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Ukrainischer Botschaft: "Vielen Dank, liebe Deutsche, das sollen die Russen bezahlen"


Interview
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Ukrainischer Botschafter
"Vielen Dank, liebe Deutsche, aber das sollen die Russen bezahlen"


Aktualisiert am 16.02.2023Lesedauer: 7 Min.
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Deutlicher Appell an Scholz: Was der ukrainische Botschafter Oleksii Makeiev jetzt von Deutschland fordert. (Quelle: t-online)
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Ist nach der Panzerwende alles gut zwischen Scholz und Selenskyj? Im Interview erklärt der ukrainische Botschafter, warum Deutschland die militärische Führungsmacht in Europa werden soll.

Mitte Februar in Berlin. Oleksii Makeiev steht vor einer Gruppe Journalistinnen und Journalisten, er ist zum Redaktionsbesuch zu t-online gekommen. Der ukrainische Botschafter in Deutschland sagt in die Runde: "Haben Sie keine Angst, ich bin noch kein Leopard."

Der gebürtige Kiewer ist seit Amtsantritt im Oktober im Dauereinsatz. Für das Interview mit t-online formuliert er seine Sätze sehr ruhig und konzentriert. Ganz anders als sein Vorgänger Andrij Melnyk.

t-online: Herr Makeiev, nach 116 Tagen im Amt haben Sie schon einiges miterlebt: den Abgang der deutschen Verteidigungsministerin, den Antritt Ihres Nachfolgers, erst keine Kampfpanzer, dann doch Kampfpanzer. Haben Sie schon die Nase voll von Deutschland?

Oleksii Makeiev: Bis meine Nase voll ist, dauert es. Natürlich bin ich als Diplomat jetzt auch an einer politischen Front im Einsatz. Ich bin zum Waffenhändler geworden und zum Elektroingenieur. Ich streite für Material, das wir brauchen, damit unsere Energieversorgung, die die Russen besonders attackieren, halbwegs funktioniert. Aber seien wir ehrlich: Ich habe es hier in Berlin sehr komfortabel. Denken Sie mal daran, was jeden Tag unsere Mädels und Jungs an der Front und in den Schützengräben erleben oder die Familien in Schutzbunkern.

Sie sind nicht entmutigt?

Nein. Ich werde alles dafür tun, dass über die Ukraine gesprochen wird. Und dass die deutsche Öffentlichkeit diesen Krieg mit ukrainischen Augen sieht. Viele Menschen in Deutschland zeigen sich solidarisch mit der Ukraine. Das tut sehr gut.

Ist es leichter oder schwieriger im Amt anzukommen, wenn der Vorgänger Andrij Melnyk heißt?

Also, was ich sagen kann: Mich erkennen die Menschen auf der Straße auch. Und es freut mich, wenn sie auf mich zukommen und ihre Solidarität ausdrücken.

Eine diplomatische Antwort. Die Ukraine hat mittlerweile fast alle Waffensysteme erhalten, um die sie seit Kriegsbeginn gebeten hat. Sind Kampfjets nun die letzte Forderung?

Es stimmt, mit den Kampfpanzern haben wir jetzt fast die gesamte Palette möglicher Waffensysteme erhalten. Wir reden von vier Elementen: Flugabwehr, Artillerie, gepanzerte Fahrzeuge und Ausbildung unserer Soldaten an westlichen Waffen. Zur Flugabwehr gehören aber nicht nur Boden-Luft-Systeme, wie die deutschen Iris-T, sondern auch Luft-Luft-Raketen. Also Flugzeuge, die russische Marschflugkörper abfangen und Kampfjets abschießen. Diese Gespräche führen wir jetzt mit den Ländern, die über solche Maschinen verfügen.

Auch mit Deutschland?

Aktuell nicht.

Also wird Kiew künftig statt neuer Systeme mehr vom Alten fordern?

Das Bild vom ukrainischen Botschafter, der in ein deutsches Ministerium läuft, dort mit der Faust auf den Tisch schlägt und Panzerlieferungen einfordert, ist falsch. Die Gespräche werden anders geführt. Wir fordern nicht, wir brauchen.

Ihr Vorgänger, der heutige Vizeaußenminister Andrij Melnyk, pflegte hin und wieder eine andere Gesprächsführung.

Als neuer ukrainischer Botschafter kann ich Ihnen sagen: Dieser Eindruck täuscht. Wir fordern nicht und poltern auch nicht, sondern argumentieren inhaltlich: Warum wir welche Waffen brauchen, um welches militärische Ziel zu erreichen. Und warum wir sie dringend brauchen.

Benötigt die Ukraine U-Boote und Kriegsschiffe, die Melnyk kürzlich ins Spiel brachte?

Nein. Derzeit nicht und dazu finden auch keine Gespräche statt.

Nicht nur die deutsche, auch andere Regierungen zögern, weil sie eine Kriegseskalation durch Jet-Lieferungen fürchten. Sie nicht?

