Wagner-Söldner auf dem Weg nach Moskau Nur wenige Anzeichen für Gegenwehr der russischen Armee
Truppen von Jewgeni Prigoschin sind in die Stadt Rostow am Don einmarschiert und kontrollieren wohl auch Militäreinrichtungen in Woronesch. Bislang deutet nicht viel auf größere Gegenwehr der russischen Armee hin.
Die politische Situation innerhalb Russlands spitzt sich zu: Die Söldnergruppe Wagner probt einen bewaffneten Aufstand. Truppen sind in der südrussischen Stadt Rostow am Don einmarschiert. Einem Bericht zufolge haben sie auch in Woronesch, einer Stadt auf halbem Weg zwischen Rostow am Don und Moskau, Militäranlagen eingenommen.
Laut britischen Geheimdiensten bewegen sich die Truppen weiter nach Norden, also Richtung Moskau. Teile der russischen Sicherheitskräfte verhalten sich demnach bisher wohl passiv und entgegenkommend. Bislang deutet lediglich ein brennendes Öl-Depot in Woronesch darauf hin, dass die russische Luftwaffe Angriffe gegen Wagner fliegt.
Davon abgesehen gibt es Beobachtern zufolge bisher nur "sehr begrenzte Beweise" für Kämpfe zwischen Wagner und Sicherheitskräften. Dies deute darauf hin, dass einige russische Truppen wahrscheinlich "passiv" geblieben seien und Wagner nachgegeben hätten. In Bugayevka sollen sich 180 Soldaten der russischen Armee ergeben haben. Mehr dazu lesen Sie hier.
Der russische Präsident Wladimir Putin reagierte mit einer Ansprache, die zuvor aufgezeichnet und von den staatlichen Medien verbreitet wurde. Der Aufstand sei ein "Dolchstoß in den Rücken unserer Truppen".
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Prigoschin hatte zuvor verneint, dass es sich um einen Putsch handele und stattdessen von einem "Marsch der Gerechtigkeit" gesprochen. Er kündigte am Freitagabend an, er wolle "das Böse" der militärischen Führung stoppen.
"Wir sind 25.000", sagte Prigoschin in einer Sprachbotschaft über die Kampfstärke seiner Truppe und rief "alle, die sich uns anschließen wollen", dazu auf, "dem Chaos ein Ende zu bereiten". Auf einem der Wagner-Telegram-Kanäle heißt es, Prigoschin habe die Nationalgarde aufgerufen, sich ihm anzuschließen.
Bilder der russischen Nachrichtenagentur Tass zeigen Panzer mit "Z"-Markierung und Soldaten am Samstag in Rostow am Don. Die russische Nachrichtenagentur Tass teilte mit, die Wagner-Kämpfer haben vor dem Hauptquartier des Militärbezirks Süd Stellung bezogen. Wagner-Anführer Jewgeni Prigoschin sagte am Samstagmorgen in Videos, dass seine Söldner alle militärischen Einrichtungen in der 1,1-Millionen-Stadt kontrollieren, darunter auch den Flugplatz.
Er drohte, in Richtung Moskau zu marschieren, wenn Verteidigungsminister Sergej Schoigu und Generalstabschef Waleri Gerassimow nicht zu ihm kämen. Dies behindere nicht Russlands "militärische Spezialoperation" in der Ukraine.
Putin vergleicht Prigoschins Aufstand mit Nazi-Deutschland
Hintergrund der Wagner-Aktion ist augenscheinlich ein Machtkampf zwischen Prigoschin und Schogiu. Prigoschin hatte letzteren zuvor bezichtigt, Angriffe auf Wagner-Söldner befohlen zu haben und Vergeltung angekündigt.
Das Dementi aus Moskau kam umgehend. Das Verteidigungsministerium bestritt, dass Wagner-Söldner von russischen Soldaten beschossen worden seien.
Prigoschin: "Wir werden alles zerstören, was sich uns in den Weg stellt"
In einem Audiobeitrag hatte Prigoschin in der Nacht gesagt, dass seine Truppen aus den besetzten Gebieten kommend die russische Grenze überschritten und die Region Rostow erreicht hätten. "Wir werden alles zerstören, was sich uns in den Weg stellt", heißt es in dem Audioclip. Er behauptete auch, einen russischen Helikopter abgeschossen zu haben, der seine Soldaten angeblich angegriffen habe.
