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Lage um AKW Saporischschja verschärft sich: Dann droht ein neues Fukushima


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AKW Saporischschja vom Netz
Dann droht ein neues Fukushima


Aktualisiert am 26.08.2022Lesedauer: 4 Min.
Ein russischer Soldat vor dem AKW Saporischschja (Archivbild): DIE IAEA fordert einen Abzug der Soldaten.Vergrößern des Bildes
Bewaffneter russischer Soldat vor dem AKW Saporischschja. (Quelle: IMAGO/Konstantin Mihalchevskiy)
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Die Lage im AKW Saporischschja verschärft sich dramatisch: Erstmals in der Geschichte wurde die Anlage vom Netz getrennt. Wie wahrscheinlich ist der GAU?

Die Warnungen überschlugen sich: "Nukleare Erpressung" betreibe Russland mit dem Atomkraftwerk Saporischschja, so der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj am Mittwoch im UN-Sicherheitsrat. "Jede weitere Eskalation der Situation könnte zu Selbstzerstörung führen", warnte auch UN-Generalsekretär António Guterres.

Nun scheint eine weitere Eskalationsstufe eingetreten zu sein.

Das AKW sei komplett vom Stromnetz genommen worden, gab der ukrainische Betreiber Energoatom am Donnerstagnachmittag bekannt – "erstmals in der Geschichte des Kraftwerks". Es habe nach "feindlichem Beschuss" durch die russische Armee Brandschäden an den Stromleitungen gegeben. Das Sicherheitssystem funktioniere jedoch. Das russische Verteidigungsministerium hingegen macht die Ukraine für Angriffe verantwortlich.

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In der Nacht hatte die Internationale Atomenergiebehörde unter Berufung auf Angaben aus Kiew zwischenzeitlich angegeben, dass das AKW wieder mit dem ukrainischen Stromnetz verbunden sei. Doch am Freitag teilt Energoatom mit: Alle sechs Reaktoren seien weiterhin vom ukrainischen Stromnetz abgeschnitten.

Video | Kernkraftwerk bei Saporischschja vom Netz getrennt
Quelle: Glomex

Atomkraftwerk als "Schutzschild"

Am Donnerstag war es in der gesamten russisch besetzten Region Saporischschja zu einem Stromausfall gekommen. "Heute ist die Stadt infolge feindlichen Beschusses komplett ohne Strom und Wasser", teilte der in den ukrainisch kontrollierten Landesteil geflohene Bürgermeister von Enerhodar, Dmytro Orlow, mit. In der Stadt südlich des Flusses Dnipro befindet sich das Atomkraftwerk – mit sechs Reaktoren das größte in Europa. Vor dem Krieg machte es ein Fünftel der ukrainischen Stromversorgung aus.

Anfang März, nur wenige Tage nach dem russischen Einmarsch in die Ukraine, hatten Kreml-Truppen das AKW unter ihre Gewalt gebracht. Das Kraftwerk wird weiterhin von ukrainischen Angestellten betrieben, etliche sollen jedoch geflohen sein. Auf dem Gelände sollen die russischen Truppen unter anderem Raketenwerfer stationiert haben – wohl aus Kalkül, um dort vor ukrainischen Angriffen sicher zu sein. Russland benutze das AKW als "militärischen Schutzschild", so der Vorwurf aus Kiew.

Seit Anfang August kommt es regelmäßig zu Beschuss in der Anlage. Kiew und Moskau beschuldigen sich gegenseitig. Raketeneinschläge sorgten immer wieder für Schäden und Brände, bisher wurden jedoch keine kritischen Einrichtungen getroffen. Aufgrund der anhaltenden Kampfhandlungen waren in den vergangenen Wochen international Sorgen vor einer Atomkatastrophe geäußert worden.

Ukraine warnte vor Unterbrechung der Stromversorgung

Eine Unterbrechung der Stromversorgung war dabei als eines der Gefährdungsszenarien gehandelt worden. Der Verdacht in Kiew: Russland wolle das AKW an das Stromnetz der russisch besetzten Regionen anschließen. Präsident Selenskyj sagte noch am vergangenen Freitag, Moskau plane eine "groß angelegte Provokation" am Kraftwerk, um eine Abkopplung vom ukrainischen Stromnetz zu rechtfertigen und es an das russische anzuschließen.

