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Russlands Nachbarländer: Diese deutsche Ignoranz ist gefährlich


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Tagesanbruch
Hätten wir mal zugehört

  • David Schafbuch
MeinungVon David Schafbuch

Aktualisiert am 14.03.2023Lesedauer: 5 Min.
Ein litauischer Soldat bei einer Übung in Hohenfels: Im Baltikum wurde schon lange vor einer russischen Bedrohung gewarnt.Vergrößern des Bildes
Ein litauischer Soldat bei einer Übung in Hohenfels: Im Baltikum wurde schon lange vor einer russischen Bedrohung gewarnt. (Quelle: imago-images-bilder)
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Guten Morgen, liebe Leserin, lieber Leser,

beginnen wir den Tag mit einer Quizfrage: Wissen Sie, wer oder was "Bukarest Neun" ist? Eine Erfolgsserie aus Rumänien? Eine jährliche Sportveranstaltung in der Stadt, bei der die besten Leichtathleten in neun Disziplinen ihr Können zeigen? Oder ist es vielleicht der Name eines Stadtfestes, das es nur alle neun Jahre gibt und Tausende Besucher anlockt?

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Sie ahnen es: Alle Antwortmöglichkeiten sind Quatsch. Richtig ist: Die "Bukarest Neun" sind ein Gesprächsformat von neun Staaten aus Mittel- und Osteuropa, namentlich: Polen, die drei baltischen Staaten Estland, Lettland und Litauen, die Slowakei und Tschechien sowie Ungarn, Bulgarien und natürlich Rumänien.

Aber kommen wir jetzt zu den weitaus wichtigeren Fragen: Was wissen Sie über diese Staaten? Haben Sie Freunde oder Bekannte von dort? Was haben diese Ihnen aus ihrer Heimat erzählt? Und haben Sie diese Länder schon einmal besucht?

Lauten Ihre Antworten: Nicht viel, nein, nichts und nein? Ich möchte Ihnen nicht in Ihre Urlaubsplanung reinreden oder sie dazu bringen, Ihre Geschichts- oder Geografiekenntnisse aufzufrischen. Aber Sie scheinen offensichtlich etwas mit vielen Politikern gemeinsam zu haben, die Deutschland in den vergangenen Jahrzehnten geprägt haben.

Diese Ignoranz gegenüber Mittel- und Osteuropa können wir uns nicht mehr leisten. Spätestens seit dem russischen Überfall auf die Ukraine sollten wir das wissen. Lange genug ging der Blick unserer Regierung, salopp gesagt, zuerst Richtung Kreml und erst danach zu all den Staaten, die zwischen Berlin und Moskau liegen – und wenn wir ehrlich zu uns selbst sind: Einem Großteil der Bundesbürger ging es auch so.

Aber zurück zu den "Bukarest Neun": Die Staats- und Regierungschefs der neun Länder kamen in diesem Format erstmals 2015 zusammen. Gemeinsam tauschten sie sich vor allem in Verteidigungs- und Sicherheitsfragen aus. Denn der Anlass des ersten Treffens waren die völkerrechtswidrige russische Annexion der ukrainischen Halbinsel Krim im Jahr 2014 und die Kämpfe in der Ostukraine.

Zu der Zeit ging in den Staaten die Angst um. Wäre etwas Ähnliches auch auf unserem Boden möglich, fragten sich viele. Denn alle Länder hatten zuvor ihre eigenen schmerzhaften Erfahrungen gemacht: Die Sowjetunion hatte das Baltikum im Zweiten Weltkrieg okkupiert. Weitere Staaten blieben in der sogenannten "Einflusssphäre" Moskaus: Wenn Sie wissen wollen, was das bedeutete, sollten Sie nachlesen, wie der Ungarische Volksaufstand oder der Prager Frühling endeten.

Die Sowjetunion gibt es heute nicht mehr. Das Denken in Einflusssphären hat den Zerfall des Staates allerdings überlebt. In Deutschland mögen das viele vergessen haben. Für Staaten wie Polen, Lettland oder Litauen gilt das nicht. "Russland war schon immer imperialistisch. Alle ehemaligen Sowjetrepubliken wissen das", sagte der polnische Botschafter Darius Pawłoś meiner Kollegin Clara Lipkowski und mir in der vergangenen Woche. In Deutschland kam das allerdings lange nicht an. Statt die Situation auf der Krim als Tabubruch zu werten, setzte man etwa ungehindert weiter den Bau der deutsch-russischen Pipeline Nord Stream 2 fort – gegen den Rat aus Ost- und Mitteleuropa. "Potenziell destabilisierende geopolitische Folgen" durch die Röhre wurden schon 2016 von acht Regierungen aus der Region befürchtet. Was anschließend geschah, ist bekannt.

Einigen scheint unser Fehlverhalten zu dämmern. Exemplarisch beschrieb etwa SPD-Chef Lars Klingbeil in einer Rede im vergangenen Juni, was er bei einem Treffen mit Sozialdemokraten aus Litauen erlebt hat. Sie hatten ihm berichtet, man fürchte sich nach dem russischen Überfall auf die Ukraine vor einem ähnlichen Angriff auf ihre Heimat. "Mein Reflex war zu sagen: 'Quatsch, das wird Putin nicht tun'. Aber dann ist mir bewusst geworden, dass genau dieser Reflex der Fehler war und ist", sagte Klingbeil in der Rede.

