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Zum journalistischen Leitbild von t-online."Das ist das Schlimmste" Ohne US-Informationen wird es für die Ukrainer in Kursk brenzlig

Russland erobert offenbar mehr und mehr Gebiete in der Region Kursk zurück. Für die Ukraine bedeutet das nichts Gutes.
Über ein halbes Jahr ist es her, dass ukrainische Truppen in die russische Region Kursk vorstießen und innerhalb weniger Wochen ein rund 1.300 Quadratkilometer großes Gebiet mit 100 Dörfern unter ihre Kontrolle brachten. Seitdem wirft die Führung im Kreml Welle um Welle an Soldaten und Material gegen die ukrainischen Verteidiger – und das mit zunehmendem Erfolg.
Die russischen Truppen, die von Soldaten aus Nordkorea unterstützt werden, vermelden mehr und mehr Geländegewinne. So begann Russland in den vergangenen Tagen eine große Fallschirmjägeroffensive aus mehreren Richtungen, die die Versorgungslinien der Ukraine und mögliche Rückzugsrouten abschneiden könnte. Teilen der ukrainischen Armee droht die Einkesselung.
Kursk: Ausmaß der Geländeverluste umstritten
Inzwischen vermeldet der Kreml fast täglich neue Nachrichten über Geländegewinne in Kursk. Rund zwei Drittel des von Ukrainern eroberten Gebiets befindet sich angeblich wieder unter russischer Kontrolle. Manche Quellen gehen davon aus, dass die Ukrainer nur noch rund 300 von den ursprünglich etwa 1.300 Quadratkilometern kontrollieren. Eingeschränkt wird die Verteidigungsfähigkeit der Ukrainer durch die Entscheidung der Trump-Regierung, keine Satelliten- und Geheimdienstdaten mehr mit der ukrainischen Armee zu teilen.
Ohne diese Daten ist es den Ukrainern in Kursk kaum möglich, sich effektiv auf russische Angriffe einzustellen. Besonders die im Verlauf des Krieges immer wichtiger gewordenen Drohnen sind auf Satellitendaten angewiesen, um effizient eingesetzt werden zu können. Lesen Sie hier mehr dazu.
Sollte die Ukraine das besetzte Gebiet vollständig verlieren, wäre das aus zweierlei Gründen ein schwerer Rückschlag. Zum einen war geplant, die in der Region Kursk eroberten Gebiete gegen russisch besetzte Gebiete in der Ukraine einzutauschen.
Russische Truppen in Kursk gebunden
Zum anderen ist ein Teil der russischen Armee mit den Kämpfen in Kursk beschäftigt und dort an die Front gebunden. Sollte diese Linie fallen, wären die russischen Truppenverbände frei, um an anderer Stelle eingesetzt zu werden. Sollte es der russischen Armee darüber hinaus gelingen, die verbleibenden Ukrainer in Kursk einzukesseln und zur Aufgabe zu zwingen, müsste Kiew erhebliche Verluste hinnehmen.
Die in Kursk frei werdenden russischen Truppen könnten dann den Druck auf die Front im Osten der Ukraine erhöhen. Dort haben die Ukrainer ohnehin große Schwierigkeiten, die Front einigermaßen stabil zu halten, weil ihnen Personal fehlt. So könnten aus Kursk verlegte russische Truppen im Zusammenspiel mit dem Ende der amerikanischen Unterstützung zu weiteren ukrainischen Gebietsverlusten führen. Und je mehr Gebiete Russland kontrolliert, desto schlechter wird die Verhandlungsposition der Ukrainer.
"Wir können die Krim abgeben, wenn das Leben rettet"
Dabei ist die Position der Ukrainer nach den Attacken des US-Präsidenten gegen Staatschef Selenskyj im Weißen Haus ohnehin geschwächt. In der ukrainischen Bevölkerung sind die Erwartungen an die Friedensgespräche mit den USA in Saudi-Arabien daher gering. In der "Tagesschau" erklärte eine Ukrainerin: "Ich erwarte nichts Gutes von diesem Treffen. Ich glaube auch nicht, dass sich die Beziehungen erholen werden. Das ist auch nicht notwendig, meiner Meinung nach. Wir haben Europa und sollten mit Europa zusammenarbeiten."
Eine andere Ukrainerin zeigte sich zu Zugeständnissen bereit: "Wir können die Krim abgeben, wenn das Leben rettet. Auch wenn es schrecklich sein wird, den Soldaten zu sagen, dass sie aufgeben sollen. Das ist das Schlimmste. Aber wenn wir damit Leben retten können. Unsere Jungs sind unsere Zukunft. Wenn es sie nicht mehr gibt, wird es keine Ukraine mehr geben."
Nach Einschätzung von Oleksandr Mereschko, Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses im ukrainischen Parlament, gibt es für die ukrainische Zivilbevölkerung zwei markante rote Linien, die nicht überschritten werden dürften. Das sei zum einen die Anerkennung der von Russland seit dem Überfall eroberten Gebiete und zum anderen der Verzicht auf Sicherheitsgarantien. Viele Ukrainer fürchten, dass dies das Ende der Ukraine als eigenständige Nation bedeuten könnte.
- nytimes.com: "Ukraine and Russia: The Struggle on the Eastern Front" (Englisch, kostenpflichtig)
- zeit.de: "Kursk: Ukraine, Russland und USA in Verhandlungen" (kostenpflichtig)
- tagesschau.de: "Gespräche in Saudi-Arabien: Gedämpfte Erwartungen in der Ukraine"
- n-tv.de: "Russische Armee drängt Ukrainer in Kursk weiter zurück – Kiew dementiert Einkesselung"