der Klima-Notlage Rechnung.
Zweitens, wir haben das Berliner Energiewendegesetz hinsichtlich der Klimaschutzziele Berlins an den Anforderungen des Pariser Klimaschutzabkommens ausgerichtet. Damit stärken wir die Vorbildrolle der öffentlichen Hand beim Klimaschutz durch ehrgeizige Energiestandards für öffentliche Gebäude, vermehrte Nutzung der Solarenergie auf öffentlichen Dächern und die Umstellung der öffentlichen Fahrzeugflotten auf CO2-freie Fahrzeuge.
Und drittens, wir haben das Berliner Energie- und Klimaschutzprogramm 2030 weiterentwickelt. Mit vielen Projektförderungen konnten Landesförderprogramme gestartet werden, wie zum Beispiel für den Austausch alter Öl- und Gasheizungen, Solarstromspeicher und Lastenfahrräder.
Darüber hinaus haben wir im April im Senat beschlossen, alle Vorlagen, also Gesetze und Verordnungen, die wir beschließen, einem systematischen Klimacheck zu unterziehen. Damit wollen wir klimarelevante Folgen von Senatsentscheidungen quantifizieren und dazu beitragen, CO2-emissionsmindernde Maßnahmen zu ergreifen.
Halten Sie die Berliner SPD für die beste Wahl, wenn es um nachhaltige Stadtentwicklung geht? Warum?
Nachhaltige Stadtentwicklung bedeutet, Lösungen zu entwickeln, die vielen verschiedenen Zielen aus unterschiedlichen Bereichen gerecht werden. Dazu gehört Klimaschutz genauso wie die Schaffung von bezahlbarem Wohnraum und entsprechender Infrastruktur wie etwa zur Versorgung mit Wasser und Strom.
Es ist der Anspruch der Berliner SPD, alle drei Dimensionen der Nachhaltigkeit in einer sozial, ökologisch und ökonomisch ausgerichteten Stadtentwicklungspolitik zu vereinen. Diesen ganzheitlichen Ansatz setzen wir seit Langem in Berlin um – auch beim Klimaschutz. Wir haben bereits 2016, also in der vorletzten Legislaturperiode, ein ambitioniertes Energiewendegesetz auf den Weg gebracht, um die Emissionen in der Stadt spürbar zu reduzieren.
Welches Nachhaltigkeitsprojekt anderer Städte hat Sie im vergangenen Jahr besonders beeindruckt?
Viele große, aber auch kleinere Städte haben die wachsende Bedeutung von Nachhaltigkeit erkannt und sich mit vielen Initiativen und Projekten auf den Weg einer nachhaltigen Entwicklung gemacht. Dabei gibt es zahlreiche ehrgeizige Ziele, sei es in London, Paris, Oslo, Kopenhagen oder anderen Städten. So will Kopenhagen die erste klimaneutrale Hauptstadt der Welt werden, London für das Zentrum nur noch emissionsfreie Busse anschaffen und Oslo setzt verstärkt auf E-Mobility.
Das alles sind beeindruckende Beispiele für eine klimaschonende und nachhaltige Entwicklung, aber es gibt viele weitere, spannende Ansätze in anderen Städten. Als Regierender Bürgermeister habe ich diese Entwicklungen immer mit großem Interesse verfolgt, konnte sie mir bei den Reisen – zum Beispiel nach Singapur – auch direkt ansehen und Ideen nach Berlin mitnehmen.
Perspektivisch wird es in Berlin immer heißer werden. Was ist in der Hauptstadt im vorigen Jahr geschehen, um der Hitze planerisch entgegenzuwirken?
Städte sind von den Auswirkungen des Klimawandels mit Hitzewellen, Starkregen und Stürmen besonders betroffen. Bereits seit vielen Jahren beschäftigt sich Berlin mit dieser Problematik und hat Maßnahmen für die Anpassung an den Klimawandel, etwa die Entsiegelung von Flächen und Fassadenbegrünung zur natürlichen Kühlung und Versickerung, eingeleitet.
Im Berliner Energie- und Klimaschutzprogramm (BEK) wurden diverse Handlungsleitlinien und Projekte zur Anpassung an den Klimawandel und zum Umgang mit den Folgen der wachsenden Stadt aufgenommen. Mithilfe eines Klimafolgenmonitorings überwachen wir die Entwicklung klimatisch wichtiger Faktoren auf erkennbare Trends. Damit sollen eintretende Klimafolgen frühzeitig erkannt werden, um nächste Schritte zielgerichtet planen und umsetzen zu können.
Vielen Dank für das Interview!
- Interview mit Michael Müller per Mail