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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Olaf Scholz Ziemlich schmerzfrei
Die Ukraine bekommt deutsche Leopard-2-Panzer – und amerikanische Abrams. Olaf Scholz findet, er hat alles richtig gemacht. Mal wieder.
Olaf Scholz sieht angespannt aus. Er beißt sich auf die Lippen, schaut nach rechts zur Staatssekretärin des Wirtschaftsministeriums und dann nach vorn, ins Plenum des Bundestages. Es ist 13.03 Uhr an diesem Mittwochmittag. Alle warten auf die Erklärung des Bundeskanzlers, warum jetzt doch Kampfpanzer an die Ukraine geliefert werden.
Doch Olaf Scholz lässt sich sogar von seiner eigenen Anspannung nicht treiben. So wie er sich mit seiner Entscheidung bei den Panzern Zeit nahm, so tut er es jetzt auch in seiner Rede. Bedenkt man die Aufgeregtheit der vergangenen Tage – es wirkt fast meditativ. Ommmmm.
Der Kanzler nimmt rhetorisch langen Anlauf. Mit "milliardenschweren Unterstützungs- und Entlastungspaketen" unterstütze man die Ukraine, sagt Scholz. Er lobt den eigenen Regierungskurs, natürlich. Es sei richtig, "im Einklang" mit den Verbündeten zu agieren. FDP-Verteidigungspolitikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann unterhält sich munter mit einem Parteifreund, CDU-Chef Friedrich Merz kritzelt etwas in seine Mappe. Man darf bezweifeln, dass er mitschreibt.
Es dauert sieben Minuten, bis Olaf Scholz um 13.10 Uhr das Wort "Leopard" in den Mund nimmt. Man werde der Ukraine nun "auch Kampfpanzer zur Verfügung stellen vom Typ Leopard 2". Und dann sagt der Kanzler noch: "Ich will ausdrücklich sagen: Es war richtig und es ist richtig, dass wir uns nicht haben treiben lassen, sondern auf die enge Kooperation setzen und sie auch fortsetzen."
Der lange Anlauf des Kanzlers, seine große Erklärung, sie sind kein Zufall. Olaf Scholz hat eine Botschaft an diesem Mittwoch und die lautet: Der Weg der Schnecke mag zwar antiquiert wirken in der schnelllebigen Mediengesellschaft. Aber er ist der richtige. Lieber einmal mehr abstimmen, lieber eine Rückfrage mehr bei den Verbündeten, dann kommt man auch geschlossener und sicherer durch die Krise.
Man kann sich das gut vorstellen: Wie Olaf Scholz in diesen Tagen im Kanzleramt saß, die Abende lang wurden und in Berlin der Druck stieg. Nur der Kanzler behielt die Nerven und seinen Kurs bei. Ziemlich schmerzfrei. Das zumindest ist die Erzählung, die Scholz an diesem Tag mit seiner Rede untermauern will. Doch stimmt sie auch?
Das Telefonat mit Joe Biden
Vor allem in US-Medien sind die vergangenen Tage bislang nachgezeichnet worden. US-Präsident Joe Biden soll demnach bereits in einem Telefonat mit dem Bundeskanzler am 17. Januar Beweglichkeit signalisiert haben.
Es ist das Telefonat, das in Deutschland Schlagzeilen machte, weil Scholz darin offenbar die amerikanische Abrams-Lieferung zur Bedingung gemacht hat für eine Freigabe deutscher Leopard-Panzer. Laut "Wall Street Journal" hat Biden daraufhin Scholz zugesichert, er könne prüfen, ob er entgegen der Empfehlungen aus dem Pentagon doch Abrams-Panzer liefern könne.
Die Prüfer prüften anschließend also. Auch wenn die Öffentlichkeit davon nichts mitbekam. Und wenige Tage später, als sich die Ukraine-Unterstützer im rheinland-pfälzischen Ramstein trafen, gab es noch nichts zu verkünden.
Stattdessen wurde aus den USA Wut über die deutsche Zögerlichkeit kolportiert. Und in Deutschland blieb dem neuen Verteidigungsminister Boris Pistorius nicht mehr übrig, als zu verkünden, dass sein Haus nun auch mal genau prüfen werde, wie es mit den Leopard-Panzern aussehe.
