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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Trumps Ukraineberater Ein Vorschlag mit Sprengkraft
Mit einem harmlos klingenden Vorschlag macht Donald Trumps Ukraineberater von sich reden. In Kiew wird man wohl nicht gern hören, was John Kellogg da vorschlägt.
Es war ein erstaunlicher Vorschlag, den John Kellogg machte. Am Samstag meldete sich Donald Trumps Ukraine-Beauftragter plötzlich zu Wort, mit einem Vorstoß, der in Kiew, aber auch in vielen europäischen Hauptstädten für einige Aufregung gesorgt haben dürfte. Kellogg, so hieß es in einer Mitteilung, die von mehreren Nachrichtenagenturen verbreitet wurde, fordert baldige Neuwahlen in dem vom Russland attackierten Land.
Die Nachricht ging im Geschrei um Trumps aggressive Zollpolitik ein wenig unter. Dennoch könnte der Vorgang zu einem der bedeutendsten in den bislang fast drei Jahren des Krieges werden. "Die meisten demokratischen Staaten halten auch in Kriegszeiten Wahlen ab. Ich denke, das ist wichtig", sagte Kellogg. "Ich denke, das ist gut für die Demokratie. Das ist das Schöne an einer stabilen Demokratie: Es gibt mehr als eine Person, die kandidieren kann."
Was zunächst einmal harmlos und nach einem ganz normalen Vorgang in einer Demokratie klingt, ist es mitnichten. Denn die Ukraine ist keine normale Demokratie, das Land befindet sich seit drei Jahren im Krieg gegen Russland und fast ebenso lange währt nun der politische Ausnahmezustand in dem Land. Ohne das ukrainische Kriegsrecht wäre die Amtszeit des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj im vergangenen Jahr ausgelaufen.
Selenskyj gilt als Putins größtes Problem
In der Tat gab es auch in der Ukraine selbst in den vergangenen Monaten immer mal wieder die Forderung nach Neuwahlen – insbesondere von Stimmen, die Selenskyj kritisch gegenüberstehen. Nach Ansicht vieler internationaler Beobachter ist es aber vor allem der 46-jährige Präsident, der mit dem Überleben seines Landes identifiziert wird. Selenskyj steht für den ungebrochenen Willen der Ukraine, sich den fortgesetzten Aggressionen Russlands entgegenzustemmen.
Die US-Rundfunkanstalt NPR nannte ihn eine "Ikone des ukrainischen Freiheitskampfes". Der Sender NBC sprach sogar von einem "globalen Phänomen" demokratischen Widerstands. Und der ehemalige US-Außenminister Anthony Blinken dankte Selenskyj mehrfach für den "außerordentlichen Mut, die Führungsstärke und den Erfolg, den Sie bei der Zurückdrängung dieser schrecklichen russischen Aggression erzielt haben".
Selenskyj dürfte dem Diktator im Kreml also gleich in mehrfacher Hinsicht ein Dorn im Auge sein. Erstens wird Selenskyj überwiegend als der Gute porträtiert, den die halbe Welt umarmt, Wladimir Putin hingegen hat in den Augen vieler Menschen im Westen seinen Platz in der Ahnengalerie der Bösewichte sicher. Zweitens steht Selenskyj für die Unnachgiebigkeit der Ukrainer, sich Russland zu unterwerfen. Er ist offenbar das größte Problem des Kreml bei dem Versuch, die Grenzen in Europa zu Putins Gunsten zu verschieben.
Putin macht klare Ansagen zu Selenskyj
Das hatte der russische Präsident wohl nicht kommen sehen. Er hatte nach übereinstimmenden Geheimdiensterkenntnissen schlicht nicht damit gerechnet, dass Selenskyj sich ihm und seiner Armee im Februar 2022 entgegenstellen würde. Putin hat den früheren Komiker und TV-Star unterschätzt. Nun versucht er ihn offenbar auf anderem Wege loszuwerden, und in der neuen US-Regierung könnte Putin einen potenziellen Verbündeten für diesen Plan ausgemacht haben.
Vor wenigen Tagen hatte der Kremlautokrat verlauten lassen, dass er an keinen Friedensverhandlungen teilnehmen würde, an denen auch Selenskyj beteiligt sei. In dem Falle würde er lediglich Abgesandte zu den Verhandlungen schicken. Das größte Problem für einen Erfolg seines Waffengangs in der Ukraine sieht der Kremlherrscher offenbar also nicht in den Herausforderungen auf dem Schlachtfeld oder in den Problemen der heimischen Wirtschaft, sondern in der Person Selenskyj. Sollten in der Ukraine im Zuge einer Feuerpause tatsächlich Präsidentschaftswahlen stattfinden, könnte der Wahlsieger ein längerfristiges Abkommen mit Russland unterzeichnen, sagten die US-Insider.
