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Ukraine-Krieg: Westliche Waffen wirkungslos? Russland hat Ass im Ärmel


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Russland setzt westliche Waffen außer Gefecht
Das Ass in Putins Ärmel


02.06.2024Lesedauer: 6 Min.
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Ein russischer Soldat richtet eine Anti-Drohnen-Waffe gen Himmel (Symbolbild): Russlands elektronische Kriegsführung ist ein entscheidender Vorteil der Kremltruppen. (Quelle: IMAGO/Konstantin Mihalchevskiy/imago)
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Schlechte Nachrichten für die Ukraine: Eigentlich hochpräzise westliche Waffen treffen ihre Ziele nicht mehr. Dahinter steckt eine besondere Fähigkeit der russischen Armee.

Im ersten Jahr der russischen Invasion in die Ukraine war er in aller Munde: der "Himars-Effekt". Nach dem anfänglichen Vormarsch der russischen Truppen gelangen der Ukraine mit dem Mehrfachraketenwerfer aus US-Produktion präzise Angriffe auf die Stellungen der Angreifer. Russland hatte schlicht nicht mit einem solchen Waffensystem gerechnet. Diesen Vorteil konnte die Ukraine mehrere Monate lang für sich nutzen, die russischen Soldaten mit ihrer Gegenoffensive im Herbst 2022 sogar aus Teilen der besetzten Gebiete wieder vertreiben.

Mehr als zwei Jahre nach dem russischen Einmarsch ist der "Himars-Effekt" schon lange verpufft. Und nun scheint die Ukraine auch weitere Trümpfe aus der Hand geben zu müssen. Wie die "Washington Post" kürzlich berichtete, erreichen einige präzisionsgelenkte Waffensysteme, die der Westen an die Ukraine liefert, längst nicht mehr ihre Ziele. Ein ukrainischer Offizier sagte der Zeitung gar, dass der Himars seit dem zweiten Kriegsjahr "völlig ineffektiv" geworden sei. Trafen die Geschosse zuvor noch präzise ihr programmiertes Ziel, schießen sie jetzt bis zu 15 Meter vorbei – im Krieg, wo es auf große Genauigkeit ankommt, sind das Welten. Doch wie kommt es dazu?

Das Ass in Putins Ärmel heißt: elektronische Kriegsführung. Nicht nur der Mangel an Personal und Munition stellen die ukrainischen Verteidiger vor Probleme, auch die russischen Fähigkeiten im elektromagnetischen Feld machen ihnen immer wieder einen Strich durch die Rechnung. Der Militärexperte Markus Reisner sagt im Gespräch mit t-online: "Russland ist auf diesem Gebiet mittlerweile führend." Das könnte über kurz oder lang auch für die Sicherheit in Europa zu einem Problem werden.

Video | USA erlauben begrenzt Einsatz von US-Waffen in Russland
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Quelle: dpa

Der Nutzen von elektronischer Kriegsführung

Doch was ist elektronische Kriegsführung überhaupt? "Neben den bekannten Domänen eines Kriegs – Land, Wasser, Luft, Cyber- und Informationsraum – spielt das elektromagnetische Feld in der modernen Kriegsführung eine wichtige Rolle", erklärt Reisner. Besonders der massive Einsatz von Drohnen, wie es in der Ukraine der Fall ist, verdeutlicht das. "Drohnen schaffen ein fast transparentes Schlachtfeld: Kaum eine Truppenbewegung bleibt dem Gegner verborgen", sagt der Oberst des österreichischen Bundesheeres. "Um dem entgegenzuwirken, muss man dafür sorgen, dass der Gegner wieder 'erblindet'." Dabei komme elektronische Kriegsführung zum Tragen. Sie soll unter anderem verhindern, dass Drohnen Signale empfangen und absetzen können.

Laut Reisner gab es schon vor knapp 100 Jahren die ersten Entwicklungen in diesem Bereich. Der Zweite Weltkrieg und der Kalte Krieg wirkten dann wie Katalysatoren. "Anfangs ging es dabei vor allem um das in der Öffentlichkeit weniger beachtete Abhören oder Stören von Funksprüchen, heute aber können mit diesen Mitteln unter anderem auch präzisionsgesteuerte Waffen gestört und damit in ihrer Wirkung deutlich gemindert werden", so der Experte.

