"Amerikanisches Tschernobyl" Was heißt Trumps Besuch für die Opfer des Chemie-Unglücks?
Bei einem Zugunglück im US-Bundesstaat Ohio wurde ein krebserregendes Gas freigesetzt. Die Anwohner sorgen sich um ihre Gesundheit.
Nach der Entgleisung eines mit Chemikalien beladenen Güterzugs im US-Bundesstaat Ohio wächst unter den Anwohnern die Furcht vor gesundheitlichen Folgen. Das Zugunglück, das sich bereits Anfang Februar in dem kleinen Dorf East Palestine ereignete, könnte sich zu einer Umweltkatastrophe ausweiten. Der Druck auf die Regierung von US-Präsident Joe Biden nimmt zu.
Was genau ist passiert?
In East Palestine im Osten vom US-Bundesstaat Ohio sind am 3. Februar rund 50 Waggons eines Güterzuges entgleist. Einige Waggons enthielten gefährliche Chemikalien, die auch zur Kunststoffherstellung verwendet werden.
Als mehrere der Waggons in Brand gerieten, wurde unter anderem das krebserregende Gas Vinylchlorid freigesetzt. Weil zwei Tage später einer der Tankwagen zu explodieren drohte, ordneten die Behörden vor Ort eine Evakuierung der Anwohner an. Um die Explosion zu verhindern, wurde schließlich aus einigen der Waggons das Vinylchlorid abgelassen.
Welche Gesundheitsprobleme haben die Menschen vor Ort?
Seit dem Unfall klagen die Anwohner über gesundheitliche Probleme – darunter Kopfschmerzen, gereizte Augen und Ausschlag. Sie werfen den Behörden unvollständige Informationspolitik vor und fühlen sich im Stich gelassen. Auch die Eisenbahngesellschaft "Norfolk Southern" steht in der Kritik, einer Versammlung mit Anwohnern blieb sie fern.
Einwohner betonen zudem immer wieder ein tief sitzendes Misstrauen gegenüber den Behörden. "Das Wasser macht mir Angst", sagte ein 50-jähriger Anwohner gegenüber der "New York Times". Er glaube nicht, dass die freigesetzten Chemikalien einfach verschwinden, den Tests der Behörden vertraue er nicht. "Was wird in zwei Jahren sein?", sagt er. "Werden wir dann anfangen, Krebszellen auftauchen zu sehen? Oder in drei Wochen?"
Wie reagieren die Behörden?
Der Direktor der US-Umweltbehörde Epa, Michael Regan, versuchte, die Menschen bei einem Besuch vor Ort zu beruhigen. Bei der Untersuchung von 480 Häusern seien keine Spuren von Chemikalien wie Vinylchlorid oder Chlorwasserstoff entdeckt worden. Nach Behördenangaben sind weder die Luft noch das Trinkwasser in der Gegend für Menschen und Tiere gefährlich.
Man unterstütze die örtlichen Behörden bei der Ermittlung der Auswirkungen des Unfalls und stelle sicher, dass es keine Auswirkungen auf die Trinkwasserversorgung gebe, so Regan. Man teste sowohl das Wasser auch als die Luft regelmäßig auf gefährliche Schadstoffe. Anwohner von East Palestine, die über Trinkwasserbrunnen verfügen, können laut dem Gesundheitsamt in Ohio zudem einen Test auf Kontamination anfordern.
Die Katastrophenschutzbehörde des Bundesstaates versuchte ebenfalls, die Anwohner zu besänftigen. Es könnten zwar Gerüche wahrgenommen werden. Das liege aber daran, dass einige der freigesetzten Schadstoffe eine niedrige Geruchsschwelle hätten. Diese Schadstoffe könnten also in einer Konzentration gerochen werden, die weit unter dem als gefährlich geltenden Wert liege.
Wie wirkt sich das Unglück auf die Tierwelt aus?
Indes durchziehen ölige Schlieren einen Bach in der Nähe der Unfallstelle. "Vier Wasserläufe auf einer Länge von 7,5 Meilen (ca. 12 km) sind kontaminiert", sagte die Direktorin des Ohio Department of Natural Resources, Mary Mertz, am Dienstag laut einem CNN-Bericht auf einer Pressekonferenz. "Wir haben auf der Grundlage unserer Probenahme und Modellierung etwa 3.500 tote Fische in diesem Gebiet, in diesen Bächen, Nebenflüssen und Wasserstraßen geschätzt", sagte Mertz weiter. Keine der zwölf betroffenen Arten sei gefährdet oder bedroht, aber es sei trotzdem ein Verlust für die Tierwelt.
"Es handelt sich um eine komplexe Umweltkatastrophe mit Auswirkungen, die kurzfristig nur schwer abzuschätzen sind", erklärte der republikanische US-Senator für Ohio J. D. Vance in einer Mitteilung auf Twitter.
Was bedeutet der Besuch von Donald Trump?
Nachdem das Thema in den vergangenen beiden Wochen in der nationalen Politik eine untergeordnete Rolle gespielt hat, könnte das Zugunglück in East Palestine nun noch mal in den Fokus rücken. Für kommende Woche hat sich Ex-Präsident Donald Trump in dem kleinen Ort angekündigt. "Die Menschen von East Palestine brauchen Hilfe. Wir sehen uns am Mittwoch!", schrieb er in seinem sozialen Netzwerk "Truth" und fuhr fort, dass er die Regierung in Washington schon treiben werde.
Trump wird seinen Besuch folglich wohl vor allem für den republikanischen Vorwahlkampf nutzen. In Auftritten vor großen Menschenmengen ist er geübt, auch im direkten Gespräch mit seinen Anhängern fällt es ihm leicht zu punkten. Konkretes versprechen oder echte Hilfe anbieten kann Trump derweil kaum.
Tatsächlich war es in der Vergangenheit ausgerechnet Trump selbst, der eine Regulierung zu wirksameren Bremssystemen solcher Güterzüge aus der Regierungszeit seines Vorgängers Barack Obama kassiert hatte. Die aktuelle Biden-Regierung gab unlängst zu, dass sie bislang zögere, die Bremsbestimmungen wieder zu verschärfen, weil sie zu starken Widerstand der Industrie befürchte.
- Mit Material der Nachrichtenagentur dpa
- nytimes.com: In Ohio Town Where Train Derailed, Anxiety and Distrust Are Running Deep (englisch)