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Wiedervereinigung – DDR-Architektur auf Usedom: Zwischen Abriss und Comeback


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Zinnowitz, Ückeritz, Ahlbeck
Zwischen Abriss und Comeback: DDR-Architektur auf Usedom


Aktualisiert am 03.10.2020Lesedauer: 6 Min.
Kulturhaus Zinnowitz: Das Foto zeigt eine Aufnahme von 2015. Zurzeit ist der Komplex abgesperrt und soll saniert werden.Vergrößern des Bildes
Kulturhaus Zinnowitz: Das Foto zeigt eine Aufnahme von 2015. Zurzeit ist der Komplex abgesperrt und soll saniert werden. (Quelle: BildFunkMV/imago-images-bilder)
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Die Ostseeinsel ist vor allem für ihre noblen Strandvillen bekannt. Dabei lohnt 30 Jahre nach der Wiedervereinigung mancherorts ein Blick auf das bauliche Erbe der DDR – wenn es denn noch steht.

Bis zur Wende im Herbst 1989 ist die Ostseeküste für DDR-Bürger das Urlaubsziel Nummer eins. Doch Plätze in Ferienunterkünften sind Mangelware – und dementsprechend heiß begehrt. Das weiß der 1947 gegründete Freie Deutsche Gewerkschaftsbund (FDGB). Er vermittelt Urlaubsreisen innerhalb der DDR, zusammen mit den volkseigenen Betrieben.

Deshalb steckt der FDGB-Feriendienst Millionen von DDR-Mark in den Neubau von Ferien- und Erholungsheimen. Zudem werden Betriebsferienhäuser aus dem Boden gestampft. Auch auf Usedom, einer der beliebtesten Ostseeinseln, entstehen in 40 Jahren staatlich organisierten Urlaubs viele Unterkünfte – allerdings häufig ohne architektonischen Bezug zu der gewachsenen Bäderarchitektur.

Nach dem Ende der DDR und der Auflösung des FDGB im Herbst 1990 scheint für viele Häuser die Zeit abgelaufen, denn: Was kann am baulichen Erbe einer Diktatur schön und erhaltenswert sein? Jetzt, 30 Jahre nach der Wiedervereinigung, lohnt dennoch ein Blick auf den Ist-Zustand der DDR-Architektur auf Usedom. Ein Inselspaziergang von Zinnowitz nach Ahlbeck.

Zinnowitz: Kulturhaus "Deutsch-Sowjetische Freundschaft"

Man braucht schon ein wenig Fantasie, um sich vorzustellen, dass diese Ruine einst das erste Haus am Platz war. Damals, als der Mittelbau des Zinnowitzer Kulturhauses am 1. Juli 1954 eingeweiht wird. Innen großes Foyer, Theater und Kinosaal mit 900 Plätzen. Außen vorgelagerte Freitreppe und monumentale Pfeiler. Drei Jahre später kommen noch zwei imposante Seitenflügel mit Speisesaal, Tanzcafé und Bibliothek dazu. "Stalin-Barock" in Reinform, der auch heute noch ein wenig einschüchtert.

Jahrzehnte lang ist das Kulturhaus das kulturelle Zentrum im westlichen Teil der Insel Usedom. Doch seit dem Ende der DDR steht der Kulturtempel leer. Und verfällt.

Das Zinnowitzer Kulturhaus gehört in der DDR zu einer ganzen Reihe von Gebäuden, die in den 1950er-Jahren entstehen. Dort sollen sich die Werktätigen erholen, aber auch im Geist des Sozialismus erzogen werden. In Zinnowitz sind das vor allem Bergarbeiter der Sowjetisch-Deutschen-Aktiengesellschaft, kurz: SDAG Wismut. Die Kumpels bauen im Süden der Republik das seltene Uran ab. Das braucht die UdSSR für ihre Atombomben. Dabei ruinieren die Arbeiter aber ihre Lungen. Die frische Ostseeluft soll Krankheiten wie Krebs vorbeugen.

