"Offenbar kein Einzelfall" Nadelangriff im Berghain – Was steckt hinter dem Phänomen?
Nach einem Nadelangriff ist eine Besucherin im Berliner Technoclub Berghain zusammengebrochen. In anderen Ländern gibt es das Phänomen schon länger, doch vieles daran ist rätselhaft.
Vor Angriffen mit K.-o.-Tropfen im Nachtleben warnt die deutsche Polizei schon seit Jahren. Dabei mischen Täter betäubende Substanzen in die Getränke unachtsamer Gäste und nutzen dann die Hilflosigkeit ihrer Opfer aus. Doch was nun einer australischen Sängerin im Berliner Technoclub Berghain widerfahren ist, scheint eine neue Qualität zu haben.
Mit Atemnot sei sie auf der Tanzfläche zusammengebrochen, berichtete Zoé Zanias am Sonntag. Nachdem es ihr wieder besser gegangen war, entdeckte sie eine Einstichstelle an ihrem Arm. "Melde dich, wenn dir so etwas auch passiert ist", schreibt sie. "Das war offenbar kein Einzelfall".
Die meisten Nadelangriffe gab es in Großbritannien
Tatsächlich berichteten nur wenige Tage zuvor Jugendliche im nordrhein-westfälischen Werl von einer ähnlichen Attacke. Nach einem Discobesuch klagte eine 17-Jährige über Übelkeit, ihre 16-jährige Freundin spürte keine Auswirkungen. In beiden Fällen ist unklar, welche Substanzen die Angreifer verabreichten. Ein Massenphänomen scheinen die Nadelangriffe in Deutschland aber nicht zu sein – in anderen europäischen Ländern ist das Problem schon weiter verbreitet.
Die meisten Fälle von Nadelangriffen gab es bislang in Großbritannien, wo das Phänomen nach dem Ende der Corona-Maßnahmen seinen Höhepunkt erreichte. 1.382 Anzeigen registrierte die britische Polizei in diesem Zusammenhang in der zweiten Jahreshälfte 2021. In 14 Fällen kam es danach zu weiteren Vergehen wie sexuellem Missbrauch oder Diebstahl, die Polizei nahm mehrere Verdächtige fest.
Nadelangriffe in Frankreich: 80 Prozent der Opfer Frauen
Im Sommer 2021 wurden auch in Frankreich die ersten Nadelangriffe registriert: "Gehäuft haben sich die Fälle aber in diesem Frühjahr", sagte ein Sprecher des französischen Innenministeriums Euronews. Knapp 130 Anzeigen habe es seither gegeben. Bei 80 Prozent der Opfer habe es sich um junge Frauen gehandelt. Zu sexuellen Übergriffen oder anderen Vergehen an den Opfern äußerte sich der Sprecher nicht.
Berichte über Nadelangriffe kamen zuletzt auch aus den Niederlanden, wo die Nachtclubs im Februar wieder öffneten. Von einer "Handvoll" Fälle in Amsterdam und Groningen sprach die Polizei Mitte Mai, doch kurz darauf meldeten Clubbesucher in mehreren Städten Angriffe mit Injektionsnadeln, berichtet "de Volkskrant". In einigen Fällen hätten Mediziner bestätigt, dass es sich bei den Punkten auf der Haut der Opfer um Einstichstellen handelte.
"Vielleicht waren es gar keine Angriffe mit Spritzen"
Ob, und wenn ja, welche Substanzen bei den Angriffen verwendet wurden, sei aber kaum nachzuweisen, so "de Volkskrant". Wenn sich ein Opfer in die Notaufnahme begebe, werde dort in der Regel kein Drogentest vorgenommen. Und selbst wenn, könnten die nachgewiesenen Substanzen auch in Getränken gewesen sein.
Der Betäubungsmediziner Frank Huygen gibt außerdem zu bedenken, dass die meist als K.-o.-Tropfen verwendete Substanz GHB viel zu dickflüssig für einen Angriff mit einer Nadel sei – die Spritze müsste sehr dick sein, um die viskose Flüssigkeit zu verabreichen. Andere Substanzen seien wiederum nicht als Vergewaltigungsdroge geeignet, da ihre Wirkung nicht lang genug anhalte oder sie bei einem Drogentest nachweisbar wären.
Die Clubbetreiber sind alarmiert von der schlechten Presse und wollen Ängste vor möglichen Nadelangriffen zerstreuen: "Vielleicht waren es gar keine Angriffe mit Spritzen, sondern mit Zahnstochern, Scheren, Nägeln oder anderen spitzen Gegenständen", sagte Patrick Malvaës vom Verband der französischen Discobetreiber Euronews. "Außerdem gibt es keinen Beweis, dass GHB oder andere Substanzen verabreicht wurden. Von schweren Konsequenzen wurde nichts bekannt."