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Erdoğan sprengt Nato-Front gegen Putin


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Tagesanbruch
Erdoğan sprengt die Nato-Front gegen Putin

MeinungVon Florian Harms

Aktualisiert am 26.01.2023Lesedauer: 6 Min.
Wahlkämpfer Erdogan wettert gegen die Schweden.Vergrößern des Bildes
Wahlkämpfer Erdoğan wettert gegen die Schweden. (Quelle: Umit Bektas/REUTERS)
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Guten Morgen, liebe Leserin, lieber Leser,

alle reden über Panzer. Wir heute mal nicht. Nach der anstrengenden Debatte über die "Leoparden" hat der Kanzler endlich eine Entscheidung gefällt – ein guter Moment, um durchzuatmen und den Kopf freizubekommen. Deshalb lade ich Sie zu einem spontanen Kurztrip ein, einfach mal raus aus der aufgeheizten Berliner Blase. Tapetenwechsel. Machen wir also einen Rundflug an die Ränder der Nato. Packen Sie bitte warme Sachen ein, denn das erste Ziel ist: Helsinki.

Klimafreundlich haben wir die Fähre genommen, über die Ostsee und in den Finnischen Meerbusen. Nur 300 Kilometer weiter könnte das Schiff sogar in Sankt Petersburg festmachen, doch da will niemand mehr hin. Wir legen also wie geplant in Finnlands Hauptstadt an, schlendern die Gangway hinunter, atmen tief durch und ... husten! Statt einer frischen Meeresbrise erwartet uns in Helsinki dicke Luft.

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Außenminister Pekka Haavisto eilt dort von einem Mikrofon zum nächsten, seit er am Dienstag im Frühstücksfernsehen für Aufregung gesorgt hat. Was ist geschehen? Wir erinnern uns: Finnland will in die Nato. Schon vor acht Monaten hat es den Aufnahmeantrag gestellt, zusammen mit Schweden. Gemeinsam wollten die Nachbarländer den historischen Schritt machen und nordische Solidarität demonstrieren. Doch seitdem verstaubt der Antrag im Brüsseler Hauptquartier der Allianz, denn noch nicht alle Bündnispartner haben ihr Jawort zur Erweiterung gegeben. Müssen Sie aber – Einstimmigkeit ist Voraussetzung.

Das strapaziert allmählich die Geduld der Finnen. Außenminister Haavisto deutete deshalb an, man könne zur Not auch über einen Alleingang beim Nato-Beitritt nachdenken. Ein Affront gegen die Schweden, der bei diesen für Eilmeldungen und Empörung bis Entsetzen sorgte. Wenige Stunden später ruderte der Minister zurück, doch sein Signal ist verstanden worden.

Jetten wir also schnell rüber nach Stockholm, um der Sache nachzugehen. Die Triebwerke können aber weiterlaufen, denn das Rollfeld brauchen wir eigentlich gar nicht zu verlassen. Der Widerstand gegen den schwedischen Beitritt zur Nato kommt nämlich vor allem aus der Türkei. Eine Minderheit radikaler Nato-Gegner in Schweden hat sich deshalb das empfindliche Ego des türkischen Präsidenten zunutze gemacht: Sie knüpften eine Erdoğan-Puppe kopfüber auf. Wenig später verbrannte ein Rechtsextremist in der Nähe der türkischen Botschaft einen Koran. Schwedens Regierungschef beeilte sich, die Aktionen zu verurteilen. Gesetzlich verfolgt wurden die Provokateure aber nicht. Seither tobt Erdoğan und wettert gen Stockholm: Den Nato-Beitritt könnt ihr vergessen!

Auf unserer Rundreise müssen wir deshalb jetzt eine neue Richtung einschlagen und quer durch Europa bis hinunter nach Ankara düsen. Dort kann unser Flugzeug erst einmal in den Hangar rollen. Denn wenn man sich mit Problemen eines Nato-Staats befassen will, hat man in Ankara eine Weile zu tun. Schon beim Einchecken im Hotel verschlägt es uns die Sprache, beim anschließenden Einkauf im Supermarkt ebenfalls: Die Inflation ist horrend. Die rasende Entwertung des Geldes treibt die Türken stärker um als jedes andere Thema – und schuld ist vor allem die chaotische Wirtschaftspolitik des selbstherrlichen Präsidenten.

Langzeitherrscher Erdoğan will gerne weiter langzeitherrschen und hat deshalb für den kommenden Mai Wahlen anberaumt. In der Vergangenheit hat ihm das komfortable Mehrheiten beschert, denn frei und fair sind die Wahlen in der Türkei schon lange nicht mehr. Erdoğan hat das Fernsehen und die Presse unter seiner Fuchtel. Oppositionelle lässt er einsperren und kritische Journalisten vor den Kadi zerren; sein schärfster Konkurrent hat Politikverbot. Dass es trotzdem Spitz auf Knopf für den Amtsinhaber steht und es nach heutigem Stand für eine erneute Mehrheit nicht reichen wird, zeigt, wie groß der Zorn der Bürger über die schlimme Wirtschaftslage ist. Mit populistischer Pöbelei gegen die Schweden hofft der bedrängte Präsident nun, ein paar billige Wahlkampfpunkte zu machen.

Das westliche Bündnis trickst er aber auch an anderen Fronten aus. Der türkische Handel mit Russland hat sich binnen Jahresfrist mehr als verdoppelt – und der Schmuggel auf gewundenen Wegen durch den Kaukasus ist darin noch nicht einmal erfasst. Die Türkei nimmt an den Sanktionen gegen Moskaus Mafiaclique nicht teil, aber Erdoğan findet sie trotzdem gut: An deren Umgehung kann er nämlich prächtig verdienen. So untergräbt die gute Beziehung von Zar und Sultan die Solidarität der Nato. Die Kumpanei der beiden ermöglicht allerdings auch den Getreideexport aus Russland und der Ukraine in arme Staaten. Es ist also nicht alles schwarz-weiß im doppelten türkischen Spiel.

