Mögliche Technikpanne Neue Erkenntnisse nach DHL-Absturz
Litauische Experten wagen eine erste Prognose zum Absturz der DHL-Maschine in Vilnius. Unterdessen sorgt der Funkverkehr weiter für Spekulationen.
Möglicherweise hat ein technisches Problem zum Absturz des DHL-Frachtflugzeugs am Montag geführt. Vilmantas Vitkauskas, der Leiter des Krisenzentrums in Litauen, sagte am Mittwoch, die Experten würden "zur technischen Version tendieren". Diese Einschätzung sei aber nur vorläufig: "Wenn wir zusätzliche Daten erhalten, könnten wir unsere Richtung ändern", so Vitkauskas weiter.
Der Luftfahrtexperte Cord Schellenberg betonte auf Anfrage von t-online: "Grundsätzlich gilt, dass es bei einer Vielzahl von Flugunfällen zu einer Verkettung von technischem und menschlichem Versagen kommt."
Tiefere Erkenntnisse erhoffen sich die Ermittler nun von der am Dienstag geborgenen Black Box. Der Flugdatenschreiber und der Stimmenrekorder sollen zur Untersuchung ins Ausland gebracht werden. Wahrscheinlich werde die Auswertung bei "einem unserer europäischen Verbündeten" erfolgen, erklärte Vitkauskas im litauischen Radio.
Welche Rolle spielte eine fehlende "Zwei" im Funkverkehr?
Währenddessen heizen die veröffentlichten Funksprüche kurz vor dem Absturz die Spekulationen weiter an. Ein Berufspilot hat als mögliche Ursache des Unglücks eine fehlende "Zwei" ins Spiel gebracht. Die "Bild"-Zeitung zitierte den Mann, ohne seinen Namen zu nennen. Ihm zufolge verlief der Funkverkehr ungewöhnlich holprig.
Auf den Aufnahmen ist zu hören, wie eine Radarlotsin die Freigabe erteilt, auf 4.000 Fuß (etwa 1.220 Meter) zu sinken. Sie weist die im Auftrag von DHL fliegende Boeing 737 der spanischen Airline Swift Air an, Piste 19 des Flughafens Vilnius ansteuern.
Mehrere Missverständnisse – dann der entscheidende Fehler?
Die Piloten lassen sich dies bestätigen, was laut dem Berufspiloten unüblich ist. Weitere Ungenauigkeiten folgen: Einmal wiederholt der Pilot eine Höhenangabe falsch, ohne dass die Lotsin korrigiert, dann passiert bei der Nennung des Luftdrucks dasselbe. Beide Missverständnisse seien zwar nicht gravierend, so der Berufspilot – möglicherweise aber habe dann eine dritte Kommunikationspanne zum Absturz geführt, mutmaßt die "Bild".
Als die Lotsin den Funkverkehr mit dem Flugzeug an den Tower in Vilnius übergeben will, spricht sie bei der Angabe der Frequenz eine Ziffer, eine "Zwei", undeutlich aus. Als der Pilot die Frequenz wiederholt, fehlt die "Zwei" in der Ziffernfolge. Danach kommt kein Funkkontakt mehr zustande, weder Tower noch Radarlotsin erreichen die DHL-Maschine noch.
Experte zu t-online: Theorie "extrem unwahrscheinlich"
Die Schlussfolgerung der "Bild": Die Verwirrung um die Frequenz könnte dazu geführt haben, dass die Piloten abgelenkt waren und die Maschine schließlich abstürzte. Der Luftfahrtexperte Thomas Borchert, Chefredakteur der Magazine "Aero International" und "Fliegerrevue", bezweifelt dies allerdings: Aus dem Funkverkehr könne zwar geschlossen werden, dass die Crew die Frequenz des Towers nicht korrekt verstanden hat, teilte er t-online mit. Dass ein Flugzeug aber deshalb abstürze, halte er für "extrem unwahrscheinlich".
Allerdings glaubt Borchert, dass der missglückte Frequenzwechsel zumindest ein Anzeichen gewesen sein könnte. Dem SWR sagte er, dass die Piloten zu dem Zeitpunkt möglicherweise "mit irgendwas so sehr beschäftigt waren, was da gerade passiert ist, was dann letztlich auch mit dem Absturz zu tun hatte". Ähnlich hatte sich zuvor schon ein anderer Experte im Gespräch mit t-online geäußert: Der Funkverkehr deute auf "Unkonzentriertheit im Cockpit" hin, sagte der Journalist Guido Schmidtke, dessen Fachgebiet neben Militärtechnik auch Luftfahrt einschließt.
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Bisher keine Hinweise auf Sabotage
Großes Chaos herrschte vor dem Absturz allerdings wohl nicht an Bord. Litauens Verteidigungsminister Laurynas Kasciunas sagte am Mittwoch, es habe vor dem Absturz keine Besorgnis im Flugzeug gegeben. Laut Aussagen der überlebenden Besatzungsmitglieder sei auch kein Rauch an Bord wahrgenommen worden.
Bei dem Absturz des von DHL beauftragten Frachtflugzeugs in der Nähe des Flughafens war am Montag ein Pilot ums Leben gekommen. Die drei übrigen Insassen der Maschine überlebten verletzt.
Den Ermittlern zufolge gibt es bislang keine Hinweise auf Sabotage. Hinweise auf GPS-Störungen gebe es nicht, sagte der Leiter des litauischen Krisenzentrums. Das Satellitennavigationssystem sei nicht zur Landung verwendet worden. Die Systeme des Flughafens Vilnius, die zur Orientierung ankommender Crews verwendet würden, hätten bei Tests wie gewohnt funktioniert.
- Anfrage an die Luftfahrtexperten Thomas Borchert und Cord Schellenberg
- bild.de: "Führte eine fehlende '2' zur Katastrophe?"
- aerointernational.de: "Flug QY-5960: Luftfahrtexperte spricht über Flugzeugabsturz in Litauen"
- Mit Material der Nachrichtenagenturen Reuters und dpa