Ein Abkommen, das dann ganz in Sinne des Kreml ausfallen könnte.
Denn ein Urnengang in der Ukraine bedeutet für Putin die größte Chance auf einen personellen Wechsel in der ukrainischen Führung. Wie schon im Falle Georgiens oder der mutmaßlichen Einflussnahme Russlands in Moldau, in Rumänien und in vielen anderen europäischen Staaten, wird Putin auch eine mögliche Wahl in der Ukraine zu seinen Gunsten zu beeinflussen versuchen – mutmaßlich durch die massive Unterstützung eines Moskau-treuen Kandidaten. Pläne dafür, lagen schon vor dem Einmarsch in die Ukraine bereit.
Aufhebung des Kriegsrechts könnte Ukraine destabilisieren
Viktor Medwedtschuk heißt der Mann, den Putin bereits als Selenskyj-Nachfolger auserkoren hatte. Er sollte nach dem Einmarsch russischer Truppen in den Präsidentenpalast in Kiew einziehen und dort alles nach Putins Wünschen regeln. Doch der Plan scheiterte, weil Selenskyj nicht – wie von Putin angenommen – in den ersten Tagen des Krieges ins Ausland floh, sondern sich ein olivgrünes Militär-T-Shirt überstreifte und sein Land zum Widerstand gegen die russische Aggression aufrief.
Medwedtschuk war es, der aus Kiew fliehen musste, nachdem die Regierung sein Vermögen konfisziert hatte. Er wurde allerdings vom ukrainischen Geheimdienst SBU aufgegriffen, verhört und später gegen 215 ukrainische Gefangene ausgetauscht und nach Moskau gebracht. Inzwischen soll der Oligarch und Putin-Freund wieder zu erklecklichem Reichtum gekommen sein, mit dem Geld finanziert er unter anderem das Propagandaprojekt "Voice of Europe", das Europaparlamentarier zu russlandfreundlichen Positionen bringen soll. Laut Recherchen der "Washington Post" soll unter anderem der AfD-Politiker Maximilian Krah von Medwedtschuks Projekt Geld erhalten haben.
Aus Kiew gibt es bislang noch keine Reaktion auf den umstrittenen Vorschlag des Trump-Beauftragten Kellog. Ebenso verweigerte Moskau einen Kommentar. Jedoch wird in der Ukraine ebenso wie in westlichen Diplomatenkreisen befürchtet, dass ein Wahlkampf und eine damit verbundene Aufhebung des Kriegsrechts das Land erheblich schwächen könnten. Zum einen gälte Selenskyj mit der Festlegung eines Wahltermins als Präsident auf Abruf, zudem könnte Putin seinen hybriden Krieg massiv ausweiten und die Ukraine mit Desinformationen fluten.
Zum anderen könnten viele ukrainische Soldaten ihrer Armee und sogar ihrem Land den Rücken kehren, weil dann womöglich das Symbol des Widerstands nicht mehr im Amt sei: Wolodymyr Selenskyj.
Insider: "Russland möchte ein Ende von Selenskyj sehen"
Ein Insider aus ukrainischen Regierungskreisen sagte der Nachrichtenagentur Reuters, Putin nutze das Thema ukrainischer Wahlen als Vorwand, um sich nicht an mögliche Abmachungen zu halten. Wenn Putin ukrainische Wahlen zur Bedingung mache, habe er später eine Ausrede, um mögliche Vereinbarungen zu ignorieren, an denen Selenskyj beteiligt sei. Ein ehemaliger Regierungsvertreter eines westlichen Landes sagte, dass Trump Putin mit der Forderung nach Wahlen in der Ukraine in die Hände spiele. "Trump reagiert meiner Meinung nach auf russisches Feedback", sagte der Insider. "Russland möchte ein Ende von Selenskyj sehen."
Trump selbst sagte am Sonntag in Washington, D.C.: "Wir haben geplante Treffen und Diskussionen mit verschiedenen Akteuren, darunter Russland und die Ukraine. Ich denke, dass diese Diskussionen ziemlich gut laufen", fügte er hinzu. Der US-Präsident hat sich wiederholt ablehnend über die Milliardenhilfen für die Ukraine geäußert. Die Ukraine befürchtet, dass sie zu weitgehenden Zugeständnissen an Russland gezwungen sein könnte.