Nach der Wiedervereinigung übernimmt die Treuhand den Kulturtempel. Und versucht, das Areal zu verkaufen. Doch verschiedene Nutzungskonzepte scheitern. Investoren kommen und gehen. Ironie der Geschichte: Jetzt soll im ehemaligen Arbeiterpalast eine exklusive Wohnanlage entstehen.

Zinnowitz: Ferienheim "Ernst Thälmann"

Das erste, 1958 neu erbaute Ferienheim der SDAG Wismut – einige hundert Meter Luftlinie vom Kulturhaus Zinnowitz entfernt – hat dagegen mehr Glück. Der dreigeschossige Bau steht direkt an der Strandpromenade. Er wird nach dem von den Nazis ermordeten Kommunisten Ernst Thälmann (1886–1944) benannt. Durchlaufende Balkone erinnern an historische Pensionshäuser. Gleichzeitig wirkt die klare, schnörkellose Architektur modern. 1992 schreibt die Treuhand das Gebäude zum Verkauf aus. Eine Zinnowitzerin erhält den Zuschlag. Als Hotel "Vineta" erlebt das Ferienheim ein gesamtdeutsches Comeback.

Heute ist das Gebäude der ortsansässigen Historischen Gesellschaft – einem Verein, der am Bahnhof ein kleines Museum unterhält – sogar einen Eintrag in seiner Liste "Zinnowitzer Baudenkmäler" wert. Das Kulturhaus, das ebenso wie das Hotel auf der Denkmalliste des Landes Mecklenburg-Vorpommern steht, taucht aber nicht auf.

Zinnowitz: Ferienheim "Roter Oktober"

Ebenso vergeblich sucht man dort das frühere Wismut-Ferienheim "Roter Oktober" (seit 1993 Hotel "Baltic"). Allerdings gibt es dafür einen Grund: Der Eigentümer, ein Kaufmann und Projektentwickler aus dem niedersächsischen Buxtehude, war dagegen.

Als der große Ferienkomplex im kleinen Zinnowitz am 1. Juli 1977 – zum 60. Jahrestag der Oktoberrevolution – fertiggestellt wird, ist er an Gigantomanie nicht zu übertreffen. Neben einem langgestreckten vielgeschossigen Bettenhaus gibt es auch einen riesigen Gaststätten- und Versorgungsbau. Darin befinden sich fünf Restaurants und Speisesäle, Klubräume, Tanzbar und mehrere Ausbildungsräume. Ein Meerwasser-Hallenbad kommt 1982 noch dazu.

Heute genießt das 780-Betten-Haus samt Ensemble kaum eine bauliche Wertschätzung. Jens Amelung stört das. Der Architekt arbeitet im Landesamt für Kultur und Denkmalpflege Mecklenburg-Vorpommern. Für ihn ist der "Rote Oktober" ein architektonischer Höhepunkt in der Entwicklung der DDR-Ferienheime. Vor allem im Vergleich mit Plattenbauten der Wohnungsbauserie 70, kurz: WBS 70. Dabei denkt er vor allem an das Zusammenspiel verschiedener Baumaterialien wie Betonstrukturplatten oder Buntglas.

Allerdings wird der Ferienkomplex Anfang der 1990er-Jahre saniert. Das Bettenhaus erhält eine neue Fassade, ein Staffelgeschoss wird aufgesetzt. Auch die Innenausstattung ändert sich. Das ist ein Grund, warum das Gebäude nicht mehr in die Landesdenkmalliste aufgenommen wird. Einzig die Schwimmhalle ist davon ausgenommen.