Zoff in der Ampel
Die Kritik in den Medien war riesig. Aber auch in der eigenen Ampelkoalition wurde der Ton noch einmal schärfer. Die mächtige FDP-Verteidiungspolitikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann sagte: "Die Kommunikation ist eine Katastrophe. Das ist einfach nur beschämend. Heute Abend kann sich Wladimir Putin auf die Schenkel klopfen."
Das war Ende vergangener Woche. Und Scholz? Sagte einfach: nichts. Noch am Montag erklärte Grünen-Chef Omid Nouripour: "Es ist entscheidend, dass wir an dieser Stelle schneller werden."
Und auf einmal ging es tatsächlich ganz schnell: Am frühen Dienstagabend wurde bekannt, dass die USA nun doch Abrams-Panzer liefern. Kurze Zeit später war klar, dass jetzt auch Deutschland liefern würde.
Olaf Scholz hatte erreicht, was er wollte: Wenn schon Kampfpanzer liefern, dann in der großen Allianz mit Europäern und den USA. Damit auch für Wladimir Putin eindeutig klar ist, dass der Westen zusammensteht. Und er sich im Zweifel auch mit der Atommacht USA anlegt.
Erfolg auf ganzer Linie?
Ein Erfolg auf ganzer Linie also für Scholz? Ist er der Mann, der der Ukraine mit seiner weitsichtigen Strategie die größtmögliche Panzerkoalition geschmiedet hat? So sehen sie es in der SPD natürlich jetzt. Und so sieht Scholz das offensichtlich auch. Im Bundestag betont er mehrfach, die Bundesregierung werde "das auch immer so weiter machen". Und: "Es wäre ein schwerer Fehler, alleine voranzugehen."
Geht man davon aus, dass Scholz tatsächlich die ganze Zeit Panzer liefern wollte, nur eben mit den USA zusammen, lässt sich gegen diese Deutung auch nicht viel einwenden. Wie groß seine Rolle für die US-Entscheidung wirklich war, wird sich zwar schwerlich ermessen lassen. Aber am Ende zählt, was hinten rauskommt, wie der frühere Kanzler Helmut Kohl einmal sagte.
Unterstellt man Scholz jedoch, dass er nur deshalb immer weitere Bedingungen für die Lieferung aufgestellt hat, um zu verhindern, dass Deutschland überhaupt Panzer liefern muss – dann sieht das Urteil anders aus. Die USA hätten ihm mit ihrer Abrams-Lieferung schlicht das letzte Argument genommen, um sich einer Lieferung noch glaubhaft verweigern zu können. Hoch gepokert – und verloren. Den Ukrainern wird das herzlich egal sein. Sie bekommen die Panzer, und das zählt.
In jedem Fall aber spielte Scholz ein Spiel mit hohem Risiko: Denn was wäre passiert, wenn die USA dabei geblieben wären, dass die Abrams sich schlicht nicht für die Ukraine eigneten? Wenn sie Scholz hätten auflaufen lassen? So sehr und so lange, wie der Kanzler darauf beharrt hat, nur mit den USA zu liefern – ohne weitere Schmerzen wäre er von diesem Baum wohl nicht mehr runtergekommen.
Und dann wären da noch die Partner, die Scholz lange hingehalten hat. Zuletzt wurden einige von ihnen immer wütender. Viele in den USA, auch wenn Scholz im Bundestag sein gutes Verhältnis zu Präsident Joe Biden betont und Berichte über Streit quasi als Fake News bezeichnet. Aber eben auch die Wut der Osteuropäer, auf die Deutschland nach den eigenen Fehleinschätzungen in der Russlandpolitik doch eigentlich stärker hören wollte.
Dass der Druck aus Osteuropa den Kanzler ziemlich geärgert haben muss, deutet sich am Mittwochmittag im Bundestag ebenfalls an. Als die Abgeordneten ihm Fragen stellen können, lautet eine, wie viele Partner sich an der Panzerallianz denn nun beteiligten.
Da lächelt Scholz etwas und sagt nur: "Das wird jetzt ganz interessant werden. Übrigens auch für diejenigen, die sich besonders damit hervorgetan haben, in öffentlichen Diskursen der deutschen Innenpolitik teilzunehmen." Denn das muss aus Scholz' Sicht nun bedeuten, "dass man dann auch substanziell etwas beiträgt".
Darum, um den substanziellen Beitrag, werde sich die Bundesregierung nun bemühen, sagt Scholz noch. Einen langen Atem hat er ja – das hat die Diskussion einmal mehr gezeigt. Und schmerzfrei ist er auch.
- Eigene Recherchen und Beobachtungen