Politik Hintergrund: Was passiert bei einer Kernschmelze?
Der größte anzunehmende Unfall (GAU) in Atomkraftwerken bezeichnet den schwersten, unter Einsatz aller Sicherheitssysteme noch beherrschbaren Störfall. Die Umwelt wird dabei nicht über die zulässigen Grenzwerte hinaus mit Strahlen belastet. Von einem "Super-GAU" spricht man hingegen, wenn ein Unfall nicht mehr beherrschbar ist, der Reaktorkern schmilzt oder der Druckbehälter birst.
Wenn das Kühlwasser in Atomkraftwerken absinkt, überhitzt der Reaktorkern und die Brennstäbe werden beschädigt. Das kann zur Schmelze führen: Dabei überhitzen die Brennstäbe eines Atomreaktors - und zwar so sehr, dass sie sich verflüssigen und in eine unkontrollierbare, radioaktive Schmelze verwandeln.
Die Folgen sind schwer kalkulierbar: Ein bis zu 2000 Grad Celsius heißes Gemisch aus Spaltmaterial und Metall kann sich durch die Schutzhülle des Reaktorkerns fressen und in die Umwelt gelangen. Möglich sind auch heftige Explosionen. "Bei der Kernschmelze kommt es zu physikalischen Prozessen, die nicht mehr zu stoppen sind", sagt Greenpeace-Atomexperte Tobias Münchmeyer.
Ausfall des Kühlsystems
Ursache für die Kernschmelze ist stets ein Ausfall des Reaktor-Kühlsystems. Dadurch steigen die Temperaturen in den Brennstäben, die Uran oder Uran-Plutonium-Mischungen enthalten, unaufhaltsam an. Am Ende schmelzen die radioaktiven Materialien ebenso wie die stählernen Brennstab-Umhüllungen und fallen auf den Boden des Reaktorbehälters.
Das zur Kühlung eingesetzte Wasser verdampft oder wird durch die Hitze in Wasserstoff und Sauerstoff getrennt. Beide Stoffe bilden zündfähige sogenannte Knallgasgemische, was zu Explosionen mit immenser Wucht führen kann.
Schwere Schäden am Reaktorgefäß
Zwar haben Atomkraftwerke um den Reaktorbehälter einen weiteren Schutzmantel aus Stahl oder Stahlbeton, das sogenannte Containment. Aber auch der kann durch Explosionen zerstört oder von der extrem heißen atomaren Suppe durchbrochen werden. Der Kernkraft-Experte Kurt Hausmann geht auch im aktuellen Fall davon aus: "Eine solche Explosion kann eigentlich nur die Folge einer Kernschmelze sein", sagte er gegenüber t-online.de. Wenn der Reaktorbehälter unter der gewaltigen Belastung berste, könne auch die äußere Sicherheitshülle dem Druck bei einer Schmelze nicht mehr standhalten.
Im Fall des japanischen Kraftwerks dürfte es Hausmann zufolge zumindest zu einer Teilkernschmelze gekommen sein. Dabei werden Teile der Brennstäbe nicht mehr gekühlt, weil das Kühlwasser absinkt. Die freiliegenden Stäbe überhitzen und beginnen zu schmelzen.
Wenn das Kühlwasserniveau so weit falle, dass die Spitzen der Brennstäbe freiliegen, beginne der Schaden am Reaktorkern innerhalb von 40 Minuten, zitieren Wissenschaftler aus einem technischen Dokument, dass die Umweltorganisation "Green Action in Japan" übersetzt hat. Weitere 90 Minuten später werde das Reaktorgefäß beschädigt.
Verheerende Folgen für die Menschen
Die Folgen für Menschen und Umwelt bei einer Kernschmelze wären verheerend: Der geschmolzene Reaktorinhalt besteht unter anderem aus hochradioaktivem Uran sowie dem extrem strahlenden, hochgiftigen Plutonium - einem der gefährlichsten bekannten Stoffe. Hinzu kommen diverse weitere radioaktive Isotope wie Cäsium 137, das sich während des Reaktorbetriebs bildet.
Diese Stoffe würden sich durch eine Explosion in der Umgebungsluft verteilen oder sich mit der Kernschmelze durch den Schutzbehälterboden in das Erdreich vorfressen. Bei der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl wurden 1986 große Mengen Cäsium 137 freigesetzt, die bis nach Nord- und Westeuropa kamen, sich auf Feldern und Weiden ablagerten und dort bis in die menschliche Nahrungskette gelangten.