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Wölfe bei Berlin: Schäfer besorgt – "Halb tote, zerrissene Tiere – das ist wie Krieg"


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Wolfssichtung im Berliner Ring
"Halb tote, zerrissene Tiere – das ist wie Krieg"


Aktualisiert am 08.10.2021Lesedauer: 4 Min.
Wo sich Wölfe niederlassen, bangen Landwirte um ihre Tiere: "Die Intensität der Angriffe wird sich steigern", befürchtet ein Brandenburger Schäfer.Vergrößern des Bildes
Wo sich Wölfe niederlassen, bangen Landwirte um ihre Tiere: "Die Intensität der Angriffe wird sich steigern", befürchtet ein Brandenburger Schäfer. (Quelle: Armin Weigel/dpa/picture alliance /ZEITUNGSFOTO.AT/APA/picturedesk.com/t-online – Montage)

Von Rotkäppchen bis Isegrim – um kein Tier ranken sich so viele Legenden wie um den Wolf. Nun wurden erstmals Wölfe bei Berlin gesichtet. t-online hat bei Touristen, einem Schäfer und einem Experten nachgefragt.

Die Döberitzer Heide ist vor allem für ihre schöne Natur, Wisente und wild lebende Przewalski-Pferde bekannt. Doch nun ist ein neues Tier in das Naturschutzbiotop eingedrungen: der Wolf.

Ein Rudel aus vier Jungtieren und zwei Erwachsenen ist dort seit drei Wochen unterwegs – das wurde nun offiziell bestätigt. Obwohl eigentlich menschenscheu wurden sie vor Kurzem neben dem Auto eines Mitarbeiters der Heinz-Sielmann-Stiftung gesichtet, die für das Naturschutzprojekt verantwortlich ist.

Sichtung bei Berlin: "Der Wolf steht am Ende der Nahrungskette"

Peter Nitschke hat den Wolf auch schon gesehen. Er ist Leiter der Sielmanns Naturschutzlandschaft Döberitzer Heide. "Wir haben den Wolf nicht eingeladen, der ist von selbst hier aufgetaucht", sagte er.

Warum sich das Rudel ausgerechnet das Schutzgebiet auf einem ehemaligen Truppenübungsplatz ausgesucht hat, ist für ihn ganz klar: "Hier finden sie alles, was sie brauchen. Platz, Wasser, ausreichend Futter und vor allem: Ruhe."

Ein verbreitetes Phänomen, wie Nitschke sagt. Stillgelegte Übungsplätze bieten Wölfen einen idealen Lebensraum mit viel Wild und Platz, selten werden sie hier vom Menschen gestört. Auch ehemalige Bergbaugebiete seien für das Raubtier attraktiv. Über 40 bekannte Wolfsrudel sind allein in Brandenburg aktiv.

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"Allerdings wissen wir nicht, ob das Rudel sich nur kurzfristig hier aufhält und weiterzieht – oder ob das jetzt ihr neuer Lebensraum ist." Für Nitschke kein Problem. "Der Wolf gehört eben genauso dazu wie Rehe oder Wildschweine. Und jetzt, wo er da ist, müssen wir lernen, mit ihm zusammenzuleben. Er steht am Ende der Nahrungskette und ist der größte Predator, den wir hier haben."

Groß machen, klatschen, ruhig bleiben

Für Touristen stellen die Tiere eigentlich keine Gefahr dar, erklärt Nitschke. "Wölfe sind grundsätzlich scheu und gehen Menschen aus dem Weg. Es kann natürlich trotzdem zu Zufallsbegegnungen kommen." Besonders die jungen Wölfe können auf Ortschaften stoßen, wenn sie sich auf Wanderung begeben. "Die haben ja kein Navi eingebaut", so der 59-Jährige. "Aber dann hauen sie natürlich wieder ab. Ich halte die Gefahr für sehr gering."

Es habe auch keine ihm bekannten Übergriffe auf Menschen gegeben. "Niemand kann das zu 100 Prozent garantieren", so Nitschke, "aber ich kann mir nicht vorstellen, dass etwas passiert".

