Messerkriminalität nimmt in Berlin zu Experte: Wer ein Messer mit sich führt, wird es irgendwann einsetzen
In Berlin werden immer häufiger Messer als Tatwaffe eingesetzt. Experten erklären, wer die Täter sind und ob Messerverbotszonen wirklich die Lösung sind.
Ein Mann rammt einem 34-Jährigen in Neukölln bei einem Streit ein Messer in den Hals. Der Schwerverletzte wird in ein Krankenhaus eingeliefert, wo er zwei Tage später stirbt. Am Bahnhof Gesundbrunnen verletzt ein Mann einen 26-Jährigen schwer. Die Tatwaffe: ein Küchenmesser. In Charlottenburg schießt die Polizei eine Frau nieder, die mit einem Messer auf Passanten losgeht.
Messerstechereien sind in der Hauptstadt keine Einzelfälle mehr. Die Statistik zeigt: Messerkriminalität nimmt zu. Das registriert nicht nur die Berliner Polizei, sondern auch die Charité, die einen Anstieg von Patienten mit schweren Stichverletzungen verzeichnet.
Messerverbotszonen in Berlin geplant
Die schwarz-rote Koalition will auf eine neue Maßnahme setzen: die Einführung von Messerverbotszonen in Berlin. In Großstädten wie Köln und Hamburg gibt es solche Zonen bereits. Dort kann die Polizei anlasslos kontrollieren, ob Passanten Waffen bei sich tragen. Die Polizei solle vorschlagen, wo solche Zonen in der Hauptstadt am sinnvollsten seien, sagte der innenpolitische Sprecher der CDU-Fraktion, Burkard Dregger, dem Tagesspiegel. "Es gibt keinen Ort in Berlin, den ich ausschließen würde", fügte er hinzu. Derartige Delikte seien über die ganze Stadt verteilt. Das Gesetz zu den Messerverbotszonen soll "noch in diesem Jahr" vom Abgeordnetenhaus verabschiedet werden.
Grundsätzlich befürworte man das Instrument der Messerverbotszonen, sagte Lars Wendland, Vorsitzender der Gewerkschaft der Polizei für Bundespolizei/Zoll Berlin-Brandenburg, der Berliner Zeitung. "Aber es gehört mehr dazu", merkt Wendland an. Die Polizei brauche vor allem "mehr Personal und Technik, um die Gesetze auch kontrollieren zu können".
Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) kündigte unterdessen an, angesichts der stetig steigenden Zahl von Messerattacken das Waffenrecht bundesweit zu verschärfen. Demnach sollen Messer in der Öffentlichkeit nur noch bis zu einer Klingenlänge von sechs statt bisher zwölf Zentimetern geführt werden dürfen. Für Springmesser soll es ein generelles Umgangsverbot geben. Berlins Innensenatorin Iris Spranger (SPD) unterstützte das Vorhaben, merkte aber an, dass die Bundesregierung bei diesem Thema kein Tempo an den Tag lege. Man habe das Bundesinnenministerium "schon vor Längerem" aufgefordert, eine Verschärfung des Waffenrechts vorzunehmen, so Spranger.
Männer führen häufiger Messer mit sich
Professor Andreas Heinz ist Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie an der Berliner Charité. Den Ansatz, bestimmte Messer in der Öffentlichkeit zu verbieten, findet der Mediziner richtig. Der Grund: Wenn Menschen, vor allem junge Männer, mitbekommen, dass Messerkriminalität zunehme, sinke bei manchen die Hemmschwelle, selbst ein Messer zur Selbstverteidigung bei sich zu haben – und es irgendwann auch einzusetzen.
"So eine Messerattacke ist auch nicht immer geplant, sondern häufig eine Reaktion", sagte Andreas Heinz dem rbb. Das Mitführen eines Messers führe aber selten zu mehr Sicherheit, sondern zu einer Gewaltspirale von noch mehr Messergewalt. Ein Verbot könne zumindest dazu führen, dass weniger Menschen ein Messer zur Hand hätten, das sie bei einem Streit spontan einsetzen könnten.
Doch mit einem Verbot allein ist es nicht getan. Im Jahr 2022 war in Berlin jeder Dritte, der an einer Gewalttat mit einem Messer beteiligt war, unter 21 Jahre alt. Die Lösung sieht Heinz daher vielmehr in Gewaltpräventionskursen an Schulen, damit Messer gar nicht erst mitgenommen werden und zum Einsatz kommen.
Der Gewaltforscher Prof. Dirk Baier beobachtet bundesweit einen anhaltenden Trend zur Messerbewaffnung bei Jugendlichen. Vor allem junge Männer ohne Erfolgserlebnisse würden sich mit Messern ausrüsten, um sich aufzuwerten und stärker zu fühlen, erklärt er in der Sendung "SWR1 Leute": "Da ist ein Messer ein super Symbol, um ein kerniger Macho zu sein. Zu signalisieren: Auch ich bin gefährlich, ich bin wer."
