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Jugendarmee in Russland: Wie Wladimir Putin die "Junarmija" inszeniert


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"Junarmija" in Russland
Wie Putin um junge Soldaten wirbt


Aktualisiert am 03.08.2022Lesedauer: 5 Min.
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Russland: Ein russischer Lehrer hat sich für die Flucht entschieden – und spricht mit t-online offen über die Propaganda und Lügen an Schulen. (Quelle: t-online)
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Sie sind nicht einmal volljährig, doch marschieren bereits wie Erwachsene: Wie Kremlchef Wladimir Putin die russische Jugend indoktriniert.

Sie tragen Uniformen, die an Pfadfinder erinnern: eine rote Mütze, ein rotes Polohemd, eine beigefarbene Hose und Schnürstiefel. Doch sie verkaufen keine Kekse an Nachbarn – sie nehmen an militärischen Märschen teil, pflegen Kriegsdenkmäler und bauen Kalaschnikow-Modelle nach. Die Rede ist von Mitgliedern der "Junarmija", der russischen Jugendarmee.

Erst in der vergangenen Woche sorgte ein Video für Aufsehen: Ein Mann führt eine Gruppe Jugendlicher und Kinder an, sie marschieren durch die ukrainische Hafenstadt Mariupol, die seit mehr als zwei Monaten unter russischer Kontrolle steht. Dabei singen sie das sowjetische Liebeslied "Katjuscha". Die Aufnahmen, die Sie hier sehen, zeigen Experten zufolge ebenfalls Mitglieder der "Junarmija".

Manipulation mit Methode

Die Jugendarmee wurde im Oktober 2015 unter Leitung des russischen Verteidigungsministers gegründet. "Um junge Menschen dazu zu bringen, Russland mit der Waffe in der Hand zu verteidigen, müssen die Bereitschaft und der Wille zum Dienst bereits in der Kindheit und Jugend geweckt werden", sagte Sergej Shoigu damals – und machte große Versprechen.

Er sicherte den Schülern zu, "Flugzeuge zu fliegen und mit dem Fallschirm zu springen, unter Wasser zu tauchen und auf unseren Kriegsschiffen und U-Booten zu fahren und mit allem zu schießen, außer mit Raketen".

Fliegen? Fallschirmspringen? Bei solchen Aktivitäten werden wohl viele Kinderaugen groß. Doch hinter den spektakulären Ankündigungen steckt vor allem eins: Manipulation.

Ist die Mitgliedschaft wirklich freiwillig?

Der russische Präsident Wladimir Putin und seine Anhänger setzen alles daran, um der jüngsten Generation schon von klein auf ihre Ideologie zu vermitteln. Die finnische Militärexpertin Jonna Alava von der Universität Helsinki hat sich in dem Buch "Der Nexus von Patriotismus und Militarismus in Russland: Die Suche nach innerem Zusammenhalt" im Kapitel "Russlands junge Armee: Die Erziehung neuer Generationen zu militarisierten Patrioten" mit der Jugendarmee des Kremlchefs auseinandergesetzt.

Laut "Junarmija" ist eine Mitgliedschaft freiwillig. Doch Alava betont: Nicht jeder könne sich der Bewegung entziehen. Kinder von Militärangehörigen, Staatsbediensteten und Mitarbeitern in der Verteidigungsindustrie würden inoffiziell zum Beitritt verpflichtet. Das gelte auch für Waisenkinder, die in staatlich betriebenen Heimen wohnen, schreibt die Expertin.

Zugleich werden Mitglieder auch mit besonderen Vorteilen geködert: Mehr als 20 russische Universitäten vergäben in ihren Aufnahmeprüfungen inzwischen Extrapunkte an Studierende, die der "Junarmija" angehören oder angehört haben, so Alava.

Mehr als eine Million Mitglieder zwischen acht und 18

Auf der Website wirbt die "Junarmija" damit, inzwischen mehr als eine Million Kinder und Jugendliche zwischen acht und 18 Jahren aus ganz Russland zu vereinen. Jedes Mitglied habe Zugang zu "Hunderten von spannenden Veranstaltungen", könne den Umgang mit Technik lernen und Sport treiben.

In jeder der 85 Regionen Russlands gebe es ein regionales Zentrum. Zudem sollen die Mitglieder in "Junarmija-Häusern" die Grundlagen der militärischen Erstausbildung lernen, Führungsqualitäten entwickeln und wissenschaftliche sowie technische Kompetenzen erwerben. Auch Fragen zur beruflichen Zukunft sollen dort beantwortet werden.

Sozialer Druck auf die Kinder

"Die Bewegung rekrutiert junge Menschen direkt an den Schulen", erklärt Expertin Alava in dem Buch. Von diesen werde erwartet, einen Lern- und Freizeitraum für "Junarmija"-Anhänger einzurichten. Der Raum müsse über eine bestimmte Ausstattung verfügen, wie etwa ein Bild des Kremlchefs, Musterstücke kleiner Waffen, Russlandkarten und -flaggen. Alava vergleicht das mit der Sowjetära, als in den 1970er und 1980er Jahren jede Bildungseinrichtung über ähnliche Räume verfügen musste.

Zusätzlich wird aggressiv geworben. Bekannte Sportler und Schauspieler treten beispielsweise bei Veranstaltungen der Bewegung auf, um den Jugendlichen als Vorbild zu dienen. Und regionale Vertretungen preisen die angeblich wundersamen Folgen einer Mitgliedschaft: In Kamtschatka heißt es etwa auf der Website, dass 98 Prozent der "Junarmija"-Kinder ein verbessertes Sozialverhalten aufwiesen. Die Organisation fördere Patriotismus und Disziplin.

