Zahlen sind "erschreckend" Russland nutzt sexualisierte Gewalt zur Folter von Kriegsgefangenen
Russland setzt im Krieg gegen die Ukraine auch auf Folter. Eine bislang weniger beachtete Rolle spielt dabei der Einsatz von sexualisierter Gewalt.
Eine UN-Expertin wirft Russland in einem neuen Bericht systematische Folter von Kritikern im Inland sowie feindlichen Soldaten vor. Das Papier dokumentiere, "wie Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung als staatlich sanktionierte Instrumente zur systemischen Unterdrückung in der Russischen Föderation verwendet werden", heißt es in dem in New York vorgestellten Bericht. Ausgearbeitet wurde er von der Sonderberichterstatterin für Menschenrechte in Russland, Mariana Katzarowa.
"Es ist kein neues Phänomen in der Russischen Föderation, aber jetzt ist es nach der vollständigen Invasion (der Ukraine) zu einer konzertierten Strategie geworden", sagte die Bulgarin. "Ein Instrument, um den Bürgerraum zu unterdrücken, um alle Kriegskritiker oder Dissidenten zum Schweigen zu bringen, die nicht einverstanden sind mit der Politik der russischen Behörden und ihrer sogenannten besonderen militärischen Operation" in der Ukraine.
"Die Zahlen in der Ukraine sind erschreckend"
Wie der "Guardian" unter Berufung auf weitere UN-Daten berichtet, spielt auch sexualisierte Gewalt gegenüber Männern und Jungen bei der Folter eine entscheidende Rolle. Demnach sind bislang 236 Fälle aus den vergangenen knapp drei Jahren bekannt. Die Dunkelziffer dürfte deutlich höher liegen, da das Thema stark stigmatisiert ist.
Die Hilfsorganisation All Survivors Projekt setzt sich dabei vor allem für Männer und Jungen ein, denen sexualisierte Gewalt angetan wurde. Chara Lata Hogg, die Leiterin der NGO, sagt: "Die Zahlen in der Ukraine sind erschreckend". Sie lobt aber den aktuellen Umgang mit zurückgekehrten Kriegsgefangenen. Die Rückkehrer "werden psychologisch betreut und recht bald nach ihrer Entlassung befragt, wenn das Trauma hoch ist und es den Überlebenden relativ leicht fällt, über ihre Erfahrungen zu berichten", so Hogg.
"Wenn ich schweige, ist es, als wäre es nie passiert"
Einer der Überlebenden ist Oleksii Siwak aus Cherson. Mehrere Wochen wurde er im Jahr 2022 von russischen Truppen in seiner Heimatstadt gefangen gehalten. Laut "Guardian" wurde er mit Elektroschocks an seinen Genitalien gefoltert, das geschah in einem eiskalten Keller. Nun setzt er sich für die Unterstützung von anderen Überlebenden ein und will das Stigma sexualisierter Gewalt, das vor allem Männer betreffe, brechen. Er selbst habe direkt nach seiner Rückkehr erst verspätet die benötigte Hilfe erhalten, sagt er.
"Wenn ich schweige, ist es, als wäre es nie passiert", sagte er. "Die Realität ist, dass viele Männer immer noch in Kellern sitzen. Wenn ich meine Stimme nicht erhebe, wie sollen dann diejenigen, die nicht frei sind, gehört werden?"
Seit dem Einmarsch Russlands in die Ukraine 2022 habe sich Folter "als Instrument für Repressionen zu Hause und im Ausland" ausgebreitet, hieß es im UN-Bericht weiter. Die russischen Behörden müssten selten Rechenschaft ablegen, Straflosigkeit sei zum Alltag geworden. In Russland gibt es nach Angaben Katzarowas mindestens 1.300 politische Gefangene. Die Zahl könne aber auch bei 1.700 oder höher liegen. Unter ihnen seien auch 30 Journalisten.
- Mit Material der Nachrichtenagentur dpa
- guardian.com: 'Carved on bodies and souls’: Ukrainian men face ‘systemic’ sexual torture in Russian detention centres (englisch)