Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Tagesanbruch Diese Blockade ist lebensgefährlich
Guten Morgen liebe Leserin, lieber Leser,
starten wir in diesen Tag mit einem etwas unangenehmen Gedankenspiel: Stellen Sie sich vor, Sie sind krank und müssen zur Behandlung in ein Krankenhaus. Ein Eingriff steht Ihnen bevor, nichts Tragisches, aber dennoch: Es geht um Ihre Gesundheit, Ihr Leben.
Bevor Sie sich für ein Krankenhaus entscheiden, setzen Sie sich zu Hause an Ihren Computer und rufen eine Homepage der Bundesregierung auf. Alle Krankenhäuser in Deutschland sind dort auf einer Karte markiert. Übersichtlich und einfach wird dort erklärt, wie oft und wie gut die Krankenhäuser den Eingriff durchführen, den Sie benötigen.
Wie viele Ärzte sind im Krankenhaus auf diesen Eingriff spezialisiert? Wie oft kommt es zu Komplikationen? Wie häufig sterben Patienten, wie häufig geht alles glatt?
Eine Art Testsieger-Vergleichsportal, so wie es sie für Flugreisen, Autos, Staubsauger gibt – nur eben für Krankenhäuser. Sie sehen die Zahlen, die Bilanzen der Häuser, können vergleichen und für die Operation das Haus aussuchen, von dem Sie wissen: Sie sind in besten Händen.
Klingt super? Wäre es auch!
Derzeit aber läuft es in Deutschland in der Regel so: Wer krank ist, geht oft in das nächstgelegene Krankenhaus. Kilometer entscheiden, nicht die Qualität. Dabei können die Unterschiede zwischen den Häusern groß sein – ebenso wie die Chancen der Patienten, unbeschadet aus dem OP-Saal zu kommen. Viele Häuser nämlich bieten Eingriffe an, für die sie gar nicht die Spezialisten haben. Gesundheit als Glücksspiel.
Die gute Nachricht: Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) will das ändern, er plant eine transparente Übersicht der rund 1.700 Krankenhäuser für Bürger im Netz. Das Testsieger-Vergleichsportal soll also Wirklichkeit werden.
Die schlechte Nachricht: Im Bundesrat sperren sich einige Bundesländer gegen Lauterbachs Transparenz-Offensive. Der Gesetzesentwurf geht deswegen an diesem Mittwoch in den Vermittlungsausschuss von Bundestag und Bundesrat, wieder einmal. In dem Ausschuss hängen ob des Widerstands der Länderkammer derzeit noch einige andere Gesetze fest, unter anderem jenes, mit dem die Ampelregierung die Wirtschaft ankurbeln will.
Doch zurück zum Krankenhaus. Warum, fragen Sie sich, gibt es Knatsch wegen des Vorhabens, wo die Idee doch so simpel und zugleich so nutzbringend erscheint?
Das ist die entscheidende und entlarvende Frage. Offiziell angeführt werden Zweifel mit Blick auf die Finanzierung und die Rechtsfolgen. Tatsächlich aber sind eher Sturheit, Machtbeharren und Wahlkampf-Strategie der Grund.
Die Länder nämlich wollen sich den bundeseinheitlichen Kriterien, nach denen Lauterbach die Krankenhäuser in Level einteilen will, am liebsten nicht beugen. Jede Landesregierung will gerne weiter ihr eigenes Ding machen, Krankenhäuser einteilen und auswerten, ganz nach ihrem Gusto. Nur keine Macht abgeben.
Hinzu kommt: Manch Gesundheitsminister in den Ländern fürchtet Transparenz. Schneiden Häuser im Vergleichsportal schlecht ab, drohen ihnen schließlich die Patienten wegzubrechen. Das Transparenzportal könnte das Krankenhaussterben befördern, so die Sorge. Und schließen Krankenhäuser, fallen ganz rasch auch die Beliebtheitswerte der zuständigen Politiker.
Das ist denkbar heuchlerisch – und kurzsichtig. Das Krankenhaussterben nämlich ist ohnehin schon da. Viele Kliniken schreiben schon seit Langem tiefrote Zahlen und warnen vor ihrem baldigen Ende. Ein Transparenzportal würde daran wenig ändern, sondern höchstens zur Strukturierung beitragen: Zuerst würden die schlechten Häuser sterben, vielleicht sogar nur sie – und dafür weniger Patienten.
Wie die Diskussion im Vermittlungsausschuss am Mittwoch verläuft, ist unklar. Lauterbach hatte sich vorab "zuversichtlich" gezeigt, dass die Länder einlenken. Experten im Bundestag aber sind skeptisch.
Schon jetzt ist die Blockadehaltung der Länder kein gutes Zeichen für ein sehr viel größeres Projekt des Gesundheitsministers: die Krankenhausreform, die Lauterbach einst als "Revolution" angepriesen hat. Sie soll die Finanzierung der Häuser verändern, weg vom marktgetriebenen Schnell-Schnell hin zu mehr Qualität und Fürsorge für Patienten, hin auch zu besseren Bedingungen für das gebeutelte Personal.
Auch hier aber ist der Widerstand der Länder groß, so groß, dass Lauterbach bereits entscheidende Einschnitte vorgenommen hat. Das Transparenzgesetz ist eine Folge davon – ursprünglich sollte das Vorhaben einfach Teil der Krankenhausreform sein. Lauterbach koppelte es aus, erhofft sich so größere Zustimmung und Mitwirken bei der Krankenhausreform.
Leidtragende des ganzen Heckmecks sind am Ende Deutschlands Kranke und Krankenhäuser. Bleiben die Fronten zwischen Bund und Ländern so verhärtet, stehen ihnen düstere Zeiten bevor. Die Blockade der Länder muss ein Ende finden. Sie ist im wahrsten Sinne des Wortes lebensgefährlich.
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Zum Schluss
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Ich wünsche Ihnen einen wundervollen Tag. Morgen schreibt Florian Harms wieder für Sie.
Herzlichst
Ihre Annika Leister
Politische Reporterin im Hauptstadtbüro von t-online
Twitter: @AnnLei1
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Mit Material von dpa.
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