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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Nach Aufregung im Vorort Löwen-Jagd in Kleinmachnow: Bürgerin fühlt sich "verschaukelt"
Mehrere Tage lang hat das Video einer angeblichen Löwin den Berliner Vorort Kleinmachnow in Atem gehalten. Es stellte sich heraus: Die Löwin war ein Wildschwein. Was sagen die Bürger heute?
Er hätte gerne 1.000 Gramm Lachs, sagt der mittelalte Mann an einem Fischstand im Zentrum Kleinmachnows. Lachssalat solle es am Abend werden. Nebenan, bei einem Obst- und Gemüsehändler, erzählt eine Frau von ihrem bevorstehenden Urlaub. Es gehe an die Ostsee, zwei Wochen lang. Man merkt ihr die Vorfreude an. Und bei einem Bäcker an der Ecke bestellen die Kunden ohne viele Worte Bio-Brötchen und Espresso Macchiato.
Hier am Rathausmarkt von Kleinmachnow, direkt vor den Toren Berlins, sind die Gesprächsthemen wieder die alten. Nur sieben Tage zuvor war das noch anders. Da machte ein kurzes, körniges Video im Internet die Runde – und Kleinmachnow weltweit bekannt.
Es waren wenige Sekunden Bewegtbild eines Tieres, die rund um den Globus viele Menschen denken ließen, eine Löwin streife durch die Wälder südwestlich der Hauptstadt. Dass das Bildmaterial ein Wildschwein zeigte, konnte da noch niemand mit Sicherheit sagen. Und deshalb gab es nur ein Gesprächsthema: die angebliche Löwin.
Wildschweine sorgen in Kleinmachnow nicht für Aufregung
Ein Video von einem Wildschwein hätte in Kleinmachnow auch gar nicht erst für Gesprächsstoff gesorgt. Denn mit Wildschweinen haben die Menschen hier gelernt zu leben. So wie eine Amerikanerin, die es sich am Rathausmarkt auf einer Bank gemütlich gemacht hat. Sie lebt im Nachbarort Stahnsdorf. Sie berichtet, wie normal Begegnungen mit Wildschweinen hier seien. Angst habe sie vor diesen nicht. Aber eine Löwin?
Am Tag der vermeintlichen Raubkatzensichtung hätten ihre Freunde und Familie in der Heimat die Nachrichten gesehen und sich verwundert bei ihr gemeldet. Bis in die USA hatte es die Meldung von der angeblichen Löwin gebracht. Da war der Rathausmarkt bereits wie leergefegt, die Händler hatten am Morgen nicht mit dem Verkauf ihrer Waren beginnen dürfen. Man wollte vermeiden, dass die Menschen trotz aller Löwenwarnungen zum Einkaufen kommen würden.
Eine Woche später ist in Kleinmachnow von den Wellen, die der kleine deutsche Vorort national und international geschlagen hat, nichts mehr zu merken. Der Rathausmarkt ist gut besucht, alles ist normal.
Zu dieser Normalität gehört jetzt nur noch eine Wildtier-Art: das Wildschwein. Eine ältere Dame erzählt von einer früheren Begegnung mit einem solchen: "Das hat mit mir an der roten Ampel gewartet. Und bei Grün haben wir zusammen die Straße überquert." Überprüfen lässt sich das natürlich nicht. Und doch zeigt auch diese Geschichte, wie normal Begegnungen mit Wildschweinen südwestlich von Berlin wohl sind. Einen Schrecken würden ihr Tiere jedenfalls nicht einjagen, sagt die Dame und lächelt verschmitzt. Der Rummel um die Löwin scheint ihr nichts ausgemacht zu haben.
Kleinmachnows Bürgermeister: "Die Löwensuche war gute Werbung"
Nur die Verkäuferin eines Obst- und Gemüsestandes sagt, sie fühle sich davon "verschaukelt". Die Presse habe nur das Sommerloch füllen wollen, vermutet sie. Auch Kleinmachnows Bürgermeister Michael Grubert sieht das so: "Da ist schon etwas Wahres dran. Im September wäre nicht einmal die Hälfte der Journalisten dagewesen." Und doch sieht der Lokalpolitiker den Nutzen hinter dem Medien-Hype. Das Ereignis habe die Menschen im Ort zusammengeschweißt. Und die Löwensuche sei gute Werbung für Kleinmachnow gewesen: "Viele kennen uns jetzt, die vorher noch nicht einmal wussten, wo Kleinmachnow liegt."
Am Obst- und Gemüsestand sieht man das etwas anders. Chef Wolf Joachim sagt, er brauche keine Werbung: "Wo ich bin, kennt man mich." Die Ansichten eines Bürgermeisters und die eines Händlers – sie können sehr verschieden sein. Und doch ist Joachim zufrieden mit dem Krisenmanagement des Bürgermeisters während der Löwensuche: "Er hat gut reagiert."
Die Kleinmachnower nehmen die Aufmerksamkeit, die ihr Ort zuletzt erfahren hat, insgesamt sehr locker. Nicht wenige schmunzeln über das Thema. Jetzt geht es eben wieder um die Wildschweine. Und außerdem hat die Löwensuche – genau wie die angebliche Löwin selbst – keine Spuren hinterlassen. Der Blumenhändler am Rathausmarkt sagt: "Das hat uns nicht geschadet." Währenddessen bringt der Fischhändler weiter Fisch unter die Leute. Es gibt Lachs.
- Reporter vor Ort
- Eigene Recherche