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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Freiwillige Helferin berichtet aus Valencia "Es liegt ein Schleier der Trauer über der Stadt"
Spanien erlebt eine nie dagewesene Serie von heftigen Unwettern. Hunderte Menschen sind ums Leben gekommen. Eine deutsche Auswanderin berichtet von staatlichem Versagen und einer Welle der Solidarität.
Verheerende Regenfälle suchten vor zwei Wochen den Süden Spaniens heim. Mindestens 219 Menschen wurden dabei getötet. Am härtesten traf es die Region Valencia, dort kamen 211 Menschen zu Tode. Zeitweise fielen in der Region innerhalb eines Tages über 700 Liter Regen pro Quadratmeter – mehr als normalerweise in einem gesamten Jahr.
Berte Fleissig wanderte vor fünf Jahren aus dem hessischen Eschwege in die spanische Region aus. t-online hat mit ihr über die Auswirkungen der Flut und die Situation vor Ort gesprochen.
t-online: Frau Fleissig, wo waren Sie, als die Regenfälle am 29. Oktober einsetzten?
Berte Fleissig: Ich war zu Hause, als ich auf einmal eine Warnmeldung auf mein Handy bekam. So etwas habe ich zuvor noch nie erlebt. Ich hatte direkt gespürt, dass etwas sehr Schlimmes im Gange ist.
Waren Sie selbst direkt betroffen?
Nein, ich lebe im Zentrum von Valencia. Ein Flussbett trennt unseren Stadtteil von den Bezirken, in denen die Flut am heftigsten war. Das war mein Glück. Wir nennen die Viertel seitdem Ground Zero – weil dort alles zerstört ist. Unser Strom ist am Abend stundenlang ausgefallen. Erst als ich am nächsten Morgen die Bilder im Fernsehen sah, wurde mir das Ausmaß bewusst.
Was haben Sie getan, als Ihnen das Ausmaß bewusst wurde?
Ich habe mir ein paar Tage freigenommen und bin mit dem Fahrrad in die betroffenen Gebiete gefahren, um zu helfen. Der öffentliche Nahverkehr war zerstört, die Straßen und Brücken ebenfalls. Da es so etwas wie einen 'Tsunami'-Effekt gab, also nicht nur das Wasser sorgte für Zerstörung, sondern vor allem der immense Druck. Trotzdem haben viele Menschen den Weg auf sich genommen. Manche sind zwei Stunden oder noch länger gelaufen – nur um zu helfen.
Im Februar kam es hier zu einem schrecklichen Brand in einem Hochhaus, dabei verloren zehn Menschen ihr Leben. Ich lebte auch in dem Haus und habe an diesem Tag alles verloren. Deswegen war es für mich eine Herzensangelegenheit, den Betroffenen zu helfen. Ich weiß, wie es sich anfühlt, alles zu verlieren. Und wie wichtig jede Form der Hilfe ist, auch wenn sie vielleicht noch so 'klein' erscheint.
Wie war die Situation vor Ort?
Es war überwältigend. Überall dieser braune Schlamm, Autowracks teilweise meterhoch aufgetürmt. Überall standen zerstörte Einrichtungen aus den betroffenen Wohnungen. Es hat sich angefühlt wie in einem Kriegsgebiet – mit dem Unterschied, dass die Zerstörung eben durch eine Naturgewalt und nicht durch Bomben ausgelöst wurde. Diese massive Zerstörung zu sehen, löste in mir ein sehr bedrückendes, beklemmendes Gefühl aus. Es wird Jahre dauern, bis dort wieder Normalität einkehren kann.
Das betroffene Gebiet ist ziemlich groß. Wo sind Sie zuerst hingegangen?
Man muss verstehen, dass davon so viele Menschen betroffen sind, dass wirklich jeder jemanden kennt, den es hart getroffen hat. Ich bin damals zu Freunden, um beim Aufräumen zu helfen. Zum Glück hat es bei ihnen nur die Garage erwischt.
Eine andere Freundin von mir hatte weniger Glück, sie konnte sich in letzter Minute noch vor den Fluten retten, indem sie mit ihrer Katze in den nächsten Stock kletterte – von dort konnte sie gerettet werden. Sie hat in wenigen Minuten alles verloren.
Über WhatsApp-Gruppen und Social Media haben sich schnell Gruppen gebildet, in denen sich die Helfer am Anfang koordiniert haben. Die Frage, wie ich wo am besten helfen kann, habe ich mir oft gestellt. Sie war nie einfach zu beantworten, aber ich habe immer Orte gefunden, an denen ich gebraucht wurde.
Es gab im Nachgang sehr scharfe Kritik an der Regierung, weil die Rettungskräfte zu spät in die Gebiete kamen. Deckt sich das mit Ihren Erfahrungen?
Absolut! Dort, wo ich in den ersten Tagen war, habe ich keine Helfer vom Katastrophenschutz gesehen. Es waren normale Bürger wie wir, die dort angepackt haben. Die Bevölkerung hat als Technisches Hilfswerk fungiert, nur eben ohne Equipment. Jeder hat genommen, was er hatte, insbesondere Gummistiefel und Handschuhe, und ist los.