Ich verstehe die ganze Diskussion über eine mögliche Eskalation überhaupt nicht. Russland führt einen Vernichtungskrieg gegen uns. Wladimir Putin will die Ukraine auslöschen. Die Menschen in der Ukraine erleben das jeden Tag an ihrem eigenen Leib. Jeden Tag rennen Familien in den Schutzkeller, weil die Luftalarm-App ertönt. Haben Sie die mal gehört?

Sie ist sehr durchdringend.

Das ist nicht angenehm. Jeden Tag kann der Vater, die Oma, das Kind von einer russischen Rakete getötet werden. Wir leben bereits in der Eskalation. Was gibt es noch zu eskalieren?

Der Westen verfolgt zwei strategische Ziele: die Ukraine unterstützen und einen direkten Krieg mit Russland vermeiden. Letzteres wäre eine Eskalation. Hat Ihr Land ebenso ein Interesse daran, diese direkte Konfrontation, also den Dritten Weltkrieg zu verhindern?

Nein. Denn die Ukraine ist bereits im Dritten Weltkrieg. Es ist dasselbe, was wir vor 80 Jahren schon einmal erlebt haben: Wieder tobt ein Krieg, wieder sind unsere Gebiete besetzt und wieder sterben die Ukrainer unter Bomben, Raketen und ausländischen Panzern. Nur diesmal sind es die russischen. Ich verstehe, dass kein Deutscher, Pole oder Litauer in den Krieg ziehen will. Aber nicht wir, sondern Russland hat den Krieg begonnen und Russland könnte ihn auch beenden.

Kanzler Scholz warfen viele zuletzt Zögerlichkeit vor. Jetzt aber hat womöglich genau das zum Erfolg geführt: Nicht nur Deutschland, auch die USA liefern Panzer.

Die Lieferungen von westlichen Kampfpanzern hat die Ukraine seit dem 24. Februar 2022 angesprochen – und erst jetzt, ein Jahr später, sollen wir sie bekommen.

Sie klingen frustriert.

Nein, das bin ich nicht. Ich freue mich sehr, dass es jetzt eine Panzerkoalition gibt. Das ist ein Durchbruch. Wichtig ist, dass man jetzt ganz genau schaut, wo man noch weitere Panzer für die Ukraine herbekommt. Und ich hoffe, dass bald die ersten Panzer rollen.

Also war es kein Erfolg von Kanzler Scholz, die USA mit ins Boot zu holen?

Es war kein Erfolg einer einzelnen Person, sondern vieler Persönlichkeiten und Länder. In erster Linie ist es aber ein Erfolg der ukrainischen Diplomatie und von Präsident Selenskyj, der öffentlich und in Hintergrundgesprächen immer wieder darauf gedrängt hat.

Im Gegensatz zu Macron und Biden vermeidet Scholz bisher den Satz "Die Ukraine soll den Krieg gewinnen". Er sagt stattdessen, sie darf ihn nicht verlieren. Ärgert Sie das?

Fast alle deutschen Politiker tun das mittlerweile. Der Wind hat sich gedreht. Wir hoffen, dass Kanzler Scholz mit dem, was er tut, dasselbe meint.

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Die USA wählen 2024 einen neuen Präsidenten. Gewinnt ein Republikaner, könnten die Hilfen für die Ukraine schrumpfen. Wer übernimmt dann die Führungsrolle in Europa, sollten die Amerikaner sich künftig stärker auf China und den Indopazifik konzentrieren?

"Führungsrolle" ist mein Lieblingswort Nummer drei im Deutschen.

Welche Worte sind Nummer eins und zwei?

"Leopard" und "Marder". Seit ich in Deutschland bin, rede ich permanent über die ersten beiden.

Und die Führungsrolle?

Die soll Deutschland in Europa übernehmen, auch militärisch. Das erwartet die Ukraine. Wir Ukrainer sind mit dieser Vorstellung aufgewachsen. Schon in unseren Deutschbüchern steht, Berlin ist – zusammen mit Paris – die Lokomotive der europäischen Einigung.

Sie erwarten das, aber trauen Sie es Deutschland auch zu?

Zutrauen ist ein schönes Wort. Ja, ich traue Deutschland zu, Führungsmacht in Europa zu sein.

Warum hat Ihr Präsident Wolodymyr Selenskyj dann auf seiner Reise durch Europa nicht Halt in Berlin gemacht und den Kanzler getroffen?

Unser Präsident hat Herrn Scholz ja dann in Paris getroffen. Vertrauen Sie mir, Telefonate zwischen Präsident Selenskyj und Kanzler Scholz gibt es. Auch persönliche Treffen werden diskutiert. Aber Reisen eines Präsidenten, dessen Land im Krieg ist, sind absolut außergewöhnlich. Unser Präsident war in London, Paris und Brüssel. In Kriegszeiten kann er sich kaum erlauben, länger zu reisen.