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Kölpinsee: FDGB-Erholungsheim "Kölpinshöh"

Verlässt man Zinnowitz in östlicher Richtung, vorbei an den Orten Zempin – mit seinem in den 1970er-Jahren erbauten und noch intakten Sommerkino – sowie Koserow, passiert man Kölpinsee, ein Ortsteil der Gemeinde Loddin. Hier thront das ehemalige FDGB-Erholungsheim "Kölpinshöh". Zu DDR-Zeiten opulent mit Empfangshalle, Speisesaal, Klubraum und Bar ausgestattet – in der sogar ein Porträt von Staatschef Erich Honecker hängt –, sind in den Gebäuden heute ein Kurheim und Kinder-Rehazentrum untergebracht. Obgleich die Massenunterkunft nach der Wende umgebaut und erweitert wird, hat sich unter anderem ein markanter Rundbau mit fast deckenhohen Fenstern und durchlaufender Terrasse erhalten. Kleinere Bungalowanlagen in der Nähe wie etwa alle Ferien- und Erholungsheime der Technischen Hochschule sowie der Technischen Universität Dresden werden dagegen 1991/92 abgewickelt beziehungsweise an Investoren verkauft.

Ückeritz: NVA-Erholungsheim "Ostseeblick"

Nicht weit von Kölpinsee entfernt, liegt das kleine Ückeritz. In der DDR ist das einstige Fischer- und Bauerndorf vor allem für seinen republikgrößten Zeltplatz bekannt: Auf 7.500 Plätzen drängen sich pro Saison dicht an dicht circa 65.000 Camper. Die Angehörigen der Nationalen Volksarmee relaxen dagegen deutlich entspannter im NVA-Erholungsheim "Ostseeblick". 1976 gebaut, ist der Komplex zwar herrlich gelegen, mutet aber äußerlich eher trostlos an. Am Fuße eines mehrgeschossigen Bettenhauses befinden sich mehrere Versorgungsgebäude. 1990 übernimmt die Bundesversicherung für Angestellte (BfA) das Gebäude. Heute gehört die umgebaute Klinik "Ostseeblick" zu den 22 Rehazentren der Deutschen Rentenversicherung.

Heringsdorf: Kunstpavillon

Wer mit dem Rad dann weiter östlich Richtung Heringsdorf fährt, kommt auf der Strandpromenade an einer Kuriosität mit Faltdach vorbei: dem Kunstpavillon Heringsdorf. Eine Legende der DDR-Architektur entwirft ihn: Ulrich Müther (1934–2007). Ob Warnemünder Teepott oder Planetarium in Berlin-Prenzlauer Berg – sein Stil prägt den Osten.

Ursprünglich ist der Kunstpavillon Ende der 1960er-Jahre als Prototyp für Ausstellungen geplant. Beim Auftraggeber, dem DDR-Außenhandelsministerium, kommt dieser Entwurf aber nicht so gut an. Seit 1970 steht der Pavillon deshalb zwischen Bansin und Heringsdorf. Und wird seit 1991 vom Usedomer Kunstverein mit Ausstellungen, Lesungen und Konzerten bespielt.

Heringsdorf: Kulturhaus

45 Jahre zuvor plant die Sowjetische Militäradministration (SMAD) in Heringsdorf ein Kulturhaus – ebenso direkt an der Strandpromenade. Darin sollen sich kriegsversehrte sowjetische Offiziere amüsieren. An der Stelle eines erst beschlagnahmten, später abgebrannten Strandcasinos entsteht 1948 ein Vergnügungstempel. Und ebenso wie beim Zinnowitzer Kulturhaus wird geklotzt und nicht gekleckert. Mit großzügiger Eingangshalle, riesigem Versammlungsraum und einem Theatersaal mit etwa 800 Plätzen gehört der stalinistisch-neoklassizistische Bau zu den größten auf Usedom.