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Dass die angebliche Bedrohung durch die demokratische Regierung Selenskyj eine rein imaginierte ist, haben zahlreiche Experten und Politiker betont. Und dass es Putin auch nicht um die "Befreiung der Menschen in der Ukraine" geht, wie er behauptet, hat er selbst belegt, indem er Zehntausende im Zuge des nunmehr seit drei Jahren andauernden Krieges ermorden ließ und Millionen zur Flucht trieb. Die Bedrohung, von der er spricht, wenn er über das angebliche Kiewer-Regime redet, ist wohl eher eine, die er selbst empfindet.
Der Russlandexperte Wolfgang Mueller nennt das eine klassische Täter-Opfer-Umkehr. Bundeskanzler Olaf Scholz nannte es in einer Rede vor dem Europäischen Parlament mal Putins "Machtgehabe", er stellte den Mann im Kreml in eine Reihe mit "Revisionisten, die vom nationalen Ruhm träumen und nach imperialer Macht lechzen". Bei diesem Griff nach dem großrussischen Imperium des Zaren Peter I., oder wenigstens jenem aus Sowjetzeiten, steht ihm Selenskyj seit drei Jahren im Weg.
Albright: "Umbau Russlands nach stalinistischem Vorbild"
Madeleine Albright, die ehemalige US-Außenministerin, traf Putin in ihrer Funktion als Spitzendiplomatin über Jahrzehnte immer wieder. Sie beschrieb ihn in einem Stück für die "New York Times" als "klein und blass, fast so kalt wie ein Reptil". So habe der russische Diktator den demokratischen Kurs seines Landes in den vergangenen Jahren für einen Umbau Russlands nach "stalinistischem Vorbild" aufgegeben. "Und weil er sich einredet, dass die USA ihren Einfluss in der Region mit Gewalt ausüben, sei er berechtigt, ebenfalls Gewalt anzuwenden".
Nun regiert in den USA zum zweiten Mal Donald Trump. Putin kennt ihn nur zu gut aus seiner ersten Amtszeit im Weißen Haus. Er weiß, was er von Trump erwarten kann – nämlich Bewunderung. Die hat der ehemalige Immobilienmakler schon häufig zum Ausdruck gebracht, als es um Putin ging. Nun schickt sich Trump an, selbst zu einem jener "starken Männer" werden zu wollen, die ihre Staaten mit harter Hand regieren und die er immer so bewundert, sei es Kim Jong Un, Tayyip Recep Erdoğan, Xi Jinping, oder eben Wladimir Putin ("Er ist ein wahrer Führer", so Trump einmal über Putin).
Putin spielt das in die Karten.
Wie der 72-Jährige nun im Interview mit dem russischen Propagandisten Pawel Sarubin betonte, glaube er daran, dass sich die Europäer den USA bald unterordnen werden – und zwar ganz im Sinne des Kreml. "Das wird schnell gehen. Sie werden alle bei Fuß ihres Herrn stehen und lieb mit dem Schwanz wedeln", sagte Putin. Trumps Ukraineberater Kellogg könnte mit dem Neuwahlen-Vorschlag den ersten Schritt dazu gemacht haben, die Europäer vor vollendete Tatsachen zu stellen. Und Wolodymyr Selenskyj dürfte sehr genau zugehört haben.
- nbcnews.com: How Ukraine's Volodymyr Zelenskyy became a global phenomenon
- france24.com: Putin says peace talks with Ukraine possible, but not with Zelensky
- pacesconnection.com: How Vladimir Putin's childhood is affecting us all
- youtube.com: Times Radio | Putin’s biographer explains how his mind works
- press.armywarcollege.edu: Reflexive Control: Influencing Strategic Behavior
- tagesanzeiger.ch: Der Ukrainer, der im Dienste Putins westliche Politiker bezahlt haben soll
- diepresse.com: Putins Täter-Opfer-Umkehr: "Gegen unser Vaterland wurde ein echter Krieg entfesselt"
- bild.de: Putin über Europa und Trump: „Sie werden alle bei Fuß ihres Herrn stehen“
- edition.cnn.com: 15 times Donald Trump praised authoritarian rulers
- washingtonpost.com: A Kremlin-backed media outlet — the Prague-based Voice of Europe — funneled hundreds of thousands of euros to far-right politicians, officials say.
- Mit Material der Nachrichtenagentur Reuters