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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Deutsche im Katastrophengebiet "Da liegen etliche Leichen in den Fluren"
Nach den schweren Erdbeben in der türkisch-syrischen Grenzregion läuft die internationale Hilfe an. Eine Helferin in Nordostsyrien und ein Helfer, der in die Türkei unterwegs ist, berichten.
Mehr als 11.700 Menschen sind durch die schweren Erdbeben im türkisch-syrischen Grenzgebiet gestorben. Nun sind auch deutsche Helfer im Einsatz. t-online sprach mit zwei von ihnen.
"Es kommen kaum Hilfsgüter durch."
Fee Baumann, Medico
Fee Baumann vom Kurdischen Roten Halbmond/Medico stammt aus Norddeutschland, lebt aber seit fünf Jahren in Nordostsyrien. Die 39-Jährige hält sich in der Großstadt Qamischli auf, die zur kurdisch geprägten Region Rojava gehört. Von dort koordiniert sie unter anderem die medizinische Notfallversorgung der Halbmond-Teams. Diese arbeiten in Flüchtlingscamps in den kurdisch bewohnten Gebieten, in Kliniken in größeren Städten und mobilen Kliniken in ländlichen Regionen; in Afrin, Kobane, Aleppo etwa.
"Es fehlt hier gerade an allem, vor allem im Westen des Landes. Da sind sehr viele Gebäude eingestürzt und wirklich viele Menschen obdachlos. Ich habe ein Video aus einem Krankenhaus geschickt bekommen, in dem man etliche Leichen in den Fluren liegen sieht. Eben hat mich die Nachricht erreicht, dass in Menbij mindestens zwei größere Wohnhäuser evakuiert wurden, wegen massiver Einsturzgefahr.
Abgesehen von der medizinischen Versorgung brauchen wir gerade alles, was wir kriegen können: Trinkwasser, Essen, Zelte, vor allem auch Decken, Matratzen, Winterkleidung. Und Generatoren, Diesel, um die Zelte zu heizen, die wir vor allem hier im Osten als Sammelpunkte eingerichtet haben.
Es wäre jetzt extrem wichtig, die Grenzübergänge von syrischer und türkischer Seite her zu öffnen. Es kommen kaum Hilfsgüter durch und wenn, erreichen sie die kurdischen Menschen nicht. Das ist von türkischer und syrischer Seite gewollt. Am Dienstag wurden mir noch Luftangriffe auf Afrin im Westen Syriens bestätigt, also während die Menschen hier nach dem Beben sowieso schon ums Überleben kämpften. Heute, am Mittwoch, habe ich noch keine weiteren Neuigkeiten dazu bekommen. Ich hoffe, das ist eine gute Nachricht.
Die Häuser sind in ihrer Baustruktur nicht sicher. Auch hier in Qamischli nicht, im Nordosten. Ich bin heute nur in meine Wohnung zurückgekommen, um ein paar Sachen zu holen und schnell zu duschen. Es wäre zu gefährlich, hier zu bleiben, im dritten Stock schwankt es zu sehr. An meinem Haus sind Fliesen heruntergekommen, mein Badezimmerschrank ist heruntergefallen, ein Sideboard umgestürzt. Ich bin glücklicherweise in einer Erdgeschosswohnung untergekommen.
Andere aus unserem Team schlafen in Zelten. Manche, die ein Auto haben, verbringen die Nächte darin. Ganz praktisch müssen hier bei uns in Nordostsyrien, sobald die Nachbeben aufgehört haben, die Häuser auf ihre Statik geprüft werden. Die Menschen müssen ja zurückkehren. Das wird allerdings schwierig, weil oft die Expertise fehlt.
Im Nordwesten, in Afrin, Kobane, Aleppo etwa, helfen unsere Teams auch bei Bergungsarbeiten. Da ist die Situation wesentlich schlimmer. Ich telefoniere jetzt sehr viel, koordiniere über Messenger unsere Teams und Einsätze, muss also immer da sein, wo es Internet gibt.
