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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Feuerwehrmännern blieb nur die Flucht "Erstes Mal, dass wir ein Feuer einfach brennen lassen mussten"
Ein Feuerwehrmann berichtet über die Böller-Eskalation in der Berliner Silvesternacht. Er ist schockiert und spricht von "geplanten Hinterhalten".
Baris Coban hat in seiner Karriere als Feuerwehrmann schon einiges erlebt. Seit zwölf Jahren fährt er in Berlin Einsätze im Rettungsdienst und mit Löschfahrzeugen. Die Eskalation in der Silvesternacht sei jedoch eine neue Dimension der Gewalt gegen Einsatzkräfte, sagt der 34-Jährige im Interview mit t-online.
Coban war am Silvesterabend in der Nachtschicht mit einem Löschfahrzeug in Neukölln unterwegs. "Auffällig war, dass wir schon vor Mitternacht sehr viele Brände zu löschen hatten." Bei früheren Silvestereinsätzen habe er vor allem kleinere Feuer löschen müssen, etwa brennende Mülleimer. "Diesmal waren aber Wohnungen, Autos und Balkone betroffen", sagt Coban.
Nach Mitternacht ging es dann so richtig los. Das Problem: Er und seine Kollegen mussten nicht nur viele Feuer bekämpfen, sondern wurden dabei auch immer wieder von Feiernden auf der Straße attackiert. "Dass Löschfahrzeuge an Silvester mit Pyrotechnik beschossen werden, kennen wir schon. Was aber diesmal anders war: Die Attacken wirkten koordiniert." Coban spricht von "geplanten Hinterhalten."
Attacke mit Böllern und Schreckschusswaffen
Ein Beispiel dafür: Nach Mitternacht seien er und seine Kollegen unterwegs zu einem brennenden Reisebus in der Sonnenallee gewesen. Auf der Anfahrt hätten sie aber plötzlich stoppen müssen, weil auf der Straße eine Barrikade aus brennenden Mülltonnen und E-Scootern errichtet worden sei, sagt Coban. "Als wir ausgestiegen sind, wurden wir von Hunderten Jugendlichen gezielt mit Böllern, Steinen und Flaschen beworfen. Einige haben gezielt mit Schreckschusswaffen auf uns gefeuert", berichtet der Feuerwehrmann. "Wir waren komplett überfordert."
Ihm und seinen fünf Kollegen sei nur noch die Flucht geblieben. "Es war das erste Mal, dass wir ein Feuer einfach brennen lassen mussten. Aber wir haben nichts mehr gehört oder gesehen, wir mussten da weg", sagt Coban. Verletzt hätten er und seine Kollegen sich glücklicherweise nicht. "Aber ich habe von vielen anderen ähnliche Geschichten gehört. Insgesamt wurden in der Nacht 15 Einsatzkräfte verletzt, das ist eine neue Dimension."
"Als Antwort bekam ich nur wüste Beleidigungen"
Coban rätselt über die Motive der Gewalttäter. Die Attacken seien von jungen Männern im geschätzten Alter zwischen 15 und 25 Jahren gekommen. Einen der Jugendlichen habe er beiseite genommen und gefragt, was das solle. "Als Antwort bekam ich nur wüste Beleidigungen." Coban glaubt, dass die Situation aus einer Gruppendynamik heraus eskaliert ist. "Die Anonymität, wenn ich mit Hunderten anderen auf der Straße stehe, lässt die Hemmschwelle sicher sinken", sagt er.
Was ändert diese Nacht für Baris Coban? Er habe Sorge, dass er anfange zu stigmatisieren und Leute in eine Schublade zu stecken. "Denn, und das sage ich als Türke: Die meisten Jugendlichen hatten Migrationshintergrund." Das sei aber nur die eine Seite der Geschichte. Der brennende Reisebus in der Sonnenallee habe direkt unter einem über die Straße gebauten Haus gestanden. "Da waren es auch junge Leute mit Migrationshintergrund, die Anwohner aus den verrauchten Wohnungen geholt haben, bevor wir da waren. Die haben da Heldentaten vollbracht", sagt Coban.
"Man muss den Jungs die Gesichter hinter der Uniform zeigen"
Coban glaubt, dass Böllerverbotszonen, wie es in Berlin in diesem Jahr drei gab, nichts bringen. Das verlagere das Problem nur. Er fordert dagegen mehr Videoüberwachung an bekannten Brennpunkten. Auch Kameras an den Einsatzfahrzeugen halte er für sinnvoll. Außerdem findet er, dass man auf die Jugendlichen zugehen solle. "Man muss den Jungs die Gesichter hinter der Uniform zeigen." Vielleicht könne man sie damit dazu bringen, ihr Handeln zu überdenken.
Die Berliner Gewerkschaft der Feuerwehr fordert indes konkrete Maßnahmen von der Politik. "Diesen Menschen muss man das kriminelle Handeln in Zukunft deutlich erschweren", sagt Sprecher Manuel Barth. Vorstellbar sei etwa, dass Feuerwerk nur noch in begrenzter Menge abgegeben werden darf. Es müsse grundsätzlich darüber diskutiert werden, wie sinnvoll das Abbrennen von Feuerwerk in einer Großstadt sei, schon aus Gründen des Brandschutzes. Nach den Erlebnissen der Silvesternacht greife das jedoch zu kurz. "Denn damit sind Hinterhalte und Angriffe mit Eisenstangen und Steinen noch nicht erklärt", sagt Barth.
- Telefonisches Interview mit Feuerwehrmann Baris Coban
- Schriftliches Statement von Manuel Barth, Sprecher der Deutschen Feuerwehr-Gewerkschaft Berlin-Brandenburg