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Gespaltene Familie aus Russland: Vater Soldat, Töchter Oppositionelle


"Er hat überall Leichen gesehen"
Eine russische Familie zwischen Krieg und Widerstand

Von afp
Aktualisiert am 21.09.2022Lesedauer: 3 Min.
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Russischer Soldat bei Luhansk in der Ostukraine: Viele, die nach Russland zurückkehren, berichten von traumatischen Erlebnissen. (Quelle: IMAGO/Gavriil Grigorov)
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Während ihr Vater an der Front kämpfte, demonstrierten zwei Schwestern im russischen Pskow gegen den Ukraine-Krieg. Der Einsatz spaltet die Familie.

Auf dem Foto trägt der Vater von Anastasia und Elisaweta Grigorjewa die Uniform der russischen Fallschirmjäger und hält lächelnd einen Welpen in die Kamera. Aufgenommen wurde es vor seinem Einsatz in der Ukraine, jetzt erkennen ihn die Zwillingsschwestern darauf nicht wieder. Ihr Vater sei als "gebrochener" Mann zurückgekehrt, sagen sie.

Er wurde nicht verwundet, "aber der Krieg hat sich natürlich auf seine geistige Verfassung ausgewirkt", sagt Anastasia. "Er war bei den heftigsten Kämpfen dabei, unter Beschuss, alles", ergänzt Elisaweta. "Er sagt selbst, sechs Stunden lang beschossen zu werden verändere einen Menschen. Und dann die vielen Toten."

Schwestern protestieren im März gegen Angriffskrieg

Anastasia und Elisaweta sind 18 Jahre alt, ihre Nasen und Lippen sind mehrfach gepierct. Die Schwestern wirken schüchtern, doch in ihrer Ablehnung des russischen Einsatzes in der Ukraine sind sie sich sicher. Sie leben in der hübschen mittelalterlichen Stadt Pskow nahe der Grenze zu Estland. Hier ist auch die 76. Luftlandedivision stationiert, der ihr Vater angehört.

Im Januar teilte der Unteroffizier den Töchtern mit, dass er für ein paar Tage zu einem Manöver nach Belarus reisen würde. Der 43-Jährige sollte erst ein halbes Jahr später zurückkehren – von der Front in der Ukraine.

Die russische Offensive in der Ukraine schockierte die Schwestern. Am 6. März demonstrierten sie – fast allein – im Zentrum von Pskow dagegen. "Frieden in der Ukraine, Freiheit in Russland", hatten sie auf ihr Schild geschrieben. Polizisten nahmen sie sofort fest, drohten mit Gefängnis, ließen sie dann aber wieder frei. Im Juli verurteilte ein Gericht sie zu einer Geldstrafe von 20.000 Rubel (328 Euro) wegen der "Organisation" einer nicht genehmigten Demonstration.

"Der Krieg an sich ist ein Verbrechen"

Während seine Töchter mit der Justiz stritten, kämpfte der Vater in der Ukraine. Seine Division war an der Schlacht um Kiew beteiligt, bevor der ukrainische Widerstand die Moskauer Truppen zum Rückzug zwang. Recherchen des russischen Portals "Important Stories" zufolge waren Angehörige der 76. Luftlandedivision aus Pskow in der Region Butscha, als dort Zivilisten erschossen wurden – was der Kreml bestreitet.

Die Grigorjewa-Schwestern fragen sich, ob ihr Vater Verbrechen begangen hat. "Er sagt, dass er niemanden getötet hat", sagt Elisaweta. "Aber der Krieg an sich ist ein Verbrechen", findet Anastasia. "Ja, also ist es auch schon ein Verbrechen, am Krieg teilzunehmen oder ihn zu unterstützen", pflichtet ihr die Schwester bei.

Im Mai bat der Vater die Familie, sich bei den Behörden für seine Rückkehr einzusetzen. Mitte Juni durfte er aus "gesundheitlichen Gründen" nach Hause und beantragte nach rund 20 Dienstjahren die Entlassung aus dem Militärdienst.

Inspiriert von Alexej Nawalny

Noch gehört er den Streitkräften an und es ist ihm unter Strafe verboten, sich öffentlich zu äußern. Im Sommer, als er tagelang grübelnd in der Wohnung oder der Datsche saß, vertraute er sich dennoch mit seinen Qualen den Töchtern an. "So viel Stress hat seine Sicht auf die Welt verändert. Er hat Kameraden verloren. Er hat überall Leichen gesehen", erzählt Elisaweta. Sie beschreibt ihn in diesen dunklen Momenten als aggressiv, sie hätten sich viel gestritten. Psychologische Hilfe lehne er ab.

Die Situation wurde für die beiden jungen Frauen schließlich unerträglich. Im August verließen sie ihr Elternhaus. Eine Frauenrechtsorganisation half ihnen, eine Wohnung zu finden, und sie leben zum Teil von jenem Geld, das bei einer Crowdfunding-Kampagne für ihre Geldstrafe zusammen kam.

Anastasia und Elisaweta wollen den Kontakt zu ihren Eltern nicht abbrechen, aber sie wollen sich, anders als diese, politisch engagieren. Inspiriert haben sie die Videos des inhaftierten Oppositionspolitikers Alexej Nawalny. "Wir kritisieren die Machthabenden", sagen die Zwillingsschwestern. Vor dem Gefängnis hätten sie keine Angst. Ihr Ziel: "Wir müssen eine Demokratie in Russland aufbauen."

Verwendete Quellen
  • Nachrichtenagentur AFP
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