Auch von der Betreibergesellschaft Energoatom kamen derartige Vorwürfe: In einem Interview mit dem britischen "Guardian" sagte Energoatom-Präsident Petro Kotin am Mittwoch, die russischen Besatzer hätten einen detaillierten Plan ausgearbeitet, um im Falle einer Beschädigung der ukrainischen Stromleitungen das AKW an das russische Netz zu bringen.

Von den ursprünglich vier regulären Leitungen seien drei bereits zerstört. Auch zwei der drei Ersatzleitungen zu einem Wärmekraftwerk seien beschädigt. Die eine verbleibende sichert nach Angaben von Energoatom aktuell die Stromversorgung des AKW.

Gegenüber der BBC äußerte sich Mitte August ein namentlich nicht genannter ukrainischer Ingenieur des AKW ähnlich: Die russischen Besatzer würden die unterbrochene Stromversorgung ausnutzen wollen, um einen Anschluss an die Leitung in Richtung der Stadt Dschankoj zu erzwingen – und damit auf die besetzte Krim. "Die Russen arrangieren extra einen Blackout, damit sie uns später 'helfen' können."

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Experte: Keine unmittelbare Gefahr

Das Problem: Zur Kühlung der Brennstäbe in den Reaktoren wird Strom benötigt. Solange die externe Versorgung durch das Wärmekraftwerk gesichert ist, bestehe keine unmittelbare Gefahr, erklärt Sebastian Stransky von der Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit t-online. "Das AKW muss nun aber so schnell wie möglich versuchen, einen der ausgefallenen Reaktorblöcke wieder hochzufahren, um die Versorgung sicherzustellen", so Stransky. Dann kann sich das Kraftwerk selbst mit Strom zur Kühlung versorgen.

Ernergoatom bestätigte entsprechende Versuche. Dem russischen Besatzungschef der Region, Jewgeni Balizki, zufolge, war dies am Nachmittag bereits gelungen.

Sebastian Stransky ist Abteilungsleiter bei der Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit (GRS) mit Sitz in Berlin. Er ist Diplomingenieur (TU) für Kernenergietechnik und Sicherheitsingenieur.

Sollte die Stromversorgung hingegen komplett ausfallen, käme es auf die Versorgung durch Dieselgeneratoren an – nach Angaben von Energoatom waren die russischen Besatzer des AKW in den vergangenen Tagen auf der Suche nach Treibstofflieferanten. Auch Experte Stransky sagt: "Dramatisch wird es erst, wenn die Notstromversorgung nicht an jeden Block funktioniert."

20 Aggregate gibt es in Saporischschja für die sechs Reaktoren, von denen bis zum Mittag noch zwei aktiv waren. Diese sind für einen Betrieb über sieben bis zehn Tage ausgelegt – doch unter den aktuellen Bedingungen gibt es Zweifel an der Zuverlässigkeit des Systems.

GAU wäre mit Fukushima vergleichbar

Versagen die Generatoren, würden die Brennstäbe bereits nach 90 Minuten gefährlich hohe Temperaturen erreichen – samt Kernschmelze, erklärte Energoatom-Präsident Kotin dem "Guardian". Normalerweise erzeugen die Brennstäbe Hitze, welche von einem ersten Wasserkreislauf im Reaktor aufgenommen wird. Über Rohre wird die Wärme in einen zweiten Wasserkreislauf abgeleitet, es wird Dampf erzeugt. Dieser treibt eine Turbine an, die wiederum den Strom erzeugt. Auch Reaktoren, die nicht aktiv Strom erzeugen, müssen weiter gekühlt werden.

Kommt es zur Kernschmelze, kommt das Kühlwasser nicht in Kontakt zur Außenwelt – eigentlich. Denn bricht die Stromversorgung des AKW zusammen, und damit auch die Kühlversorgung, entsteht im Reaktor ein Überdruck. Kann dieser nicht über Ventile abgelassen werden, könnten die Reaktoren zerstört werden.

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Dann droht ein Szenario wie in Fukushima.

Experten gehen davon aus, dass in diesem Fall das Land in einigen hundert Kilometern Umkreis unbewohnbar werden würde. Die Ausdehnung hängt auch von der Windrichtung ab – bei dem häufig herrschendem Ostwind könnte die Radioaktivität nach Russland und Kasachstan getragen werden, bei anderer Windrichtung wäre auch ein Herüberwehen nach Mittel- und Westeuropa möglich. Sebastian Stransky beruhigt jedoch: "Derzeit gibt es keinen Grund, den Eintritt eines Worst Case zu unterstellen." Noch habe das Kraftwerk die Sicherheitseinrichtungen zur Notstromversorgung.

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