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Ukraine: Friedensgespräche mit Russland? – "Moskau muss verlieren lernen"


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Debatte um Friedensgespräche
Die Aussichten sind schlechter denn je


Aktualisiert am 17.11.2022Lesedauer: 4 Min.
Russisches Militär: Friedensgespräche sind nicht in Sicht.Vergrößern des Bildes
Russisches Militär: Friedensgespräche sind nicht in Sicht. (Quelle: RIA Novosti/imago-images-bilder)
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Friedensgespräche zwischen der Ukraine und Russland sind seit Monaten unmöglich. Derzeit wären jegliche Verhandlungen ohnehin nur zum Vorteil des Kremls.

Auf den Tag genau sechs Monate herrscht Eiszeit zwischen Kiew und Moskau: Seit dem 17. Mai stehen die Friedensgespräche im russischen Angriffskrieg still – zu unterschiedlich waren die Forderungen der Kriegsparteien inmitten der russischen Invasion.

Daran hat sich bis dato eigentlich nichts geändert. Und doch mehren sich jetzt die Stimmen jener, die auf eine Wiederaufnahme der Verhandlungen dringen. So sagte jüngst etwa der einflussreiche Chef des US-Generalstabs, Mark A. Milley: "Am Ende des Tages wird es eine politische Lösung geben."

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Seine Äußerungen zielten auf eine Diskussion, die in den USA, aber auch in anderen Ländern geführt wird. Der "Washington Post" zufolge hatten etwa US-Beamte die ukrainische Führung vor wenigen Wochen dazu aufgefordert, sich gegenüber Verhandlungen mit Russland für einen Frieden in der Ukraine offen zu zeigen. Das gelte zumindest so lange, wie Kremlchef Wladimir Putin noch an der Macht sei.

Die Aussichten für Friedensgespräche

Ist also Frieden am Verhandlungstisch möglich? Wie weit sind Russland und die Ukraine wirklich von Friedensgesprächen entfernt? Und wie verläuft die Debatte in Deutschland?

Dem Historiker Jörn Happel zufolge lautet die Antwort auf die zweite Frage: sehr weit. Sowohl die Ukraine als auch Russland beharrten zu stark auf ihren territorialen Maximalforderungen, sagte er im Gespräch mit t-online. Zudem bräuchte es wahrscheinlich einen starken Vermittler. "Doch für Friedensgespräche fehlt dieser", erläuterte der Experte.

So könnten zwar Staaten wie China und Indien indirekten Einfluss auf die Entscheidungen des Kremls nehmen, wie etwa die Abschlusserklärung des G20-Gipfels verdeutlicht habe. Und doch schließt Happel, der an der Bundeswehr-Uni in Hamburg lehrt und forscht, sowohl diese beiden Staaten als auch die westlichen Nationen dafür aus. "Dort sehe ich keine Macht, die hier die Leute an den Tisch bekommen könnte."

Russland will Verlässlichkeit nicht komplett verspielen

Ein Grund dafür, so der Experte: die russische Kriegsstrategie, die sich durch zwei wesentliche Elemente auszeichne. Zum einen versuche Russland, um jeden Preis militärische Fortschritte in der Ukraine zu erzielen. Dabei nehme die Armee durch die massenhafte Bombardierung ziviler Infrastruktur in Kauf, dass die ukrainische Bevölkerung im Winter ohne Heizung und Energie vor essenzielle Probleme gestellt werde.

"Zum anderen versucht Russland, seine Verlässlichkeit auf dem internationalen Parkett nicht komplett zu verspielen", so der Historiker. Um das zu erreichen, zerstöre die russische Armee nicht ganze Städte, wie einst in Mariupol, sondern einzelne Gebäude der zivilen Infrastruktur. Ein Trick, so Happel: "Damit verschleiert Russland den völkerrechtswidrigen Angriff auf die Lebensgrundlage der ukrainischen Zivilbevölkerung."

(Quelle: Privat)

Prof. Dr. Jörn Happel ist seit Oktober 2020 Leiter der Professur für die Geschichte Osteuropas und Ostmitteleuropas an der Helmut-Schmidt-Universität/Universität der Bundeswehr in Hamburg. Happel hat Osteuropäische Geschichte, Politikwissenschaft und Neuere Geschichte in Gießen studiert.

"Verhandlungen würden Russland zum jetzigen Zeitpunkt bevorteilen"

Ähnlich sieht es Hanna Notte, Expertin für russische Außenpolitik. Sie ergänzt, dass Russland versuchen werde, die derzeitigen Gefechtslinien einzufrieren, um über die Wintermonate Nachschub an Raketen und Munition zu produzieren und einen weiteren Teil der mobilisierten Soldaten an die Front zu bringen.

"Die Kombination beider Anstrengungen, so hofft Russland vermutlich, wird Moskau im Frühjahr in die Lage versetzen, die zermürbte ukrainische Seite zu Gebietsabtritten zu zwingen oder im schlimmsten Fall sogar neue Offensiven zu unternehmen", sagte Notte t-online.

