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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Einführung der Sozialversicherung Wie Bismarck die Revolution verhindern wollte
Das Elend der Arbeiter war groß im 19. Jahrhundert. Besserung schaffte Otto von Bismarck mit der Sozialgesetzgebung. Seine "Revolution von oben" währt bis heute. Und hat Reformbedarf.
Im Jahr 1883 sieht Otto von Bismarck wortwörtlich schwarz für Deutschland. "Die was haben, arbeiten nicht, nur die Hungrigen sind fleißig", so der Reichskanzler. "Und die werden uns fressen." Bis heute ist nicht geklärt, ob der Machtmensch Bismarck tatsächlich eine sozialistische Revolution in Deutschland befürchtete. Oder ob er dieses Schreckgespenst von Liberalen und Konservativen aus politischem Kalkül beschwörte.
Grund zur Sorge bot die soziale Schieflage in Deutschland zu dieser Zeit allemal. Millionen Arbeiter schufteten unter schwersten Bedingungen. Die Hungerlöhne waren in der Regel niedrig, das Risiko, bei einem Arbeitsunfall verletzt oder gar zum Invaliden zu werden, hingegen hoch. Ein Arbeitsschutz war so gut wie nicht vorhanden, Arbeitstage hingegen bis zu 14 Stunden lang. Die Lebenserwartung für Männer lag 1865 bei 34 Jahren, bei Frauen betrug sie 37 Jahre. Ein Durchschnitt, der vor allem an der hohen Zahl an Arbeitern und Arbeiterinnen lag, die zu großen Teilen unterhalb des Existenzminimums lebten.
Ein flächendeckendes soziales Netz? Fehlanzeige. Die Armenhilfe war aus gutem Grund als überfordert verschrien.
"Alle Räder stehen still"
Diese Missstände waren auch Otto von Bismarck wohl bekannt. Zumal er seit Jahren mit wachsender Besorgnis das Erstarken der SPD beobachtete, die damals noch Sozialistische Arbeiterpartei Deutschlands (SAP) hieß. Dass sich immer mehr Vertreter der Arbeiterklasse ihrer Macht bewusst waren, bringt auch dieses alte Kampflied von 1863 zum Ausdruck:
"Mann der Arbeit aufgewacht
und erkenne Deine Macht!
Alle Räder stehen still,
wenn Dein starker Arm es will!"
Eine organisierte Arbeiterschaft, die auf die Verbesserung ihrer Situation pochte? Oder gar Streiks und Rebellionen plante? Dies wollte Bismarck um jeden Preis verhindern.
1878 trat das Gesetz gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie, kurz Sozialistengesetz, in Kraft. "Ich habe in den sozialdemokratischen Elementen einen Feind erkannt", behauptete der Reichskanzler. Um die nötige Furcht vor der SAP zu schüren, nutzte Bismarck zwei vorangegangene Attentatsversuche auf Kaiser Wilhelm I. Obwohl die SAP keinerlei Schuld traf. Trotzdem wurden nun unter anderem sozialistische Organisationen und Druckschriften kategorisch verboten.
Erst die Peitsche, dann das Zuckerbrot
Neben der "Peitsche" in Form des Sozialistengesetzes wollte Bismarck aber auch "Zuckerbrot" einsetzen. Am 17. November 1881 verlas Bismarck eine "Kaiserliche Botschaft". Damit verkündete er im Namen des Monarchen, "dass die Heilung der sozialen Schäden nicht ausschließlich im Wege der Repression sozialdemokratischer Ausschreitungen, sondern gleichmäßig auf dem der positiven Förderung des Wohles der Arbeiter zu suchen sein werde".
Nach diesen blumigen Worten wurde Bismarck schließlich konkreter und kündigte drei Säulen des entstehenden Sozialstaats an: Krankenversicherung, Unfallversicherung sowie eine Versicherung für Alter- und Invalidität. Indem der Staat sich nun auf seine Verpflichtung gegenüber den Arbeitern besann, erhoffte sich Bismarck, ihre Loyalität zu gewinnen. Und die SAP zu schwächen.