An anderer Stelle verweist die russische Regierung laut Alava darauf, dass Alkohol- und Drogenmissbrauch eingedämmt würden, ebenso wie Bandenkriminalität. Und der gestiegenen Selbstmordrate unter Jugendlichen könne man auch entgegenwirken. Kurz: Die Jugendarmee scheint ein Allheilmittel zu sein.

"Patriot Park" als "Militär-Disneyland"

Präsent wird sie an Orten wie dem "Patriot Park" nahe Moskau, der auch als "Militär-Disneyland" bekannt ist: Vergnügungspark für Familien und Trainingszentrum aktiver Soldaten in einem. In dem 2016 eröffneten Park befinden sich ein Militärgeschichtsmuseum und eine Ausstellung russischer Hightech-Waffen.

Neben Spiel- und Sportplätzen sowie Hallen für Paintball und Lasertag gibt es auf dem Gelände den größten Schießstand Russlands und einen Testbereich der Firma Kalaschnikow, um Kunden die neuesten Waffen vorzuführen, heißt es in einer Reportage der "Badischen Zeitung".

Auf Bildern ist zu sehen, wie Kinder auf Panzern herumklettern und Jugendliche große Waffen in den Händen halten. Die "Junarmija" bewacht Denkmäler in dem Park. Kinder und Jugendliche sollen so wohl Berührungsängste vor Waffen und Krieg verlieren – und die Jugendarmee vermittelt dort ihre Grundeinstellung.

Kritik an der "Junarmija"

Walentina Melnikowa vom "Komitee der Soldatenmütter", das Rekruten vor der Willkür in der Armee verteidigt, beobachtet in der "Junarmija" eine "Militarisierung der Kinder wie einst zu Sowjetzeiten", sagte sie dem "Spiegel". Andere Kritiker ziehen Vergleiche zur Hitlerjugend, der Jugend- und Nachwuchsorganisation der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP). Sie wurde ab 1926 nach Adolf Hitler benannt und unter der Diktatur des Nationalsozialismus in Deutschland ab 1933 zum einzigen staatlich anerkannten Jugendverband mit bis zu 8,7 Millionen Mitgliedern ausgebaut.

Petro Andriuschtschenko, der Berater des ukrainischen Bürgermeisters von Mariupol, rief in diesem Zusammenhang den Begriff "Putler-Jugend" ins Leben – eine Verschmelzung der Namen Putin und Hitler. Er kritisierte das Video der "Junarmija"-Mitglieder in der Hafenstadt scharf.

Propaganda auf sozialen Medien

Die Jugendarmee ist auch in den sozialen Medien präsent und propagiert dort ihre Ideologie. In Instagram-Videos formen Mitglieder etwa ein "Z" – das Symbol für die "militärische Spezialoperation", wie der Krieg in der Ukraine in Russland nur bezeichnet werden darf. Inzwischen hat die Organisation ihre Arbeit auf dem Account eingestellt, weil Instagram wegen des Angriffskrieges zeitweise nicht in Russland verfügbar war.

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Dafür verbreitet die "Junarmija" weiter Propaganda auf VKontakte und Telegram. Auf Bildern und Videos sind lächelnde Gesichter der jungen Anhängerinnen und Anhänger zu sehen. Sie sollen offenbar neue Mitglieder anlocken.

Weitere Jugendbewegung geplant

Neben der "Junarmija" will Kremlchef Putin offenbar eine weitere patriotische Jugendbewegung gründen. Die Organisation soll Kinder ab sechs Jahren aufnehmen und vom Staat finanziert werden. Ihre Aufgabe soll offiziell darin bestehen, Kinder und Jugendliche auf das Leben in der russischen Gesellschaft vorzubereiten.

Sie soll sich dabei auf die "Vision der Welt auf der Grundlage der spirituellen und moralischen traditionellen russischen Werte" stützen. Zudem soll sie den Kindern und Jugendlichen "die Liebe und den Respekt für das Vaterland beibringen". Die Teilnahme an der Bewegung soll – wie offiziell auch bei der "Junarmija" – freiwillig sein, heißt es vonseiten der Regierung.

Erinnerungen an Jugendorganisationen der Sowjetunion

Doch die neue Organisation erinnert ebenfalls an Jugendorganisationen der Sowjetunion – und es ist davon auszugehen, dass der Gesetzentwurf nicht zufällig am 19. Mai ins Parlament eingebracht wurde. Der 19. Mai 1922 gilt als Gründungsdatum der sowjetischen Pioniere, die nach dem Tod des Sowjetgründers 1924 fortan als Lenin-Pioniere bezeichnet wurden.

In den 1970er Jahren vereinigte die Organisation mehr als 25 Millionen Kinder und Jugendliche und kontrollierte Tausende Ferienlager. Ein Aufenthalt in den Pionierlagern von Artek auf der Krim oder Orljonok an der Schwarzmeerküste galt als besondere Auszeichnung.

Als staatliche Organisation wurden die Pioniere nach dem Ende der Sowjetunion aufgelöst. Kurzzeitig waren sie sogar verboten. Später gab es Neugründungen, die aber bei Weitem nicht das frühere Ausmaß erreichten. Nun sollen Bewegungen wie "Junarmija" mit neuen Mitteln alte Traditionen bei der russischen Jugend verankern.

Verwendete Quellen
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