Welche Erkenntnis nehmen wir mit von unserer Reise? Unter Erdoğans Herrschaft hat sich die Türkei von ihren Partnern im Westen abgewandt und als eigenständige Macht im Orient etabliert. Daran wäre nichts auszusetzen, hätte der ewige Präsident nicht zugleich auch sich selbst verwandelt: vom Demokraten zum Despoten. Deshalb müssen wir jetzt schleunigst zurück zu unserem Flugzeug. Mit solcher Kritik landet man in Erdoğans Reich nämlich schnell hinter Gittern.


Angriff im Regionalzug

Wieder ein Zug, wieder ein Täter mit Migrationshintergrund: Was gestern in einem Regionalzug von Kiel nach Hamburg geschah, ist ein Albtraum – und erinnert an den Angriff in einem Zug in Bayern vor gut einem Jahr. Kurz vor der Ankunft in Brokstedt in Schleswig-Holstein stach ein 33-Jähriger auf Fahrgäste ein, tötete zwei von ihnen, verletzte mehrere schwer. Der Mann ist staatenloser Palästinenser und anscheinend polizeibekannt, erst kürzlich wurde er aus dem Gefängnis entlassen. Ersten Berichten zufolge könnte er geistig verwirrt gewesen sein. Mutige Mitreisende schritten ein und hielten ihn offenbar davon ab, noch mehr Menschen zu attackieren. So wie Andreas H. aus Neumünster: "Ich hab' ihn festgehalten, bis die Polizei da war", berichtete er unserem Reporter Lars Winkelsdorf.

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Nun tobt in den (a)sozialen Medien wieder einmal eine Debatte zwischen denen, die Migranten für sämtliches Unheil verantwortlich machen – und jenen, die jede Kritik an der oft verkorksten deutschen Migrationspolitik mit dem Rassismusvorwurf kontern. Klar ist: In diesem aufgeheizten Modus lassen sich die Probleme kaum lösen. Klar ist außerdem, dass die Herkunft allein nicht für die Taten eines Menschen verantwortlich gemacht werden kann. Entscheidend sind fast immer Sozialisation, persönliche Erfahrungen in der Vergangenheit, geistige und körperliche Verfassung. Klar ist aber auch, dass der Rechtsstaat mit Straftätern und Risikopersonen konsequent verfahren muss. Falls der Täter von Brokstedt wirklich bereits im Visier der Sicherheitsbehörden war, wieso konnte er dann unbehelligt mit einem Messer in einen Zug steigen? Laut Verkehrsminister Claus Ruhe Madsen ist es die schwerste Gewalttat in einer Bahn in Schleswig-Holstein. Umso dringender, dass die Hintergründe rasch aufgeklärt und Konsequenzen aus dem Verbrechen gezogen werden.


Pistorius steht stramm

Seit genau einer Woche ist Boris Pistorius als Verteidigungsminister im Amt – und das Pensum seiner ersten Arbeitstage kann man sich ruhig noch einmal vergegenwärtigen: direkt nach der Vereidigung am vergangenen Donnerstag Empfang seines US-Kollegen Lloyd Austin in Berlin, am Freitag weiter zum Treffen der Ukraine-Kontaktgruppe nach Ramstein. Am Sonntag mit dem gesamten Kabinett nach Paris zur 60-Jahre-Feier des deutsch-französischen Freundschaftsvertrags, am Dienstag Treffen mit Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg und abends schließlich die große Panzerwende, die Entscheidung für deutsche "Leopard"-Lieferungen an die Ukraine. Zwischendurch soll er sich am Samstag daheim in Niedersachsen kurz frische Klamotten besorgt haben.

Heute nun macht der Minister, den Kanzler Scholz als Mann vorstellte, den "Soldatinnen und Soldaten sehr mögen", seinen Antrittsbesuch bei der Truppe. In Altengrabow in Sachsen-Anhalt will Pistorius Einblicke in die Ausbildung von Logistikern und Panzergrenadieren gewinnen. Bei der Auswahl des Ortstermins dürfte eine Rolle gespielt haben, dass dort auch der Pannenpanzer "Puma" zum Einsatz kommt – und dass das Logistikbataillon 171 bald die schnelle Nato-Eingreiftruppe verstärken soll.


Ampel streitet über Straßen

Die grüne Umweltministerin Steffi Lemke will keine neuen Autobahnen, FDP-Verkehrsminister Volker Wissing dagegen schon: In der Verkehrspolitik zieht die Ampelkoalition mal wieder nicht an einem Strang. Ohnehin vermissen die Grünen ernsthafte Vorschläge des Liberalen, wie er seine Klimaschutzziele bis 2030 zu erreichen gedenkt. Heute Abend soll der Koalitionsausschuss den Streit schlichten. FDP-Fraktionschef Christian Dürr gibt im Interview mit meinen Kollegen Lisa Becke und Tim Kummert schon mal die Marschrichtung vor.


Was lesen?




NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst gilt als aussichtsreicher Kandidat für die nächste CDU-Kanzlerkandidatur. Nun bringen ihn Enthüllungen unseres Rechercheurs Jonas Mueller-Töwe immer stärker Bedrängnis.


Was amüsiert mich?

Die Bundeswehr hat einen Plan.

Ich wünsche Ihnen einen gut organisierten Tag.

Herzliche Grüße und bis morgen

Ihr
Florian Harms
Chefredakteur t-online
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

Mit Material von dpa.

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