Mehr als 150 Journalistinnen und Journalisten berichten rund um die Uhr für Sie über das Geschehen in Deutschland und der Welt.
Zum journalistischen Leitbild von t-online.Politikexperte zu Wagner-Söldnern So wahrscheinlich ist jetzt ein Putschversuch gegen den Kreml
Die Nachricht vom Absturz eines Flugzeugs mit Jewgeni Prigoschin an Bord schlägt noch immer hohe Wellen. Ein Politologe erklärt, mit welchen Folgen nun zu rechnen ist.
Der mutmaßliche Tod des Wagner-Chefs Prigoschin wirft viele Fragen auf – nicht nur die Unfallursache ist völlig umstritten.
Der Absturz wurde bisher nur von russischen Behörden untersucht. In Wagner-Kreisen geht man offenbar davon aus, dass Putin hinter dem Flugzeugabsturz steckt. Denn die Wagner-Söldner drohen bereits mit Rache.
Nach dem gescheiterten Putsch gegen Putin im Juni 2023 rekrutierte Wagner-Führer Prigoschin weitere Soldaten für seine Privatarmee. Zettelt die Gruppe jetzt einen neuen Aufstand gegen die Regierung in Moskau an? Politikwissenschaftler Thomas Jäger gibt Antworten.
Videotranskript lesen
Lichterloh brennen die Wrackteile - vom Privatjet, in dem Jewgeni Prigoschin gesessen haben soll, ist nicht viel übrig. Auf den Tag genau zwei Monate ist es her, dass der Wagner-Chef den Aufstand gegen Putin wagte. Ebenfalls an Bord soll Dmitri Utkin gewesen sein, oberster Befehlshaber der Wagner-Söldnertruppe. Doch wie wahrscheinlich ist es, dass beide Männer zusammen in ein Flugzeug gestiegen sind? Und das ist nicht die einzige Ungereimtheit. Darüber hat t-online mit Politikwissenschaftler Thomas Jäger gesprochen.
"Das sind alles Fragen, die wir an diesen Prozess stellen müssen. Warum war die Liste sofort da? Warum werden Leichen sofort identifiziert? Das ging in rasendem Tempo. Aber das ist eben die russische Form der Tatsachen Untersuchung, die wir hier erleben."
Eine unabhängige Untersuchung des Absturzes hat bisher nicht stattgefunden.
"Das heißt der Kreml wird uns sagen, was er uns sagen möchte, und das wird die Version sein, die dann offiziell verkündet wird. Insofern ist aus meiner Sicht die Wahrscheinlichkeit groß, dass das Szenario eben stimmt, dass hier wie in anderen Fällen auch mit einem illoyalen Mitglied der russischen Elite so umgegangen wurde, wie das in Russland üblich ist."
Kurz vor dem Absturz hatte sich Prigoschin per Video zu Wort gemeldet. Offenbar war er in Afrika unterwegs, um dort neue Söldner zu rekrutieren.
"Möglicherweise spielt das eine Rolle, dass hier befürchtet wurde, Prigoschin baut in der Peripherie, wenn man das so sagen will, etwas auf, was dann auch in Russland wiederum zum Tragen kommen kann. Er war der Einzige, der Präsident Putin in seiner langen Herrschaft wirklich herausgefordert hat, der verdeutlicht hat, Putin hat nicht die Kontrolle über die Situation und den Präsident Putin aus dem Grund nicht gewähren lassen konnte."
Die Frage ist nun, wie die Wagner-Söldner auf den mutmaßlichen Tod ihres Anführers reagieren. In den sozialen Netzwerken deuten sie bereits Vergeltung an. Politikwissenschaftler Jäger hält einen erneuten Putsch jedoch für unwahrscheinlich.
"Erstens: Die Wagner Söldner haben einen Großteil ihrer Waffen abgegeben. Zweitens: Sie sind eben nicht mehr zusammen. Sie haben drittens ihre Führungscrew verloren und viertens damit eben auch die Unterstützungsnetzwerke in der Elite, die ja während des Marsches auf Moskau getragen haben müssen."
Dennoch hat der Putschversuch aus dem Juni bis heute Einfluss auf Putin und sein Verhalten.
"Der Marsch auf Moskau, der hat etwas ganz tief in den Kreml eingepflanzt, was dort sowieso herrscht, nämlich Misstrauen. Und in diesem Klima ist klar, dass Säuberungen stattfinden. Manche sieht man, manche sieht man nicht, manche gehen tödlich aus, manche nur durch Kaltstellen der entsprechenden Personen."
Für Thomas Jäger bedeutet der mutmaßliche Tod Prigoschins für den Krieg in der Ukraine nichts Gutes:
"Putin ist derjenige, der über die Dauer des Krieges nochmal mehr als vorher alle Macht an sich gezogen hat. Er ist der letzte Entscheider und das hat er jetzt hier wieder bewiesen. Und das heißt nichts anderes für den Krieg in der Ukraine, als dass er so lange geführt wird, wie Putin das will. Und Putin hat das Ziel ausgegeben, bis die Ukraine uns ist, so lange wird der Krieg geführt. Es gab schon vorher keine Chance auf Verhandlungen. Jetzt gibt es sie schon mal gar nicht mehr."
Mit dem Absturz der Prigoschin-Maschine hat Putin einmal mehr gezeigt, dass er sich als unantastbarer Mann im Kreml inszeniert - und weiter Angst und Schrecken verbreiten wird.
Wie wahrscheinlich ein erneuter Putschversuch der Wagner-Söldner ist und wie sich Prigoschins Tod auf den Ukraine-Krieg auswirken könnte, sehen Sie hier oder oben im Video.
- Eigenes Interview mit Politikwissenschaftler Thomas Jäger
- Videomaterial von Reuters