Der sogenannte Eiserne Kanzler machte aus seinen Absichten keinen Hehl: "Mein Gedanke war, die arbeitenden Klassen zu gewinnen, oder soll ich sagen zu bestechen, den Staat als soziale Einrichtung anzusehen, die ihretwegen besteht und für ihr Wohl sorgen möchte."
Sozialstaat mit Einschränkungen
Ein erster Schritt erfolgte bereits am 1. Dezember 1884. An diesem Tag trat das "Gesetz betreffend die Krankenversicherung der Arbeiter" in Kraft. 13 Wochen erhielten Pflichtversicherte nun ein Krankengeld, die Kosten für Arzneien und medizinische Behandlungen wurden übernommen. Während die Arbeitnehmer zwei Drittel der Beiträge zahlen mussten, übernahmen die Arbeitgeber ein Drittel. 4,7 Millionen Arbeiter kamen so zumindest in den Genuss einer grundlegenden Sicherung.
Im Sommer 1884 verabschiedete der Reichstag dann auch noch das Unfallversicherungsgesetz, das "Gesetz betreffend die Invaliditäts- und Alterssicherung der Arbeiter" sollte allerdings noch auf sich warten lassen. Erst am 24. Mai 1889 passierte es das Parlament.
Mit diesen drei Gesetzen begründete Bismarck den modernen Sozialstaat, der allerdings noch eklatante Lücken ließ. So waren die Bemessungsgrenzen zu Beginn derart gestaltet, dass viele Arbeitnehmer nicht zum Kreis der gesetzlich Versicherten gehörten. Zudem war insbesondere die gesetzliche Krankenversicherung mit Mängeln behaftet.
Zwar zahlten die Krankenkassen den arbeitsunfähigen Mitgliedern ein Krankengeld in Höhe von 50 Prozent ihres Verdienstes. Allerdings beschränkt auf maximal zwei Mark pro Tag. Weit unter dem Existenzminimum eines Arbeiterhaushalts. Erst im Laufe der Zeit wurden die Leistungen angehoben; und der Kreis der Versicherten ausgeweitet. Im letzten Jahr des Ersten Weltkriegs waren es immerhin schon mehr als 15 Millionen.
Eine Säule zu wenig
Eine grundlegende Versicherung fehlte zudem in Bismarcks Sozialgesetzgebung: die Arbeitslosenversicherung. Sie wurde erst am 16. Juli 1927 in der Weimarer Republik begründet. Kurz bevor die Weltwirtschaftskrise im Jahr 1929 Millionen Menschen in Deutschland arbeitslos machte.
Ebenso wie heute war bereits zu Bismarcks Zeiten die Rentenversicherung ein besonderer Zankapfel. Kritiker verteufelten sie als "Staatssozialismus", weil ein Teil des Reichshaushalts in die Rentenkasse eingespeist wurde. Dabei wurde die staatliche Rente damals lediglich als Zuschuss zur Bestreitung des Lebensunterhalts verstanden.
Zur alleinigen bzw. hauptsächlichen Einkommensquelle für Rentner wandelte sich diese Versicherung erst Jahrzehnte später: 1957 unter Bundeskanzler Konrad Adenauer. Seitdem basiert das darauf, dass zahlreiche jüngere Arbeitstätige jeweils wenige Rentenbezieher durch ihre Beiträge finanzieren.
Am Ende gescheitert
Und auch ein System, das angesichts der Umbrüche in der Arbeitswelt und des demografischen Wandels in unserer Gegenwart an seine Grenzen stößt. Die gesetzliche Rentenversicherung muss sich also anpassen an die gesellschaftlichen Gegebenheiten der Zukunft.
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Genau wie es auch Otto von Bismarck tun musste. Seine Sozialgesetzgebung hat sich als zukunftsweisend gezeigt, seine Verfolgung der Sozialdemokratie hingegen keineswegs. Als das Sozialistengesetz 1890 auslief, wurde die SPD bei den darauffolgenden Reichstagswahlen stärkste Partei.
- Eigene Recherchen