Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Tagesanbruch Früher war mehr Lametta
Guten Morgen, liebe Leserin, lieber Leser,
als Medienkonsument kann man dieser Tage wirklich schlechte Laune bekommen. All die schrecklichen Ereignisse in der Welt, es ist ja kaum auszuhalten. Als gestern die Eilmeldung von einer Schießerei in einer Offenburger Schule auf dem Handy klingelte, habe ich den Satz gedacht, den vermutlich viele Menschen derzeit denken: Was denn jetzt noch? Seit bald zwei Jahren Krieg in der Ukraine, nun der Krieg im Nahen Osten, Wirtschaftsleute warnen vor dem Ende des deutschen Wohlstands, in Amerika kommt womöglich der Irre zurück, und Putin denkt sich bestimmt schon die nächsten Gemeinheiten aus: Ist denn gar nichts mehr sicher? Ich verstehe jeden, der angesichts der täglichen Hiobsbotschaften den Nachrichtenkonsum verweigert (auch wenn das doof für uns Journalisten ist).
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Was man dabei leicht vergisst: Die Lage ist nicht nur finster. Und unser Gemüt muss es auch nicht sein. Das Schöne ist überall, man muss es nur wahrnehmen. Die Abendstimmung, die vom ersten Winterhauch kündet. Die Kinder, die schon Wunschzettel schreiben. Fröhliche Kollegen in einer Kellerbar. Und die Absurditäten des Alltags, die einfach nur zum Lachen sind. Wenn Sie die in ihrem eigenen Leben nicht sehen, genügt es, die Flimmerkiste einzuschalten: Da sehen Sie sie.
Die Programme sind dieser Tage proppenvoll mit kuriosen Szenen vom größten Spaßvogel der deutschen Fernsehgeschichte. Die Plastikente in der Badewanne, die Nudel im Gesicht, das Lametta am Weihnachtsbaum, der Unterschied zwischen Birne und Apfel, der Kampf ums perfekte Frühstücksei und natürlich die Herrenboutique in Wuppertal: Loriots Sketche offenbaren die Komik im Banalen und sind Teil des deutschen Selbstverständnisses geworden. Unvergleichlich, zeitlos, eine eigene Liga. Zum hundertsten Mal jährt sich sein Geburtstag an diesem Sonntag; und obgleich er seit zwölf Jahren nicht mehr auf Erden wandelt, ist er doch omnipräsent.
Humoristen halten uns den Spiegel vor, entlarven unsere Eitel- und Peinlichkeiten. Aber keiner vermochte das so treffend und zugleich subtil wie Vicco von Bülow. "Er ertappt die Deutschen in ihrer gespielten Weltläufigkeit, und am Ende sind sie doch irgendwie alle spießig", meint Hape Kerkeling, der ebenfalls ein großer Quatschmacher ist. Und natürlich muss man auch Loriots Schauspielpartnerin Evelyn Hamann nennen. Erst mit ihr konnte er ja so herrlich aneinander vorbeireden, Banalitäten zu Ungeheuerlichkeiten aufblasen oder einfach nur treudoof dreinblicken.
Wenn Sie also heute wieder mal von den Schockmeldungen der Weltlage abgeschreckt sind, dann gönnen Sie sich doch ein paar Minuten Heiterkeit. Zum Beispiel hier. Und wenn Sie anschließend zurückkehren in die trübe Welt, dürfen Sie mit Fug und Recht seufzen: "Früher war mehr Lametta!"
Ohrenschmaus
Wussten Sie, dass Loriot 1972 neun Wochen lang mit einem Song auf Platz eins der Hitparade stand? Hören Sie mal.
Pistorius rüstet auf
Praktisch seit seinem Amtsantritt im Januar führt Verteidigungsminister Boris Pistorius die Beliebtheitsliste der deutschen Politiker an. Doch zuletzt hat das Bild des bodenständigen Machers mit Bock auf den Job Risse bekommen: Da war der voreilige Rauswurf des Zwei-Sterne-Generals Markus Kurczyk wegen einer angeblichen "Kuss-Affäre", in der Aussage gegen Aussage steht. Und auch das überraschend verkündete Großprojekt einer "Brigade Litauen", also der dauerhaften Verlegung Tausender Bundeswehrsoldaten an die Nato-Ostflanke, sorgt für Unruhe in der Truppe.