Genau das passiert gerade in der Ukraine. Beide Seiten nutzen massiv Störtechnologie, die das GPS-Signal von Drohnen und anderen Waffen manipulieren kann. Im Englischen spricht man von "Jamming" und "Spoofing". Das "Jamming" macht das GPS-Signal eines Satelliten für den Empfänger unbrauchbar – das satellitengestützte System fällt aus. Beim "Spoofing" wiederum wird das Signal, das der Satellit an einen Empfänger sendet, derart gestört, dass eine falsche Position ausgegeben wird. Flugdrohnen können so zu Boden gebracht werden, ohne einen Schuss abfeuern zu müssen.

Oberst Markus Reisner vom österreichischen Bundesheer.
(Quelle: Österreichisches Bundesheer)

Zur Person

Oberst Markus Reisner (*1978), ist Militärhistoriker und Leiter des Instituts für Offiziersausbildung des österreichischen Bundesheeres an der Theresianischen Militärakademie in Wiener Neustadt. Seit dem russischen Überfall auf die Ukraine im Februar 2022 analysiert Reisner den Kriegsverlauf auf dem YouTube-Kanal "Österreichs Bundesheer".

"Russland hat massiv in seine Fähigkeiten investiert"

Die russische Störtechnologie ist dabei weiter entwickelt, überaus variabel einsetzbar und in großen Mengen im Einsatz. Die entsprechenden Systeme reichen von größeren Radarstationen sowie Sende- und Empfangsgeräten, die auf Lastwagen montiert sind, bis hin zu kleinen Störsendern, die Soldaten in der Tasche tragen können. Damit werden etwa Funk- und Satellitenkommunikation oder Radare, Lenkraketen und Drohnen gestört. Andere Geräte schützen Soldaten, militärische Einrichtungen und Ausrüstung vor dem Einfluss feindlicher elektronischer Kriegsführung. Außerdem gibt es Geräte, die etwa den Standort eines Gegners erfassen und dessen Kommunikation abhören.

"Nach dem Kalten Krieg hat der Westen größere Entwicklungen in dem Bereich weitgehend verschlafen", sagt Militärexperte Reisner. "Russland hingegen hat weiter massiv in seine Fähigkeiten zur elektronischen Kriegsführung investiert." Mittlerweile sei das Land auf dem Gebiet führend.

Laut Reisner liegt das daran, dass der Westen ab 2001 vor allem in asymmetrischen Kriegen gegen technologisch deutlich weniger entwickelte Gegner gekämpft hat. Gegen die Taliban in Afghanistan etwa spielten mögliche Störversuche kaum eine Rolle, den militanten Islamisten fehlten schlicht die Mittel. Die Notwendigkeit, größere Fähigkeiten in der elektronischen Kriegsführung aufzubauen, war nicht gegeben. "Das ist jetzt radikal anders", sagt Reisner mit Blick auf den Krieg in der Ukraine.

US-Waffen bleiben weitgehend wirkungslos

Vor allem die USA haben Kiews Truppen mit allerlei präzisionsgelenkten, GPS-gestützten Waffen ausgestattet. Dazu gehören etwa bestimmte Munition für die Himars-Systeme oder die Joint Direct Attack Munition (JDAM) – ein Nachrüstsatz für ungelenkte Bomben, der aus diesen hochpräzise Fliegerbomben machen soll, wurde geliefert. Ebenfalls betroffen sind laut "Washington Post" die bodengestützten Ground Launched Small Diameter Bombs (GLSDB) und hochmoderne Artilleriemunition des Typs M982 Excalibur.

Doch so modern die Ausrüstung ist, die russischen Fähigkeiten in der elektronischen Kriegsführung sind aktuell überlegen. Die ukrainische Armee kann die genannten Systeme in dieser Situation kaum einsetzen. "In der Ukraine hat Russland sich seit Beginn der Invasion stetig an die Waffensysteme angepasst, die der Westen Kiew zur Verfügung stellt", sagt Reisner.

Ex-Oberbefehlshaber Saluschnyj warnte vor Russlands Stärke

Teilweise sei es den Russen sogar gelungen, westliche Waffen wie die britisch-französischen Marschflugkörper Storm Shadow/Scalp bruchzulanden und sie dann zu analysieren. "Russland zieht daraus eigene Schlüsse für seine Kriegsführung. Es gleicht einem Katz-und-Maus-Spiel", so der Experte. Und momentan zieht die Ukraine dabei den Kürzeren, obwohl auch sie mit hochwertigen westlichen Systemen für die elektronische Kriegsführung ausgestattet wird. Darüber hinaus verfügt die ukrainische Armee über ältere sowjetische Systeme.