Anti-Terror-Regime in Moskau installiert
Angesichts des Wagner-Marschs gen Moskau hat die Regierung für die Hauptstadt laut einem Bericht der Nachrichtenagentur Tass ein Anti-Terror-Regime ausgerufen. Das bedeutet, dass der Inlandsgeheimdienst FSB die Macht in der russischen Hauptstadt übernommen hat.
Wie der "Meduza"-Journalist Kevin Rothrock auf Twitter berichtet, kann der FSB dort anlasslose Personenkontrollen aller Bürger durchführen. Außerdem darf der FSB die gesamte Telekommunikation abhören und notfalls abschalten.
Auch die militärischen Einheiten des Geheimdienstes sind auf den Straßen präsent. Videos bei Twitter zeigten Militärtransporter und gepanzerte Fahrzeuge in der Hauptstadt. Moskaus Bürgermeister Sergej Sobjanin sagte, in der Hauptstadt würden zusätzliche Straßenkontrollen eingeführt.
"Alle wichtigen Einrichtungen, staatlichen Behörden und Einrichtungen der Verkehrsinfrastruktur wurden unter verstärkten Schutz gestellt", berichtet die Nachrichtenagentur Tass. Nach Angaben der Agentur seien die Einheiten OMON und SOBR der russischen Garde in Alarmbereitschaft versetzt worden. Der Rote Platz, an dem sich auch der Kreml befindet, werde am Samstag für Besucher gesperrt, hieß es in offiziellen Verlautbarungen.
Geheimdienst leitet Ermittlung gegen Prigoschin ein
Am Freitagabend war Angaben von Tass zufolge gegen Prigoschin ein Strafverfahren eröffnet worden. "Die im Namen von Jewgeni Prigoschin verbreiteten Vorwürfe entbehren jeglicher Grundlage. Im Zusammenhang mit diesen Aussagen leitete der FSB Russlands ein Strafverfahren wegen Aufrufs zu einem bewaffneten Aufstand ein", hieß es in einem Bericht der Tass. "Wir fordern ein sofortiges Ende rechtswidriger Handlungen", heißt es demnach in einer Erklärung des russischen Nationalen Anti-Terror-Komitees. Lesen Sie hier mehr zu den Ermittlungen gegen Jewgeni Prigoschin.
Der russische Geheimdienst FSB forderte laut Ria die Söldner dazu auf, "keine irreparablen Fehler zu begehen und alle gewaltsamen Aktionen gegen das russische Volk einzustellen". Man solle Befehle von Prigoschin nicht ausführen und Maßnahmen zu seiner Inhaftierung ergreifen.
Prigoschin widerspricht Putin
Aus den USA heißt es, man beobachte derzeit den Machtkampf zwischen dem russischen Militärunternehmer und der Staatsführung in Moskau. Man werde sich mit den Verbündeten und Partnern über die Entwicklungen beraten, sagte ein Sprecher des Nationalen Sicherheitsrats des Weißen Hauses.
Zwischen Prigoschin und der Moskauer Militärführung herrscht seit Monaten ein sich stetig zuspitzender Konkurrenzkampf. Prigoschins Wagner-Truppe war maßgeblich an der blutigen Eroberung der Stadt Bachmut im Gebiet Donezk beteiligt. Schon damals klagte er über Sabotage vonseiten der regulären Truppen. Seine Einheiten würden nicht ausreichend mit Munition versorgt, so der Vorwurf.
Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version hieß es, Putin habe den Aufstand mit dem Verrat von Nazi-Deutschland im Zweiten Weltkrieg verglichen. Tatsächlich aber sprach Putin vom Ersten Weltkrieg. Wir bitten diesen Fehler zu entschuldigen.
- Mit Material der Nachrichtenagenturen dpa und Reuters
- tass.ru: После заявлений Пригожина возбудили дело о призыве к вооруженному мятежу (russisch)
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