Diese Einsicht ist wichtig, denn auf dem Weg dahin hat Deutschland viel Vertrauen verspielt. In den vergangenen 30 Jahren seien die Bedenken der Mitteleuropäer als Russophobie abgetan worden, klagte der ehemalige polnische Außenminister Radosław Sikorski kurz nach dem russischen Überfall in einem Gespräch mit der Wochenzeitung "Politico". Es gilt, diese Bedenken in Zukunft ernst zu nehmen. Wenn etwa der litauische Verteidigungsminister sich in der vergangenen Woche wünschte, dass Deutschland dauerhaft 5.000 Soldaten in seinem Land stationiert, sollte Verteidigungsminister Boris Pistorius ernsthaft darüber nachdenken. Auch wenn die Bundeswehr dazu heute noch nicht in der Lage sein mag.

All diese Staaten sind unsere Partner, sie verdienen künftig mehr Respekt und einen Dialog auf Augenhöhe. Das bedeutet nicht, dass sie nicht mehr kritisiert werden dürfen: Viele der Länder haben weiterhin Mängel in ihrer Rechtsstaatlichkeit, beim Schutz von Minderheiten oder bei der Bekämpfung von Korruption.

Das ändert allerdings nichts daran, dass sie mit ihren Warnungen vor Putin recht hatten. Hierzulande haben es sich viele Politiker und Beobachter nach seiner Invasion mit der Argumentation bequem gemacht, dass kaum ein Experte einen Angriffskrieg für realistisch gehalten habe. Ein Blick zu unseren östlichen Nachbarn beweist: Das stimmt nicht. Wir haben sie alle nur all die Jahre nicht hören wollen.


Raus aus der Bildungskrise

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Lehrermangel, Rückstände nach der Corona-Krise und marode Gebäude. Das deutsche Bildungssystem hat Probleme, für die man wohl mehr als eine Bundesministerin und 16 Landesminister bräuchte. Deshalb kommen heute in Berlin auch nicht nur Vertreter der Politik, sondern auch aus Wissenschaft und Zivilgesellschaft zu einem Bildungsgipfel zusammen.

Am Ende des Treffens soll eine Arbeitsgruppe entstehen, die Vorschläge für eine bessere Zusammenarbeit auf verschiedenen Ebenen entwickeln soll. Eine umständliche Formulierung dafür, dass nicht sonderlich viel zu erwarten ist.

Aus der Union wird kritisiert, dass Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) nicht anwesend sein wird. Die Bildungsministerin von Schleswig-Holstein (CDU), Karin Prien, spricht von einer "Showveranstaltung" – und wird ebenfalls nicht kommen. Es wird wahrlich kein einfacher Termin für Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP). Dabei soll Bildung doch eine der Kernkompetenzen ihrer Partei sein.


Was steht an?

Wie läuft es bei Volkswagen? Der größte deutsche Autobauer stellt auf seiner Jahrespressekonferenz die Geschäftszahlen des vergangenen Jahres vor. Meine Kollegin Frederike Holewik liefert Ihnen aus Wolfsburg alle wichtigen Infos.

Status der Truppe: Die Bundeswehr hat mit einigen Problemen zu kämpfen. Wie groß sie genau sind? Das könnte heute durch den Jahresbericht der Wehrbeauftragten des Bundestags, Eva Högl (SPD), deutlicher werden.

Entscheidung bei Rosneft: Seit vergangenem September sind zwei Tochterunternehmen des russischen Energiekonzerns faktisch unter der Kontrolle des Bundes. Dagegen hatte Rosneft geklagt. Heute will das Bundesverwaltungsgericht sein Urteil verkünden.


Was lesen?

52 Filialen machen zu, mehr als 5.000 Stellen fallen weg: Bei Galeria Karstadt Kaufhof kommt es nach 2020 erneut zum großen Kahlschlag. Das Kaufhaus als Symbol des Wohlstandes und Überflusses hat ausgedient, findet mein Kollege Florian Schmidt und hat ihm einen Abschiedsbrief geschrieben.


Deutschland hat mehr als eine Million Ukrainer aufgenommen – so viele Geflüchtete wie seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr. Mein Kollege Carl Exner hat mit Politikern, einer Geflüchteten und einem Migrationsforscher über die Situation gesprochen.


1939 griff die mächtige Sowjetunion das kleine Finnland an, es kam zur Sensation: Die finnische Armee hielt stand. Wie konnte dies gelingen? Im Gespräch mit meinen Kollegen Florian Harms und Marc von Lüpke gibt der Historiker Jörg Baberowski Auskunft.


Das Historische Bild

1916 herrschte Bürgerkrieg in Mexiko. Die USA entsandten Soldaten. Warum erfahren Sie hier.


Zuletzt prasselte viel Kritik auf die Bayern-Stars Leroy Sané und Serge Gnabry ein. Letzterer meinte, diese sei "zu krass" gewesen. War das wirklich so? Darüber streiten Melanie Muschong und Florian Wichert im "Zweikampf der Woche".


Was amüsiert mich?

Ich wünsche Ihnen einen angenehmen Dienstag. Morgen lesen Sie an dieser Stelle von meiner Kollegin Camilla Kohrs.

Herzliche Grüße,

Ihr

David Schafbuch
Redakteur Politik und Panorama
Twitter @Schubfach

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Mit Material von dpa.

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