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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Geheimprojekt im Zweiten Weltkrieg Ein gigantischer Flugzeugträger aus Eis sollte Hitlers U-Boote stoppen
Schiff für Schiff versenkten die deutschen U-Boote, dann holten die Briten zum Gegenschlag aus. Mithilfe von Eis. Der größte Flugzeugträger aller Zeiten sollte die Wende im Atlantikkrieg bringen.
Drei lange Jahre hatten die Briten der deutschen Kriegsmaschinerie getrotzt. Doch 1942 drohte der bislang übermächtige Gegner, dem Vereinigten Königreich die sprichwörtliche Lebensader abzuschnüren. Fern von Europa lauerten inmitten des Atlantiks deutsche Unterseeboote, Wolfsrudeln gleich, den alliierten Geleitzügen auf.
"Tonnagekrieg" nannte sich die Strategie von Hitlers Kriegsmarine. Wenn die U-Boote nur ausreichend Versorgungsschiffe aus Amerika gen Großbritannien versenkten, würde das Inselreich schon zusammenbrechen. "Die einzige Sache, die mich während des Krieges wirklich geängstigt hat, war die Bedrohung durch U-Boote", sollte Winston Churchill, Großbritanniens großer Kriegspremier, später die deutsche Vermutung stützen.
Besuch beim badenden Premierminister
Die gefürchteten deutschen "Wolfsrudel" mussten also aufgehalten werden. Aber wie nur? Die Lösung platschte eines Tages im Jahr 1942 in Churchills Badewanne. Der Legende nach hatte sich der Marineoffizier Lord Louis Mountbatten Zugang zum Badezimmer des Premierministers verschafft – und einen Brocken Eis mit darin vermischten Sägespänen ins Wasser der Wanne platziert.
Was Churchill von der Störung hielt, ist unbekannt. Vom Eisklotz war Hitlers ausdauerndster Gegner aber angetan. Denn das gefrorene Wasser mit Holzzusatz war der vermeintliche Schlüssel, um dem Unwesen der deutschen U-Boote ein Ende zu bereiten. Inmitten des Atlantiks klaffte zu dieser Zeit eine gewaltige Lücke innerhalb der alliierten Luftaufklärung, eine Art Schwarzes Loch, durch das sich die Transportschiffe gen Großbritannien gewissermaßen blind vortasten mussten. Während feindliche U-Boote sie im Nordatlantik wie Raubtiere umkreisten.
Deren Mission wäre allerdings empfindlich gestört gewesen, wenn die Verbündeten gegen Hitler eine Basis im fraglichen Gebiet gehabt hätten. Ein Flugzeugträger musste also her, ein möglichst großer. Nur kamen die Schiffswerften ohnehin kaum mit der Arbeit hinterher, Ressourcen wie Stahl waren knapp bemessen. Eis hingegen ließ sich in Hülle und Fülle herstellen. Warum bauen wir dann nicht einen Flugzeugträger aus dem gefrorenen Element, dachte sich Geoffrey Pyke.
Zur Pistole gegriffen
Pyke, seines Zeichens Tüftler und Journalist, hatte beste Beziehungen zu Lord Mountbatten, der 1942 zum Chef des britischen Combined Operations Headquarters avanciert war. Mit Mountbattens Rückendeckung wollte sich Pyke zunächst vor Grönland einen Eisberg "angeln". Keine gute Idee, denn zwar sandte ein Eisberg 1912 die angeblich unsinkbare "Titanic" auf den Grund des Meeres. Aber grundsätzlich sind die Giganten aus Eis eher labil. Zumindest für militärische Anforderungen.
Das Eis musste also stabiler werden, viel stabiler. Pyke griff dafür auf Sägespäne zurück. Richtig, Sägespäne. Wie in Churchills Badewanne. Denn im passenden Verhältnis gemischt (am besten 86 Prozent Wasser, 14 Prozent Sägemehl), ergibt sich daraus eine Art Super-Eis. In aller Bescheidenheit erhielt der Verbundwerkstoff den Namen "Pykrete". Nach PYKes Nachnamen und dem englischen Wort für Beton: "concRETE".
Denn allen Eingeweihten erschien Pykrete wie der widerstandsfähige Baustoff, nur dass diese Form eben auch schwimmen konnte. Der praktische Beweis erfolgte im August 1943 bei einer Zusammenkunft Churchills mit US-Präsident Franklin D. Roosevelt in Kanada. Mountbatten ließ dazu Eisbrocken auffahren, einer aus Pykrete, einer aus reinem Wasser.