Messergewalt und Migration
Mit dem Anstieg der Messerkriminalität rücken nicht nur junge Männer, sondern auch Migranten in den Fokus. "Nach unseren Zahlen ist die Gewalt in Berlin jung, männlich und hat einen nicht-deutschen Hintergrund. Das gilt auch für Messergewalt", sagte Berlins Polizeipräsidentin Barbara Slowik im Juni in einem Interview mit ntv. In der Öffentlichkeit wird seit Längerem hitzig darüber diskutiert, ob die Gewaltbereitschaft von Ausländern und männlichen Migranten in Deutschland höher ist als von Einheimischen.
Kriminalität im Kontext von Zuwanderung zu betrachten, sei komplex, sagt der Kriminologe Dirk Baier gegenüber Focus. Man versuche zu schnell, vermeintliche Gemeinsamkeiten zwischen unterschiedlichen Taten herzustellen. "Die ausländische Herkunft ist oft das Erste, was auffällt – aber die Ursachen für kriminelles Verhalten liegen tiefer", so Baier.
Bundesweit sind bei neun von zehn Messerattacken die Täter männlich und auch deutscher Nationalität. Viel wichtiger sei es, auf gemeinsame Merkmale wie Geschlecht, psychische Probleme, Milieu, Bildung zu schauen. "Deutschland ist ein sehr sicheres Land, nur ist das vielen Menschen nicht bewusst. Wir müssen die Dinge, die passieren, besser einordnen", sagt Baier.
Gewalt auch kulturell bedingt
Dem widerspricht der Migrationsforscher Stefan Luft vom Institut für Politikwissenschaft der Universität Bremen. Kulturelle Faktoren dürften bei Kriminalitätsstatistiken nicht völlig ausgeblendet werden, sagt der Wissenschaftler in einem Interview mit der "Berliner Zeitung". So hätten Forscher in Studien festgestellt, dass zum Beispiel bei Menschen muslimischen Glaubens aufgrund von "gewaltlegitimierenden Männlichkeitsnormen" die Bereitschaft zu Gewalt überdurchschnittlich hoch sei. Dass der Anstieg der Messerkriminalität auf verstärkte Zuwanderung zurückzuführen sei, sei daher laut Luft "völlig klar".
Der Berliner Senat hat sich im Mai dieses Jahres zur Zunahme der Messerkriminalität in der Kriminalstatistik 2023 geäußert. Untersuchungen hätten in den vergangenen Jahren ergeben, dass es "in bestimmten Kreisen" angesagt sei, ein Messer mit sich zu führen. Die Messer würden dann auch bei Streitigkeiten spontan gezückt.
Im Jahr 2023 erfasste die Berliner Polizei in ihrer Kriminalstatistik insgesamt 3842 Fälle im Bereich der Messerkriminalität. Darunter sind auch zahlreiche Taten, bei denen mit einem Messer gedroht, es aber nicht eingesetzt wurde. Gegenüber dem Vorjahr ist dies ein Anstieg um 525 Fälle. Von den 2.575 Tatverdächtigen bei Delikten mit Messereinsatz in Berlin hatten im vergangenen Jahr rund 1.000 Personen ausschließlich die deutsche Staatsangehörigkeit. Rund 1.370 Personen hatten eine andere Staatsangehörigkeit, rund 200 Personen eine andere und die deutsche Staatsangehörigkeit.
- tagesspiegel.de: "Schwarz-Rot will Messerverbotszonen einführen" (kostenpflichtig)
- checkpoint.tagesspiegel.de: "Schutz vor Messerangriffen in Berlin: Polizei begrüßt geplante Einführung von Messerverbotszonen"
- rbb24.de: "Bestimmte Messer zu verbieten, finde ich sehr nachvollziehbar"
- swr.de: "Tatwaffe Messer – Ursachen und Folgen eines Gewaltphänomens"
- berliner-zeitung.de: "Messerangriffe nehmen nicht nur in Deutschland zu: Was tun andere Länder gegen das Töten?"
- n-tv.de: "Slowik zu Messergewalt: 'Jung, männlich und nicht-deutscher Hintergrund'"
- focus.de: "Interview mit Kriminologe Dirk Baier - Experte: Wir haben ein Messerproblem - aber Fokus auf Migranten greift zu kurz"
- berliner-zeitung.de: "Zehn Messerangriffe am Tag in Berlin, Tatverdächtige meist Ausländer: "Kein Zufall'"
- morgenpost.de: "Straftaten mit Messern in Berlin: Was über die Täter bekannt ist"