Der Dreiecksgiebel über dem Eingangsbereich zeigt im Übrigen ein Tanzpaar, das von zwei Symbolfiguren – Lebensfreude und Optimismus – flankiert wird. Bis 1950 wird das Kulturhaus allerdings nur von der Sowjetischen Armee genutzt. Danach wird es den Usedomern übergeben. Im Saal des "Kultis" gibt es regelmäßig Tanz und Kino. Mitte der 1990er-Jahre wird das Hauptgebäude zu einer Spielbank umgebaut, die wenige Jahre später wieder schließt. Heute zählt der Komplex zum "Forum Usedom" mit Hotel, Festsaal und Geschäften.

Heringsdorf: FDGB-Ferienheim "Solidarität"

In Sichtweite des früheren Kulturhauses ragen allerdings zwei Hochhäuser eines DDR-Neubaus empor, der bis heute umstritten ist. Die beiden Zehngeschosser – errichtet nach dem WBS-70-Prinzip – ersetzen 1984 das legendäre "Atlantic". Jenes zwischen 1876 und 1906 gebaute Kurhotel eröffnet 1951 als FDGB-Ferienheim "Solidarität". Die beliebte Kurunterkunft verfällt aber zusehends und wird 1979 gesprengt. Grund ist die marode Bausubstanz. Heute, mehr als 35 Jahre später, tun sich die Heringsdorfer immer noch schwer mit dem Folgebau. Das jetzige "Kurhotel zu Heringsdorf", Anfang der 1990er-Jahre baulich stark verändert, kämpft weiter um seine architektonische Akzeptanz.

Dabei steht das unrühmliche Ende des "Atlantic" als Beispiel für den generellen Umgang der DDR mit der Usedomer Bäderarchitektur. Kein Interesse an baulichen Traditionen, ideologische Scheuklappen und eine chronische Finanzschwäche führen dazu, dass viele Gebäude sich selbst überlassen werden. In der Denkmalliste des Kreises Wolgast, der in der DDR die gesamte Insel Usedom umfasst, finden sich 1981 gerade einmal drei (sic!) Bauten, die in den Seebädern als schützenswert eingestuft werden: die Villa "Oechsler" (1893), die Villa "Irmgard" (1906) – beide in Heringsdorf – und die Seebrücke (1898) im benachbarten Ahlbeck.

Ahlbeck: "Haus der Erholung" (HDE)

Zum Vergleich: Heute zählen allein diese beiden sogenannten Kaiserbäder hunderte Baudenkmale. Auch das 1957 erbaute "Haus der Erholung" (HDE) in Ahlbeck gehört dazu. Wenngleich es im Gegensatz zu den in den 1990er-Jahren sanierten Strandvillen heute in einem bedauernswerten Zustand ist. Im HDE befindet sich zu DDR-Zeiten die zentrale Verpflegungsstelle. Bis zu 900 FDGB-Urlauber werden im hellen, mit hohen Fenstern versehenen Saaltrakt des Hauses versorgt – täglich mit drei Mahlzeiten.

Das Gebäude wird zudem für kulturelle Veranstaltungen genutzt. Nach der Wende ist es ein "Haus der Erlebnisse" mit Kino und Disko. 2010 schließt es seine Pforten – und verfällt. Neun Jahre später entscheidet sich die Gemeinde für einen Teilabriss, der aber nicht das denkmalgeschützte Hauptgebäude betrifft. Ein neues Nutzungskonzept sieht eine Kunstgalerie, die Touristinformation und mehrere Ausstellungsbereiche vor. Ein Kino ist auch geplant. Die Ahlbecker hoffen, dass es nicht nochmal 30 Jahre bis zur Wiedereröffnung dauert.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherche
  • Amelung, Jens: Der Ferienkomplex "Roter Oktober" in Zinnowitz. Ein Erholungsort der ehemaligen Sowjetisch-Deutschen Aktiengesellschaft (SDAG) Wismut. In: Lichtnau, Bernfried: Architektur und Städtebau im südlichen Ostseeraum von 1970 bis zur Gegenwart. Entwicklungslinien – Brüche – Kontinuitäten. Berlin, 2007, S. 182–193.
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