Schon im vergangenen Jahr schrieb der damalige Oberbefehlshaber der ukrainischen Streitkräfte, Walerij Saluschnyj, im britischen "Economist", dass Russland eine "deutliche Überlegenheit" bei der elektronischen Kriegsführung habe. Rund 60 verschiedene Geräte soll Russland dabei seinen Angaben zufolge in der Ukraine einsetzen. Seit 2009 hat die russische Armee zudem eine Teilstreitkraft, die sich ausschließlich mit elektronischer Kriegsführung befasst.

Elektronische Kriegsführung ist Bedrohung für den Westen

Dass der Westen die Entwicklung in diesem Bereich des modernen Krieges bisher weitgehend verpasst hat, könnte angesichts der russischen Drohgebärden gegenüber der Nato zum Problem werden. "Auch unsere Sicherheit in Europa steht nun auf dem Spiel", warnt Militärexperte Reisner. "Denn das elektromagnetische Feld bietet heutzutage noch viel mehr mögliche Angriffsziele als noch vor 30 Jahren." So sind etwa Drahtlosverbindungen mittlerweile allgegenwärtig. Wie Russland seine Störtechnologie im Ostseeraum bereits einsetzt, lesen Sie hier.

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Das Stichwort hierbei laute hybride Kriegsführung, so Reisner – "ein Mittel, auf das Russland schon seit Jahren setzt". Damit wird die Kombination aus regulären und irregulären Konfliktmitteln bezeichnet. Dazu gehören etwa Desinformationskampagnen, der Einsatz von Soldaten ohne Hoheitsabzeichen oder Angriffe auf kritische Infrastruktur. Die völkerrechtswidrige Annexion der Krim mittels Putins "grüner Männlein" im Jahr 2014 ist ein Paradebeispiel dafür, wie Russland hybride Kriegsführung nutzt.

Der Westen müsse angesichts dessen der elektronischen Kriegsführung größere Bedeutung einräumen, fordert Reisner. "Geräte zur elektronischen Kriegsführung sind dabei das eine. Dazu braucht es jedoch speziell ausgebildetes Personal, an dem es in vielen Ländern noch immer mangelt", erklärt der Experte. "Den Vorsprung, den Russland sich erarbeitet hat, können wir als Hochtechnologienationen ohne Probleme aufholen", ist sich Reisner sicher. Nur müsse dazu die Entwicklung begonnen werden. "Das ist ein kostspieliges Unterfangen."

Marschflugkörper Taurus: Wunderwaffe gegen Putins Störtechnologie?

Westliche Staaten verfügen bereits über Waffen, die nicht so einfach von russischer Störtechnologie beeinflusst werden können. Dazu gehört etwa der deutsche Marschflugkörper Taurus, der unabhängig von satellitengestützten Systemen seine Ziele treffen kann. Denn er verfügt über weitere Systeme zur Positionsbestimmung: ein Trägheitsnavigationssystem, eine Geländereferenznavigation sowie ein bildverarbeitendes Navigationssystem. Auch deshalb hofft die Ukraine auf Lieferungen aus Deutschland.

Doch Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat dem Begehren bereits mehrfach eine Absage erteilt. Er begründete das unter anderem mit dem deutschen Sicherheitsinteresse. Der Tenor: Fällt die Waffe in die Hände Russlands, könnte dies wichtige Informationen über die verbaute Technologie an den Kreml verraten. Deutschlands Abschreckungsfähigkeit wäre damit laut Argumentation des Kanzlers gemindert.

Militärexperte Reisner hält das grundsätzlich für ein "valides Argument" – hat jedoch Einwände. Denn die Argumentation des Kanzlers gelte zumindest ein Stück weit für jedes Waffensystem, das an die Ukraine geliefert werde. "Manche dieser Systeme werden wohl auch deshalb nicht im vollen Umfang geliefert, um Russland keine Einblicke in bestimmte Technologien zu ermöglichen." So soll etwa in den Abrams-Kampfpanzern aus US-Produktion nicht die originale Funktechnik eingebaut sein. Auch die Marschflugkörper Storm Shadow/Scalp hat die Ukraine wohl in einer abgespeckten Version erhalten.

"Man muss dabei jedoch bedenken: Jedes dieser Systeme hat nur eine begrenzte Zeit der Wirksamkeit, bis der Gegner sich daran anpasst", sagt Reisner. Aus demselben Grund ist etwa der "Himars-Effekt" der Ukrainer nach wenigen Monaten verpufft. "Das würde auch für den Taurus gelten."

Verwendete Quellen
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