Russland schickt immer mehr Soldaten an die Front, von den 300.000 Mobilisierten sollen bis zu zwei Drittel in der Ukraine kämpfen. Hat die Ukraine angesichts dieser Menge genügend Kämpfer?

Wir haben genug Soldaten. Was wir brauchen, sind mehr Waffen für unsere Streitkräfte. Darum geht es. Wir verteidigen unser eigenes Land auf unserem eigenen Boden. Die russischen Soldaten sind Angreifer, Eroberer, Besatzer und Verbrecher. Sie haben in der Ukraine nichts zu suchen.

Die Republik Moldau schickt zurzeit Warnungen in die Welt, fürchtet die russische Aggression vor der eigenen Haustür. Befürchten Sie dort eine zweite Front?

Natürlich muss man das im Auge behalten. Aber das, was wir aus Moldau hören, sagen auch andere Nachbarn von Russland. Die Politik sollte aufmerksam, sehr aufmerksam zuhören, was in Warschau, Vilnius, Riga, Tallinn, Helsinki, Stockholm oder auch Chişinău gesagt wird. Diese Länder sind direkt bedroht.

Gegenwärtig wird in Deutschland wieder groß über Friedensverhandlungen mit Russland diskutiert. Für viel Aufsehen sorgt derzeit ein offener Brief von Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer. Haben Sie ihn gelesen?

Ich lese jeden dieser Briefe.

Und was haben Sie bei diesem gedacht?

Dass im ersten Absatz alles stimmt. Da steht, dass Russland die Ukraine angegriffen hat, Menschen tötet, Frauen vergewaltigt. Doch dann kommt das schöne deutsche Wort "aber". Und da fällt die Logik in sich zusammen. Plötzlich geht es nur noch um die angeblich schlimmen Waffenlieferungen und nicht mehr darum, wie Russland dazu gebracht werden kann, die Gewalt zu beenden.

Aber ist es nicht die Aufgabe von Diplomatie, genau das herauszufinden?

Die Briefschreiber haben keine Ahnung. Sie machen sich die Welt zu einfach. Mich ärgert, dass in diesen Briefen kein einziger Lösungsvorschlag zu finden ist. Wer meint, mit bloßer Diplomatie könne man Russland an den Verhandlungstisch zwingen, hat den Krieg nicht verstanden.

Würden Sie sich mit Wagenknecht und Schwarzer treffen, um ihnen die ukrainische Perspektive näherzubringen?

Wenn Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer eine Verhandlungsstrategie präsentieren, die realistisch ist und Russland dazu bringen könnte, den Krieg zu stoppen, dann mache ich die beiden zu Chef-Unterhändlerinnen der Ukraine.

Wie wahrscheinlich sind Verhandlungen in den nächsten Monaten?

Sehr unwahrscheinlich. Die mächtigsten Regierungen der Welt haben vor dem 24. Februar 2022 auf den russischen Präsidenten eingeredet, haben versucht zu verhandeln. Putin hat sie alle belogen. Als er den Invasionsbefehl gab, war klar, die Diplomatie hat versagt. Oder 2014. Da haben alle verhandelt. Die Ukraine hat keinen Schuss abgegeben, als die Krim annektiert wurde. Weil uns gesagt worden war: Wir regeln das, wir verhandeln mit Putin. Was herauskam: Wir haben die Krim verloren.

Und anschließend den Donbass.

Wir lassen uns nicht noch einmal belügen, unsere Existenz steht auf dem Spiel. Präsident Selenskyj hat im vergangenen Jahr unsere Bedingungen für Friedensgespräche formuliert. Darüber hinaus gibt es für uns nichts zu besprechen.

Dazu zählt die territoriale Integrität der Ukraine, der Rückzug aller russischen Truppen und die Verfolgung der russischen Kriegsverbrechen. Ein Ausklammern der Krim-Frage findet sich nicht darin. Wären Sie an diesem Punkt zu Kompromissen bereit?

Es gibt nichts auszuklammern und auch nichts abzugeben. Die Krim gehört völkerrechtlich der Ukraine. Mal anders gefragt: Welches Stück Deutschlands würden Sie Putin denn abgeben, wenn er mit Waffengewalt über die Grenze stürmt? Er respektiert die Selbstständigkeit anderer Staaten nicht, daher gibt es auch kaum Raum für Kompromisse.

Zu unseren Bedingungen gehört im Übrigen auch, dass Russland nach Kriegsende den Wiederaufbau der Ukraine bezahlt. Dafür sollen nicht die Ukrainer und auch nicht die deutschen Steuerzahler aufkommen. Vielen herzlichen Dank im Voraus, liebe Deutsche, aber das sollen die Russen bezahlen.

Verwendete Quellen
  • Interview mit Oleksii Makeiev am 15.2.2023
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