Nun versucht der oberste Dienstherr aller deutschen Soldaten, wieder vor die Lage zu kommen: mit neuen verteidigungspolitischen Richtlinien, die er gemeinsam mit Generalinspekteur Carsten Breuer austüfteln ließ und nun auf der Bundeswehrtagung in Berlin vorstellt. Deutschland müsse "Rückgrat der Abschreckung und kollektiven Verteidigung in Europa sein", heißt es da vollmundig – und "dass für eine leistungsfähige und kriegstüchtige Bundeswehr der Zukunft in allen Bereichen grundlegende Veränderungen herbeigeführt werden müssen". Im Übrigen findet der Minister, dass ganz Deutschland "kriegstüchtig" werden müsse. Das allerdings findet unser Politikchef Christoph Schwennicke völlig daneben.
Kampfpausen im Gazastreifen
Während die internationale Krisendiplomatie auf Hochtouren läuft und Außenministerin Baerbock heute erneut in den Nahen Osten aufbricht, gibt es auch kleine positive Nachrichten: Israel erklärte sich – wohl auf Druck von US-Präsident Joe Biden – zu mehrstündigen täglichen Kampfpausen im Norden des Gazastreifens bereit. Währenddessen sollen Hilfsgüter in die Gefahrenzone gebracht werden. Außerdem gibt es offenbar Hoffnung für einige von der Hamas verschleppte Geiseln. Unter Vermittlung des Terroristenhortes Katar und in Absprache mit den Amerikanern laufen Verhandlungen, um ein Dutzend Gefangene freizubekommen.
Polargipfel in Paris
Über das bedrohliche Abschmelzen des Permafrosts beraten Politiker und Forscher auf dem "One Planet – Polar Summit" in Paris. Heute ist ein Aufruf zum Schutz der Arktis, der Antarktis und der Gletscher geplant; Präsident Emmanuel Macron kommt extra reingeschneit. Aus Deutschland schneit Umweltministerin Steffi Lemke hinterher.
Bild des Tages
Hochmut galt schon im Alten Testament als Todsünde, heutzutage spricht man eher von Arroganz. Gemeinhin keine erstrebenswerte Eigenschaft, doch bei der Deutschen Bank offenbar eine Einstellungsvoraussetzung für Topmanager. Dort agiert Claudio de Sanctis seit vier Monaten als Chef des Privatkundengeschäftes. Er soll die Konzerntochter Postbank "gesundschrumpfen", wie das im eisigen Manager-Jargon heißt. Nach einem jahrelangen Schlingerkurs und einem IT-Desaster bei der Umstellung der Konten ist das Unternehmen ein Sanierungsfall und neben den Beschäftigten sind auch viele der zwölf Millionen Kunden verunsichert.
Herr De Sanctis gedenkt das Problem mit kühler Banker-Logik zu lösen. Der Manager, der Mitarbeiter schon mal als "Kindersoldaten" bezeichnet, will offenbar knapp die Hälfte der 550 Postbank-Filialen dichtmachen. Hunderte Beschäftigte dürften ihre Jobs verlieren. Anderes will der Italo-Schweizer hingegen nicht so gern. Zum Beispiel Deutsch lernen, um mit den Betroffenen seiner Entscheidungen zu reden. Lieber begründet er den geplanten Kahlschlag damit, dass angeblich zwei Drittel der Kunden nie eine Filiale aufsuchen.
Wie weit sich der Manager von der Realität entfernt hat, sieht jeder, der in diesen Tagen eine Postbank-Filiale besucht: Da stehen die Leute Schlange, und zwar nicht wegen Briefmarken. So ist der Fall ein Lehrbeispiel, wie eine einstige deutsche Wirtschaftsinstitution erst vernachlässigt, dann schlechtgeredet und schließlich kaputtgespart wird.
Lesetipps
Wie gut kennen Sie Loriot? Testen Sie doch mal Ihr Wissen im Quiz meines Kollegen Daniel Wachowiak.
Die Kämpfe in der Ukraine wandeln sich zum Stellungskrieg. Ist damit der Wendepunkt erreicht? Der Militärexperte Carlo Masala nimmt im Interview mit meinem Kollegen Tobias Eßer Stellung.
Im Streit über den Industriestrompreis hat die Ampelkoalition überraschend einen Kompromiss gefunden. Es gibt aber einen Haken, schreibt mein Kollege Florian Schmidt.
Zum Schluss
Die Politik der Bundesregierung hat konkrete Folgen.
Ich wünsche Ihnen einen produktiven Tag. Ziehen Sie sich warm an und seien Sie auf den Straßen vorsichtig: Der Wetterdienst kündigt für heute den Wintereinbruch an.
Herzliche Grüße
Ihr
Florian Harms
Chefredakteur t-online
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de
Mit Material von dpa.
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