Gerade geht es mir okay. Ich habe heute gemerkt, dass es noch ein bisschen gebebt hat. Allerdings bin ich mir manchmal unsicher, ob das nicht ich selbst bin und mein Körper traumatisiert ist und irgendwie reagiert. Aber mir wurde schon bestätigt, dass die Erde hier immer noch nachbebt.
In der Nacht des Erdbebens wurde ich aus dem Schlaf gerissen und wusste gar nicht, was los ist. Erst hatte ich Angst, dass es ein Bombenangriff sei. Aber es gab keine dafür typische Geräusche. So schnell es ging, habe ich mich dann angezogen, meine Notfalltasche gepackt und bin runter vor das Haus. Da standen schon die anderen Menschen aus der Nachbarschaft und aus meinem Haus, auch vom Kurdischen Roten Halbmond. Und seitdem bin ich eigentlich durchgehend im Einsatz."
"Wir reisen mit Gaskocher, Instantnudeln und dergleichen."
Uwe Grunert, Humedica
Uwe Grunert hat sich am Mittwochmorgen von Bad Camberg in Hessen auf den Weg in die Türkei gemacht. Der 56-jährige Musiker war schon mehrfach für die Hilfsorganisation Humedica aus Kaufbeuren im Einsatz, unter anderem im Iran, Libyen, auf den Philippinen und in Indonesien, wo er mit den Folgen schwerer Tropenstürme, Erdbeben und kriegerischer Auseinandersetzungen konfrontiert wurde. Auch diesmal stellt er sich auf das Schlimmste ein.
"Ich hatte mir sowieso ein paar Tage freigenommen, aber dann habe ich von den Erdbeben erfahren und dass Humedica Freiwillige sucht. Ich habe nicht lange überlegt und jetzt fliegen wir als Dreierteam über Istanbul nach Adana im Süden der Türkei. Von da geht es mit dem Auto weiter, und je nachdem, in welchem Zustand die Straßen sind, können wir in etwa drei Stunden im Krisengebiet sein. Wohin genau entscheiden wir kurz vorher mit unseren Partnerorganisationen. Mit mir fliegen zwei erfahrene Ärzte, einer von ihnen wird wie ich vor allem koordinieren.
Das heißt: Für uns ist jetzt am wichtigsten, so schnell wie möglich Informationen zusammentragen und nach Deutschland zu schicken. Wir schätzen die Lage vor Ort ein, dafür spreche ich mit Behörden, frage, was benötigt wird, wir machen Fotos zur Dokumentation. Das wird unseren Donnerstag und Freitag in Anspruch nehmen. Je mehr wir jetzt vorarbeiten, desto gezielter kann Humedica Hilfe schicken und desto schneller kann das auch vonstattengehen.
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Das wird etwa medizinisches Personal zur Notfallversorgung sein und die Organisation von Hilfslieferungen wie Lebensmittel und das womöglich schon Anfang kommender Woche. Medikamente werden wir noch nicht mitbringen, es geht um das Sammeln von Informationen, denn teils ist noch nicht klar, wie schwer einzelne Orte betroffen sind und was jetzt am Dringendsten benötigt wird.
Eine feste Unterkunft haben wir die meiste Zeit nicht, aber Zelte und warme Schlafsäcke. Wir wissen ohnehin nicht, ob es Nachbeben geben wird. Dann wäre das Übernachten in Gebäuden sowieso zu gefährlich. Und die Situation kann sich stündlich ändern. Für den Einsatz haben wir grob eine Woche geplant und Sicherheitsschuhe, Helme sowie warme Kleidung eingepackt, denn die Temperaturen dort sind niedrig. Wir reisen mit Gaskocher, Instantnudeln und dergleichen. Sollten wir dort etwas anderes zu essen bekommen, ist das gut, aber das planen wir nicht ein."
- Telefongespräch mit Uwe Grunert am 8. Februar 2023
- Skype-Gespräch mit Fee Baumann am 8. Februar 2023