Mit seiner Waffe eröffnete der Brite vor den versammelten Politikern und Offizieren das Feuer auf die Eisblöcke. Der aus Wasser zerbröckelte erwartungsgemäß. Das Pykrete erwies sich hingegen tatsächlich als eine Art Beton. Die Kugel prallte ab – der Querschläger raste durch den Raum. Begeisterung brandete schnell auf.
Eine Gigantin der Meere
Pykes Vision eines Super-Flugzeugträgers war nun Gegenstand der Diskussion. Rund 600 Meter lang sollte er sein, gut 180 Meter breit. 200 Kampflugzeuge vom Typ "Spitfire" hätten auf ihm Platz finden können, dazu Bomber, um endlich den gefürchteten U-Booten etwas entgegensetzen zu können. Der Flugzeugträger selbst sollte zum Schutz vor Angriffen vor Abwehrgeschützen nur so strotzen.
Das Bestechende an der Idee des schwimmenden Flughafens aus Eis bestand aber darin, dass er unsinkbar gewesen wäre. Denn Pykrete ging nicht unter. Falls doch ein Treffer die bis zu zwölf Meter dicken Wände beschädigt hätte, wäre der Schaden mit etwas Wasser und Kälte schnell zu reparieren gewesen.
Mit "Projekt Habbakuk" (die Schreibweisen variieren) war auch ein einleuchtender Name für das Unternehmen gefunden, der Prophet Habakuk stand Pate. "Seht auf die Völker, schaut hin, staunt und erstarrt!", so heißt es im Alten Testament (Hab 1,5). "Denn ich vollbringe in euren Tagen eine Tat – würde man euch davon erzählen, ihr glaubtet es nicht." Für unglaublich hielten allerdings amerikanischen Experten die britischen Pläne – zu Pykes Leidwesen.
Den "Wölfen" ging es an den Kragen
Das etwa 18 Meter lange, in Kanada gefertigte Modell der "Habbakuk" erwies sich zwar als durchaus überzeugend. Was aber, wenn das Monster aus Eis tatsächlich in einer Größenordnung von mehr als einem halben Kilometer Länge gebaut worden wäre? Hunderttausende Pykrete-Blöcke wären dafür nötig gewesen. Dazu eine gewaltige Menge an Stahl, für Geschütze, Deckaufbauten oder Röhren. Stahl, der eigentlich durch die aus Eis bestehende "Habbakuk" hätte eingespart werden sollen.
Zwar schmilzt Pykrete im Vergleichz zu normalem Eis wesentlich langsamer. Gleichwohl wäre die notwendige Kühlung der schwimmenden Festung eine technische Herausforderung der Superlative gewesen. Und eine kostenintensive obendrein. 80 Millionen Dollar Baukosten wurden der "Habbakuk" prophezeit. Von den benötigten gigantischen Treibstoffmengen noch gar nicht zu reden. So blieb der Super-Flugzeugträger nichts als Wunschdenken.
Denn 1943 hatte sich der Krieg im Atlantik allmählich zugunsten der Alliierten gewendet. Ihre Bomber waren leistungsfähiger geworden, zahlreiche "gewöhnliche" Flugzeugträger aus Stahl waren zudem bereit zum Einsatz. Dazu konnten die alliierten Flieger nun früher verwehrte Territorien wie die portugiesischen Azoren als Basis nutzen.
Das Schwarze Loch im Ozean "schmolz" so immer weiter zusammen, die deutschen Unterseeboote wurden immer effektiver bekämpft. Geoffrey Pyke hatte aber schon bald die nächste Idee. Warum sollten Rohrpostsysteme nur Nachrichten befördern? Warum nicht auch Soldaten? Doch dieser Vorschlag war nun sogar Louis Mountbatten zu verrückt.
- Eigene Recherche
- Mare 92: Eskalter Krieg
- Karal Ann Marling: Ice, 2008
- L.D. Cross: Code Name Habbakuk, Victoria u.a. 2012
- Ian Graham: From Fail to Win!, London 2011
- Welt: Ein Flugzeugträger aus Eis gegen deutsche U-Boote
- Spiegel: Churchills tiefgefrorenes Monsterschiff
- Dokumentation: Wunderwaffen und Rohrkrepierer. Erfindungen im Zweiten Weltkrieg
- Dokumentation: Krieg der Spinner. Die grössten Rüstungsflops der Geschichte