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Unzufriedenheit bei Kremltruppen: Weniger Geld für Offiziere als für Neuzugänge


Russischer Überläufer
Offiziere bekommen weniger Geld als neue Rekruten

Von t-online, cry

Aktualisiert am 13.06.2023Lesedauer: 3 Min.
Ein russischer Soldat posiert mit einem Raketenwerfer: Die Meinungen zur Ukraine sind in Russlands Armee sehr unterschiedlich, sagt ein Deserteur.Vergrößern des Bildes
Ein russischer Soldat posiert mit einem Raketenwerfer: Die Meinungen zur Ukraine sind in Russlands Armee sehr unterschiedlich, sagt ein Deserteur. (Quelle: IMAGO/Stanislav Krasilnikov)

Ein desertierter Flieger der russischen Armee berichtet von großer Unzufriedenheit der Kremltruppen. Ein Grund soll der besonders ungerechte Sold für Neuzugänge sein.

Wenn Interna aus Russlands Militär in den Schlagzeilen landen, sind dafür meist ausländische Geheimdienste verantwortlich. Nur selten melden sich Insider zu Wort – zu gefährlich ist es unter Putins Regime, über die oft desolate Lage der Soldaten zu sprechen. Dimitri Mischow, 26, jüngst noch Leutnant einer russischen Fliegerbrigade und nun Asylsuchender in Lettland, tut es dennoch.

Er gehört zu einer Handvoll desertierter Soldaten, die ihre neugewonnene Freiheit in der EU nutzen, um den Krieg gegen die Ukraine und die Situation im Militär öffentlich zu kritisieren.

In einem Interview mit der britischen BBC berichtet Mischow davon, wie durchwachsen die Stimmung innerhalb der russischen Truppen ist: Einige Soldaten unterstützten den Krieg, doch die wenigsten glaubten, dass es darum gehe, Russland vor einer tatsächlichen Gefahr zu schützen.

Kremlpropaganda verpuffe in der Armee

Seit dem Überfall auf die Ukraine im Februar 2022 rechtfertigt Moskau den Krieg, der in Russland weiterhin nicht so genannt werden darf, als präventiven Befreiungsschlag gegen eine vermeintlich von Neonazis durchsetzte Regierung des Nachbarlandes. Eine haltlose Behauptung, die auch Mischow nicht glaubt. "Ich würde meinem Land dienen, wenn es eine echte Bedrohung wäre. Aber ich habe mich geweigert, an einem Verbrechen teilzunehmen."

Zwar herrschen in Russlands Armee laut Mischow unterschiedliche Einstellungen gegenüber der Ukraine, doch die Propaganda von Regierung und Militärführung verpuffe einfach. Niemand glaube die offiziellen Berichte über Fronterfolge und angeblich niedrige Opferzahlen in den eigenen Reihen.

Während Russlands Verteidigungsminister Sergej Schoigu im September 2022 von rund 6.000 Gefallenen sprach, ging das US-Pentagon bereits damals von bis zu 80.000 Toten aus. Ein geleaktes US-Geheimdienstdokument von April 2023 schätzt die Zahl getöteter russischer Soldaten inzwischen auf 223.000.

Mehr Gehalt für unerfahrene Neuzugänge

Besonders hoch sind die Verluste Mischow zufolge bei Fliegerstaffeln, was eine Investigativrecherche der BBC bestätigt. Demnach hat Russlands Militär Hunderte Spezialkräfte seiner Luftwaffe verloren – angesichts der aufwendigen und teuren Ausbildung neuer Rekruten ein großes Problem. "Sie können inzwischen zwar die Helikopter ersetzen, aber es fehlen die Piloten", so Mischow, der selbst Navigator für Kampfhubschrauber war.

Er geht davon aus, dass Russland im ersten Jahr seines Kriegs gegen die Ukraine schon mehr als 330 Helikopter verloren hat, genauso viele wie die Sowjetunion einst in ihrem Krieg in Afghanistan von 1979 bis 1989.

Für großen Unmut unter den Soldaten sorgen laut Mischow vor allem auch unfaire Gehälter. Demnach bekommen erfahrene Luftwaffenoffiziere weiterhin denselben Sold wie vor Kriegsbeginn: Maximal 90.000 Rubel pro Monat, umgerechnet rund 1.016 Euro.

Gleichzeitig würde neuen Rekruten in offiziellen Anwerbekampagnen ein Sold von rund 204.000 Rubel pro Monat geboten, umgerechnet rund 2.300 Euro. Zusätzlich sollen Neuzugänge laut "Moscow Times" Prämien für zerstörte oder übernommene Waffen und Ausrüstung des Gegners bekommen.

Immer wieder berichten ausländische Geheimdienste und Medien davon, dass die russische Militärführung mit wachsendem Personalmangel kämpfe. Anonyme russische Quellen hatten dem Wirtschaftsmagazin "Bloomberg" im April bestätigt, dass die Militärführung dieses Jahr rund 400.000 neue Soldaten rekrutieren wolle.

Keine Entlassung trotz Suizidversuch

Dimitri Mischow selbst war nach eigenen Angaben vor seiner Flucht nicht in der Ukraine im Einsatz. Noch im Januar 2022 habe er seine Entlassung aus dem Militär beantragt, wurde nach Kriegsbeginn jedoch nach Belarus geschickt, um dort Militärgerät per Helikopter zu transportieren. Im September folgte die landesweite Teilmobilisierung, die seine Entlassung ins zivile Leben unmöglich gemacht habe, so Mischow.

Nachdem er Anfang dieses Jahres "auf eine Mission" beordert worden sei, habe er versucht, sich das Leben zu nehmen. Selbst der Suizidversuch habe die Militärführung nicht überzeugt, ihn gehen zu lassen. Also entschied Mischow zu fliehen: "Hätten sie mich erwischt, wäre ich wohl sehr lange ins Gefängnis gekommen", sagt er.

Doch die Flucht gelang. "Ich konnte endlich wieder aufatmen", so Mischow. Ob sein Antrag auf Asyl in Lettland genehmigt werden wird, weiß er noch nicht. Den Neustart in Europa wolle er in jedem Fall versuchen.

Hinweis: Falls Sie viel über den eigenen Tod nachdenken oder sich um einen Mitmenschen sorgen, finden Sie hier sofort und anonym Hilfe.

Verwendete Quellen
  • bbc.com: "Dmitry Mishov, Russian airman who defected, gives BBC interview"
  • bbcrussian.substack.com: "Elite specialists: Russia’s costly losses in Ukraine"
  • zdf.de: "US-Leaks: So hoch sollen Kiews Verluste sein"
  • thehill.com: "Russian deaths in Ukraine surpass all its war fatalities since WWII combined: study"
  • reuters.com: "Russia calls up 300,000 reservists, says 6,000 soldiers killed in Ukraine"
  • moscowtimes.com: "Russia’s Massive Army Recruitment Drive Appears to Deliver Few Soldiers"
  • bloomberg.com: "Russia Seeks 400,000 More Recruits as Latest Ukraine Push Stalls"
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