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Zum journalistischen Leitbild von t-online."Wir schuften und ihr kultet das ab" Von Lieferando-Party ausgeladen: Fahrer protestieren
Lieferando veranstaltet eine hippe Poolparty für Mitarbeiter, die Fahrer müssen draußen bleiben – und protestierten deshalb vor dem Berliner Club.
Einen Pool haben sie beide, für dasselbe Unternehmen arbeiten sie auch: Lieferando. Da enden die Gemeinsamkeiten aber auch schon. Die einen, das sind die Büro-Mitarbeiter des Lieferriesen. Sie feiern an diesem Freitagabend eine Party im angesagten Berliner Beachclub Haubentaucher in Friedrichshain. Der Pool dort ist 240 Quadratmeter groß.
Und da sind noch die anderen: die, die nicht rein dürfen. Fahrerinnen und Fahrer von Lieferando. Sie protestieren vor dem Club gegen die Veranstaltung. Und haben einen aufblasbaren Pool dabei.
Schon die Einladung zu der Veranstaltung hatte einige Wellen geschlagen. Das "Lieferando Workers Collective" (LWC), das sich schon länger für bessere Arbeitsbedingungen bei dem Lieferdienst einsetzt, hatte sie auf Twitter veröffentlicht. "Let's go and meet at the pool", heißt es darin. Eingeladen seien ausschließlich Mitarbeiter von Lieferando aus Deutschland und Österreich. "Ausgenommen sind Fahrer und Zeitarbeiter." Für leckeres Essen und erfrischende Drinks sei selbstverständlich gesorgt.
Nicht nur Lieferando-Fahrer beim Protest in Berlin
"Wir finden diese Party scheiße, weil Lieferando Geld verprasst und uns damit deklassifiziert", sagt Mo. Er ist seit mehreren Jahren Lieferando-Kurier, oder "Rider", wie sie sich selber nennen. Außerdem ist er Teil des LWC. Er hat den Protest mit organisiert. "Diese Veranstaltung ist nur ein weiteres Beispiel dafür, das Lieferando uns nicht als vollwertige Angestellte ansieht", sagt er.
Etwa 50 Menschen sind am Freitagabend dem Protestaufruf gefolgt. Nicht alle fahren für Lieferando, auch Mitarbeiter von Flink oder Gorillas haben sich der Aktion angeschlossen. Gemeinsam stehen sie in der Nähe des Haubentaucher-Eingangs auf dem RAW-Gelände. Wer auf die offizielle Party möchte, muss hier vorbei.
Viele Partygäste ignorieren den Protest, einer stimmt zu
Den geladenen Gästen ist das sichtlich unangenehm. Mit starr nach vorne gerichtetem Blick stapfen die meisten am Protest vorbei Richtung Party, Richtung der fünf breiten Türsteher, die den Einlass kontrollieren. Anfragen nach Interviews werden wirsch abgewiesen. Die Demonstrierenden stimmen immer wieder Sprechchöre an: "Schämt euch, schämt euch." Eine Reaktion erhalten sie nicht.
Dann reagiert plötzlich doch einer. Ein junger Partygast reißt seine linke Faust im Vorbeigehen in die Luft. "Bleib doch draußen, wir feiern hier auch", sagt eine Protestlerin. Und wirklich, er stellt sich kurz dazu. "Ihr habt schon recht, dass es eine gewisse Zweiklassengesellschaft gibt bei Lieferando", sagt der Mann, der im Vertrieb arbeitet und seinen Namen nicht nennen möchte. Er könne zwar verstehen, dass auch während der Party Essen ausgeliefert werden müsste. "Die Rider, die keine Schicht haben, hätte man aber einladen sollen", sagt er.
Aber um den laufenden Betrieb geht es bei dem Party-Verbot für die Fahrer gar nicht, sagt Oliver Klug, Pressesprecher von Lieferando zu t-online: "Andere Unternehmen veranstalten auch verschiedene Feiern für verschiedene Abteilungen. Das ist total normal."
Die Büromitarbeiter hätten weite Teile der letzten Jahre pandemiebedingt im Home Office verbracht und sollten mal wieder die Möglichkeit bekommen, zusammen zu feiern. Für die Fahrerinnen und Fahrer gebe es andere Veranstaltungen, zum Beispiel Grillabende und Stammtische.
"Seit ich bei Lieferando arbeite, gab es keine einzige Party für Fahrer", sagt Mo. Mehrere der Protestierenden bezeichnen die angeblichen Grillabende als "Lüge". Die Stammtische gebe es seit kurzem aber wirklich. "Von 1.700 Ridern konnten daran etwa 20 teilnehmen. Es gab ein Freigetränk und sie wollten, dass wir unentgeltlich unsere Bildrechte abtreten, damit sie das Ganze PR-technisch ausschlachten", sagt Mex, die seit etwa einem halben Jahr für Lieferando fährt, ins Mikrofon an die Protestierenden gerichtet.
Ein Partygast steht vor dem Clubeingang, beschlagenes Weißweinglas in der Hand, hört kurz zu und geht dann wieder rein.
Rider erheben schwere Vorwürfe gegen Lieferando
In ihren Redebeiträgen erheben die Rider weitere schwere Vorwürfe. In den vergangenen Monaten seien viele Fahrer kurz vor Ende der Probezeit gekündigt oder "rausgemobbt" worden. Außerdem würden immer weniger Schichten verteilt, weil es immer weniger Bestellungen gebe und Lieferando viel zu viele Fahrer angestellt habe. Pressesprecher Klug sagt, dass das Liefergeschäft saisonal sei und es sein könne, dass es weniger Schichten gebe. Das pandemiebedingt historisch hohe Bestellvolumen des Winters sei abgeflaut. Die Rider seien aber fest angestellt und bekämen die Stunden bezahlt, die in ihrem Vertrag stünden, auch ohne Schichten.
Die Rider des LWC wiederum behaupten, dass das nicht immer passiere. Seinen Lohn für nicht erhaltene Schichten bekommt nur, wer penetrant darauf beharre. Klug streitet das ab. "Das wäre illegal, das passiert nicht", sagt er.
Insgesamt bleibt der Protest ruhig. Die einen lauschen draußen den Redebeiträgen und buhen mal kurz, während die anderen vorbeilaufen. Wirklich sauer werden die Rider nur kurz wegen der Kleidung einiger Partygäste. Neben dem üblichen Partystyle tragen einige nämlich die typischen orangenen Lieferandojacken. "Das ist so dreist, das tragen eigentlich nur die Rider", ruft einer der Protestierenden. "Wir schuften darin und ihr kultet das ab."
- Eigene Beobachtungen vor Ort