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Ukraine: 100.000 russische Soldaten nahe Charkiw?Experte wird deutlich


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Warnung der Ukraine
100.000 russische Soldaten? – "Herbeifabriziert"


Aktualisiert am 21.07.2023Lesedauer: 3 Min.
Russische Soldaten: Die Armee wird immer größer.Vergrößern des Bildes
Russische Soldaten: Offenbar werden doch nicht massenweise Kämpfer nahe Kupjansk bei Charkiw konzentriert. (Quelle: IMAGO/Andrei Rubtsov)
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Die Meldung hatte erheblichen Wirbel ausgelöst: Angeblich soll Russland eine riesige Streitmacht in der Ostukraine zusammengezogen haben. Doch an der Geschichte gibt es Zweifel.

Die Gegenoffensive der Ukraine verläuft nach wie vor schleppend, gleichzeitig erlebt das Land massive Angriffe auf ihre Hafenstädte Odessa und Mykolajiw. Es sind einmal mehr schwere Zeiten für die Ukraine, Erfolgsmeldungen aus Kiew sind rar.

In dieser Gemengelage wirkt die Nachricht von Anfang der Woche noch immer wie eine Bedrohung: 100.000 Soldaten soll Russland derzeit angeblich nahe der Region Charkiw im Nordosten der Ukraine zusammenziehen, außerdem 900 Kampfpanzer und Hunderte Kampfflugzeuge.

Plötzlich stand die Gefahr einer neuen russischen Großoffensive im Raum, wo noch zuvor die meisten Experten feststellten, dass die russische Armee zu größeren Angriffsoperationen kaum in der Lage ist.

Dazu passte, dass russische Truppen am Dienstag nach Angaben aus Moskau in Richtung Kupjansk (Region Charkiw) um bis zu zwei Kilometer vorgerückt sein sollen. Kupjansk drohte abermals zum Kriegsschauplatz zu werden. Doch jetzt zeigt sich: Darauf deutet so gut wie nichts hin.

Die Meldung kam nicht von irgendwem, sondern vom Sprecher der ukrainischen Streitkräfte im Osten des Landes, Serhiy Cherevaty. Er nannte die erschreckenden Zahlen im ukrainischen Fernsehen. Die ukrainische Vizeverteidigungsministerin Hanna Maljar bekräftigte diesen Eindruck. Man beobachte eine größere Truppenzusammenlegung auf russischer Seite in der Region um die Großstadt Charkiw, teilte sie auf Telegram mit. Auch Kampfjets und Kampfhubschrauber seien dorthin verlegt worden.

Doch wenige Tage später zeigt sich: An der angeblichen 100.000-Mann-Streitmacht ist vieles zweifelhaft. Militärblogger in sozialen Medien sprechen von einer kaum veränderten Lage um Kupjansk. Die Russen hätten etwa am Mittwoch einige örtliche Angriffe gestartet, ausnahmslos alle seien aber ohne Erfolg gewesen, twittert Blogger Andy Schneider. Auch öffentlich zugängliche Karten zum Kriegsgeschehen zeigen keine entsprechende Truppenverstärkung.

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Woher sollen die vielen Soldaten plötzlich kommen?

Die größte Frage ist jedoch: Woher sollten plötzlich die 100.000 russischen Soldaten kommen? Russland hat bekanntlich massive Personalprobleme an der Front. 300.000 Soldaten im vergangenen September zu mobilisieren war bereits ein riesiger Aufwand für den Kreml – anfangs unter Protesten der Bevölkerung. Viele sind seitdem getötet oder verletzt worden oder für Defensivoperationen vorgesehen.

Vor diesem Hintergrund ist es unwahrscheinlich, dass die russische Armee plötzlich 100.000 zusätzliche Soldaten zur Verfügung hat, die in der Nähe von Kupjansk einen Großangriff ausführen könnten.

Warum Kupjansk?

Fraglich ist auch, warum es gerade Kupjansk treffen sollte, da russische Truppen gerade eher in anderen Regionen im Land in Bedrängnis sind. In Bachmut etwa will die ukrainische Armee immer mehr Fortschritte dabei machen, russische Truppen einzukreisen, berichtet die Zeitung "Kyiv Independent".

Die ukrainische Nachrichtenagentur RBK-Ukraiina meldet dahingehend allerdings, das genau das der Region Kupjansk derzeit mehr Bedeutung beimesse: Mit ihren aktuellen Attacken versuchten die russischen Truppen die ukrainischen von Gegenangriffen um Bachmut abzulenken.

Fest steht: Kupjansk ist strategisch wichtig. Die Stadt ist ein bedeutender Verkehrsknotenpunkt in der Region, um Soldaten zu bewegen, zu versorgen und auszurüsten. Sie hat auch symbolische Bedeutung: Sie war eine der ersten, die die Kremlarmee eingenommen hatte, bereits am 27. Februar 2022, drei Tage nach Beginn des Überfalls auf die Gesamtukraine. Im vergangenen September eroberte die Ukraine sie zurück. Seither stehen sich die Truppen dort gegenüber.

"Herbeifabrizierte Zahl"

Der Berliner Politikberater und Politikwissenschaftler Nico Lange wird in seiner Einschätzung trotzdem besonders deutlich: "Diese herbeifabrizierte Zahl von 100.000 Soldaten und 900 Panzern lässt sich in keiner Weise anhand von Satellitenbildern verifizieren. Das stimmt einfach nicht und ich weiß nicht, wer solche Zahlen aus welchem Grund auch immer veröffentlicht", sagte Lange t-online.

Was der Fall zeigt: Die Nachrichtenlage im Krieg ist oft schwer durchschaubar, Informationen werden teils bewusst gestreut – von ukrainischer, aber auch russischer Seite. Das kann mehrere Gründe haben: Die feindliche Seite soll in ein bestimmtes Licht gerückt, gegebenenfalls getäuscht oder zumindest im Unklaren etwa über Truppenbewegungen gelassen werden. Manchmal werden auch unwissentlich Falschinformationen weitergeben.

Kriegsparteien erhalten Berichte von der Front, von Geheimdiensten, von Verbündeten aus dem Ausland, nutzen öffentlich zugängliches Material wie Karten und Satellitenaufnahmen.

Heikle Informationspolitik im Krieg

Warum in diesem Fall die Ukraine die 100.000-Soldaten-Warnung öffentlich machte, ist unklar, auch das ist häufig Teil der Informationspolitik im Krieg: Die Ukraine erklärt ihre Kommunikationsstrategie nur selten der Öffentlichkeit, auch, um die eigene Verteidigung nicht zu gefährden. Genauso hält es Russland mit seinen Angriffen.

Die ukrainische Vizeverteidigungsministerium Maljar allerdings relativierte ihre Einschätzungen mittlerweile: "Die Offensive des Feindes im Sektor Kupjansk ist derzeit erfolglos", schrieb sie am Dienstag auf Telegram. "Die Kämpfe gehen weiter, aber wir haben die Initiative auf unserer Seite."

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherche
  • Twitter: @AndySch64494719, @war_mapper
  • Telegram: t.me/annamaliar (ukrainisch)
  • ukrinform.ua: "На Куп’янський напрямок РФ стягнула понад 100 тисяч військових - майже стільки, як СРСР в Афганістан" (ukrainisch)
  • rbc.ua: "Зачем россияне наступают на Лиман и Купянск: мнения экспертов" (russisch)
  • kyivindependent.com: "Syrskyi: Russian forces in Bakhmut 'semi-encircled'" (englisch)
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