Dass die Wölfe bis nach Berlin kommen, ist übrigens höchst unwahrscheinlich. Die vielen Menschen, die Autos und der Lärm schrecken sie ab, so Nitschke. Komme es dennoch zu einer Begegnung, so der Naturschützer, solle man sich möglichst großmachen, in die Hände klatschen und ruhig bleiben. "In aller Regel weicht der Wolf dann aus."

Hundehalter sollten aufpassen

Ganz unbedarft sollte man trotzdem nicht in der Döberitzer Heide unterwegs sein – besonders, wenn man tierische Begleitung hat. "Ich kann Hundehaltern nur empfehlen, ihre Hunde anzuleinen. Läuft Fiffi dem Wolf vor die Nase, kann das schlecht enden." Aber auch das sei eher unwahrscheinlich.

Auf die Population seiner Beute habe der Wolf tatsächlich einen guten Einfluss, so der 59-Jährige. Von Mäusen und Flugwild bis hin zum Schaf oder Rotwild stehen alle Wildtiere auf dem Speiseplan des Jägers. Da er sich aber vor allem leichte Beute – also kranke und alte Tiere – holt, hält das die Population gesund, so der Naturschützer. "Also ich sehe in dem Wolf kein Risiko, aber das sehen natürlich die Schäfer schon wieder anders."

"Schön, dass sie wieder da sind"

Florian Lewin, 26, und Marie Kölbl, 24, auf Fotoausflug in der Heide, wussten nichts von dem Wolf. "Ich würde mega gerne mal einen Wolf fotografieren", sagt Lewin. "Aber lieber nicht bei Nacht im Wald", fügt er lachend hinzu.

"Solange die Tiere hier genug Platz haben, ist es super, dass sie hier sind. Es gibt hier ja mehr als genug Natur." Seine Freundin sieht das ähnlich. "Die Wölfe wurden ja fast ausgerottet. Schön, dass sie wieder da sind", so Kölbl. "Trotzdem wäre ich jetzt nachts definitiv vorsichtiger."

"Bald ist der Wolf auf den Geschmack gekommen"

Schäfer Johan Nesges ist da deutlich besorgter. Er hat Schafherden in ganz Brandenburg, eine davon in der Döberitzer Heide. Etwa 2.000 Schafe und Ziegen hält er dort. Auf diese Herde hat es bereits vier Wolfsangriffe gegeben. "Die Angriffe haben im Juni begonnen. Davor gab es hier nicht eine einzige Attacke durch Wölfe. Inzwischen habe ich schon zehn oder zwölf Tiere verloren", sagt Nesges.

Trotz erhöhter Schutzmaßnahmen, wie etwa mehr und höhere Zäune, sieht der Schafbesitzer pessimistisch in die Zukunft. "Die Intensität der Angriffe wird sich steigern. Bald ist der Wolf auf den Geschmack gekommen."

"Das ist wie Krieg"

Obwohl die Schutzmaßnahmen vom Land Brandenburg subventioniert werden und er für jedes verlorene Schaf 100 bis 130 Euro bekommt, ist der Schäfer unzufrieden. "Die Entschädigungen reichen zwar finanziell, aber der entstandene Schaden geht ja über das Geld hinaus. Das Emotionale wird einem nicht bezahlt."

Nesges hängt sehr an seinen Tieren, wie er sagt. Es gebe für ihn kaum etwas Schlimmeres, als an den Schauplatz eines Wolfsangriffes zu kommen. "Das ist wie Krieg. Man möchte das einfach nicht sehen. Halb tote, zerrissene Tiere. Einfach ein Blutbad. Das geht einem schon nahe."

Wenn er selbst auf seine Schafe aufpasst und weiß, dass es Wölfe geben könnte, schläft er unruhig, sagt er. "Man wird andauernd wach und denkt sich: Hoffentlich ist nichts passiert. Man ist einfach permanent unruhig." Auch die Maßnahmen, die er zum Schutz seiner Herde jetzt organisieren muss, machen ihm zu schaffen. Neue Zäune, mehr Personal. "Der Wolf hat mich vor große Schwierigkeiten gestellt."

Verwendete Quellen
  • Besuch und Gespräche in der Döberitzer Heide
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