Die Besitzer kleinerer Geschäfte haben die Helfer, so gut es ging, mit Material und Ausrüstung unterstützt. Da die Strecken so weit sind, haben kleine Fahrradläden ihre Räder zur Verfügung gestellt. Ich würde schätzen, dass am Anfang rund 90 Prozent der Helferinnen und Helfer Freiwillige wie ich waren.
Zur Person
Berte Fleissig lebt seit fünf Jahren in Valencia. Davor lebte die Deutsche in Eschwege in Hessen. Bei einem Großbrand in einem Hochhaus in Valencia im Februar 2024 verlor sie all ihr Hab und Gut. Nach den Unwettern Ende Oktober schloss sie sich anderen freiwilligen Helfern an.
Laut Kritikern kamen die Warnungen zu spät. Stimmt das?
Als ich die Erste bekommen habe, war es kurz nach acht Uhr abends. Zu diesem Zeitpunkt war die Katastrophe bereits in vollem Gange. Die Kritik ist in jedem Fall berechtigt. Wäre das besser gelaufen, würden einige der Opfer heute noch leben.
Also wäre die Situation ohne die Freiwilligen gar nicht zu bewältigen gewesen?
Man muss ganz klar sagen, die Bevölkerung hat die Situation gerettet – soweit es eben möglich war. Der Staat oder viel mehr die Lokalregierung hat bei der Warnung der Bevölkerung versagt. Sie haben viel zu spät, erst Tage nach der Flut, den Katastrophenfall ausgerufen. Dabei hätte es ja alle Möglichkeiten gegeben. Während Corona ging hier alles ganz schnell, da war der Notstand inklusive Maßnahmen quasi von heute auf morgen in Kraft – das macht mich wütend.
Teilweise wurde von massiven Plünderungen berichtet.
Eine Freundin von mir arbeitet in einem Supermarkt im Flutgebiet, sie erzählte mir, dass dieser nach der Flut in kürzester Zeit leer geräumt wurde. Aber auch Privatwohnungen wurden geplündert, es wurde alles mitgenommen. Auch Fake News sind ein omnipräsentes Thema, dabei geht es oft um vermeintlich gefälschte Spendenkampagnen. Die Situation bietet gerade der politischen Rechten nun viel Spielraum.
Klingt, als würde die Situation das Schlechte in den Menschen zum Vorschein bringen?
In einer solchen Situation kommt das Schlimmste, aber auch das Beste, das in den Menschen steckt, zum Vorschein. Klar gibt es die einen, die auf Raubzüge gehen, aber die Mehrheit hat alles in ihrer Macht Stehende getan, um zu helfen. Neben der direkten physischen Hilfe in den Gebieten haben sich Initiativen gegründet, die den Menschen psychisch zur Seite stehen. Es fanden sich Gruppen, die sich nur darum kümmern, den Kindern bei der Verarbeitung der Erlebnisse zu helfen – das ist unfassbar stark.
Die Regenflut liegt nun über zwei Wochen zurück. Wie ist heute die Stimmung in der Bevölkerung?
Es liegt ein Schleier der Trauer über der Stadt. Die meisten in den betroffenen Stadtteilen werden die Zeit wohl nicht ohne Trauma überstehen, es gab viele Todesopfer und viele werden noch immer vermisst. Man spürt eine kollektive Trauer, wenn man durch die Stadt läuft, man spürt es einfach – auch in den intakten Teilen.
Laufen die Aufräumarbeiten mittlerweile besser?
Definitiv, mittlerweile sind viele Rettungskräfte vor Ort. Die Hauptstraßen sind größtenteils geräumt. Manche Seitenstraßen sind allerdings noch voller Schlamm und Wracks. Auch aus dem Ausland sind Helfer gekommen. Ich habe beispielsweise einen Feuerwehrtrupp aus Deutschland getroffen, der auf eigene Faust nach Valencia kam, um zu helfen. Und auch die Meldungen über Plünderungen werden seltener.
Mit Hubschraubern werden immer noch Vermisste gesucht, auch im Meer – da die Flut teilweise Menschen hinausgespült hat. Es gibt Fälle, in denen Menschen 50 Kilometer weit getrieben wurden.
Was wünschen Sie sich für die Zukunft?
Aktuell ist die Solidarität noch riesig, auch aus dem Ausland kommt viel Unterstützung. Ich hoffe, dass die Betroffenen auch nach der ersten Welle weiterhin gut unterstützt werden. Außerdem braucht es dringend eine bessere Vorbereitung auf solche Katastrophen, durch den Klimawandel werden sie in Zukunft häufiger und schwerer. Es braucht schnelle Warnsysteme und schnelle, direkte Hilfe vor Ort.
Die Menschen müssen realisieren, in welcher Welt wir leben. Egal, ob im Ahrtal in Deutschland, in Niederschlesien in Polen oder eben in Valencia in Spanien – die Bevölkerung muss sich auf solche Szenarien vorbereiten und die Gefahren ernst nehmen. Ein Auto kann in diesen Fluten schnell zur Todesfalle werden, genauso wie ein Keller.
Der für Touristen interessante Teil der Stadt ist zum Großteil erhalten. Die Menschen hier benötigen den Tourismus jetzt mehr als je zuvor.
- Interview mit Berte Fleissig