Was bedeutet das für mögliche Friedensgespräche? Die Expertin erklärt: "Aufgrund der russischen Strategie für die nächsten Monate würden Verhandlungen zum jetzigen Zeitpunkt Russland klar bevorteilen." Demnach sorgten Gespräche zwischen Kiew und Moskau für eine Atempause, in der Russland Ressourcen für den Krieg regenerieren könne.

Moskau hat immer Weg der militärischen Eskalation gewählt

"Da der Kreml in keiner Weise signalisiert hat, dass er seine anfänglichen Kriegsziele revidiert hat, ist leider nicht davon auszugehen, dass Russland nach ein paar Monaten von Verhandlungen von weiteren Angriffen auf die Ukraine absehen würde", prognostiziert Expertin Notte. Eine Chance darauf, dass Russland die Kriegsziele revidiere, bestehe aber erst, wenn die Ukraine weitere besetzte Gebiete befreien würde. Zuletzt hatte die ukrainische Armee die Region Cherson zurückerobert.

(Quelle: Privat)

Dr. Hanna Notte ist leitende wissenschaftliche Mitarbeiterin des Wiener Zentrums für Abrüstung und Non-Proliferation (VCDNP) und beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit Fragen der Rüstungskontrolle und der Sicherheit in Bezug auf Russland, den Nahen Osten und deren Überschneidungen sowie mit den Auswirkungen auf die Politik der USA und Europas. Notte schloss 2018 ihre Promotion an der Universität Oxford zum Thema der russisch-amerikanischen Zusammenarbeit im Nahen Osten ab.

Mit Blick auf die Forderungen einzelner US-Beamter erklärte die Expertin: "Es wäre zielführend, wenn Kiew – ganz grundsätzlich – Offenheit für Verhandlungen in der Zukunft, und unter bestimmten Konditionen, signalisieren würde und diese nicht kategorisch ausschließt." Denn Letzteres befördere nur die russische Behauptung, dass die Ukraine die Schuld für den Krieg trage.

"Es kann mit Putin keine Friedensverhandlungen geben"

Diese Meinung teilen – anders als in den USA – auch viele Vertreterinnen und Vertreter der deutschen Politik. Eine Lösung am Verhandlungstisch schon jetzt? Das halten die allermeisten für zu früh.

So schließt etwa die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses im Bundestag, Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP), Friedensgespräche zwischen der Ukraine und Russland derzeit gänzlich aus. "Es kann mit Putin keine Friedensverhandlungen geben", sagte die Politikerin t-online. Das hätten die "mörderischen Raketenangriffe der Terrorbande" während des G20-Gipfels erneut gezeigt. Russland habe an jeder Stelle klargemacht, dass es echte Verhandlungen ablehne.

Die Ukraine könne den Krieg nur dann gewinnen, wenn sie weiter Material und Waffen aus dem Westen bekomme. "Es ist daher völlig absurd, zu fordern, dass auf die Ukraine Druck für Friedensverhandlungen ausgeübt werden muss", betonte Strack-Zimmermann mit Blick auf die Forderungen aus den USA.

Ziel müsse sein, dass die Ukraine wieder in ihren alten Grenzen von vor dem Krieg existiere. Eine Belohnung Russlands für Völkerrechtsbruch, Morde, Vergewaltigungen und Kriegsverbrechen dürfe es nicht geben, so die Verteidigungspolitikerin.

"Es spricht derzeit überhaupt nichts für Friedensverhandlungen"

Dem schließt sich CDU-Außenpolitiker Roderich Kiesewetter an: "Es spricht derzeit überhaupt nichts für Friedensverhandlungen", sagte er t-online. Zum jetzigen Zeitpunkt passten diese Forderungen in Russlands Strategie, den Krieg über den Winter einzufrieren und sich neu aufzustellen für eine neue Offensive. Ein weiterer Angriff Russlands mit neusortierten Truppen sei dann für das Frühjahr vorhersehbar.

Der Unionsabgeordnete forderte ebenfalls die Lieferung schwerer Waffen, unter anderem Schützenpanzer, Transportpanzer und Kampfpanzer Leopard zur Vorbereitung einer Frühjahrsoffensive. Die militärische Unterstützung sei der Weg, um die Ukraine in eine Verhandlungsposition der Stärke zu bringen. "Erst dann sind Friedensverhandlungen sinnvoll", so Kiesewetter.

Zudem müssten innerhalb der Gespräche glaubhafte Sicherheitsgarantien, eine internationale Friedenstruppe, Reparationszahlungen von Russland sowie zwingend die Aufarbeitung sämtlicher Kriegsverbrechen auf der Tagesordnung sein, betonte der Außenpolitiker. "Moskau muss verlieren lernen und aus eigener Kraft Russland neu organisieren – sonst wird es kaum eine Veränderung in dem Land und für Europa weder Frieden noch Sicherheit geben."

Verwendete Quellen
  • Schriftliche Interviews mit Jörn Happel und Hanna Notte am 17. November 2022
  • Anfragen an Marie-Agnes Strack-Zimmermann und Roderich Kiesewetter am 17. November 2022
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