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Zum journalistischen Leitbild von t-online.AfD-Hetze nach Gleis-Attacke Frau kontert bei Facebook – ist die Familientragödie erfunden?
Ein Facebook-Beitrag zu einem Schicksalsschlag vor 50 Jahren bewegte viele Menschen. Jetzt ist die Geschichte über ein in Frankfurt vor den Zug gestoßenes Mädchen
Wahrscheinlich wollte die Frau nur Gutes. Wahrscheinlich wollte sie der Hetze etwas entgegensetzen, die nach dem entsetzlichen Verbrechen an einem Achtjährigen im Hauptbahnhof Frankfurt (Main) aufgekommen war. Was sie deshalb auf Facebook schrieb, hat viele Menschen bewegt und wurde zehntausendfach geteilt. Es ist eine berührende Schilderung des traurigen Schicksals ihrer Familie mit vielen Details.
In dem vielfach geteilten Beitrag schilderte die Frau, dass ihre Mutter auch so eine schreckliche Tat wie die in der vorigen Woche erleben musste. Die Mutter musste demnach vor 50 Jahren als Siebenjährige mit ansehen, wie ihre große Schwester von einem deutschen Arbeiter vor einen Zug geschubst wurde und ums Leben kam. So war es in dem Posting zu lesen.
Nur: Die Polizei Frankfurt hat die Jahre 1967 bis 1971 ausgewertet – ohne etwas zu finden. Ein Sprecher sagt: "Wenn es da in unserem Bereich etwas gegeben hätte, dann hätten wir es finden müssen."
Im Stadtarchiv Frankfurt findet sich für diesen Zeitraum auch kein Treffer. Diverse Journalisten haben nach Belegen für den Fall recherchiert und bisher keine gefunden.
Die Vorgeschichte zu dem Posting: Ein Eritreer hat vor einer Woche offenbar als Folge einer Psychose einen Jungen vor einen einfahrenden ICE gestoßen. In das Entsetzen über die Tat mischte sich schnell Empörung aus den Reihen der AfD. Dort wurde fast schon routinemäßig die Bundeskanzlerin verantwortlich gemacht für die Tat des Mannes, der seit 2006 in der Schweiz lebt und dort den gleichen Aufenthaltsstatus bekommen hat wie AfD-Sprecherin Alice Weidel.
"Spart euch eure geheuchelten Facebookposts"
Im weit verbreiteten Unmut über diese Instrumentalisierung traf Sandra H. einen Nerv. Sandra H., so nennt t-online.de an dieser Stelle die junge Frau, die am Dienstagmorgen um kurz vor 11 Uhr auf "Posten" geklickt hat. "Seid einfach mal traurig und spart euch eure nutzlosen, geheuchelten Facebookposts", schrieb sie. Wer ein Deutschland wie früher wolle, der solle einfach Anstand zeigen. Und in diesem Deutschland von früher, da habe es solche Taten auch gegeben.
Dafür finden sich erwartungsgemäß etliche Beispiele. Keines ist aber so eindringlich wie das, das Sandra H. schilderte: eine Tat ebenfalls in Frankfurt, das Opfer fast gleichaltrig wie der jetzt getötete Junge, der Täter ein 43-jähriger Deutscher, sogar seinen Arbeitgeber kannte sie, die Farbwerke Hoechst.
Und die Mutter des Opfers, ihre Oma, habe nach dem Vorfall vor "ziemlich genau 50 Jahren" bis zu ihrem Tod Schuldgefühle gehabt, obwohl sie doch nichts dafür konnte. Sandra H. schrieb von den Erinnerungen, die fein säuberlich aufgehoben in einem Karton geblieben seien: Todesanzeige, Zeitungsartikel, das letzte vor dem Tod gemalte Bild der Neunjährigen. In Kommentaren schrieben Menschen, das habe sie zu Tränen gerührt.
Nach Löschung kursieren Screenshots weiter
Und es gab viele Nutzer, die das Posting oder Screenshots davon teilten. Wegen dieser Screenshots lebt die Geschichte im Netz weiter. Denn als der Beitrag immer mehr Wellen schlug und Nachfragen aufkamen, löschte Sandra H. ihn am Mittwoch kommentarlos. Dazu wechselte sie ihr Profilfoto. Einige Erklärungen, die es von Bekannten in Kommentaren dazu gab, sind ebenso verschwunden. Wieso?
t-online.de hat sie am Freitag über WhatsApp und Nachrichten auf dem Anrufbeantworter um Rückruf gebeten. Keine Reaktion. Auf eine E-Mail mit der Bitte um Rückmeldung bis Montag, 16 Uhr, schrieb Sandra H.: Sie habe keinerlei Interesse an Berichterstattung. Sie sei eine "Privatperson, die seit Tagen von Medienvertretern belästigt wird und keinerlei Interviews oder Statements gibt".
Wenn mögliche Falschnachrichten viele Menschen erreichen, ist es Aufgabe des Journalismus, das aufzuklären. Nach ihrem Posting rätselt eine große Öffentlichkeit, ob die Geschichte stimmt.
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t-online.de ließ sie wissen, dass ohne ihre Stellungnahme ein Text erscheinen werde, der nur auf die Ungereimtheiten eingehen werde, und bat um Erklärungen. Darauf erklärte sie, sie sei "auch mit Drohung und Erpressung" nicht zu einem Statement zu verleiten. Wenn man berichte, werde der "Presserat im Ernstfall sicher über emotionale Erpressung" zu befinden wissen. Sandra H. sieht sich als Opfer von diversen Anfragen von Medien und Privatpersonen, die ein Anrecht auf ihre Familiengeschichte erheben würden.
Sollten Sie Hinweise zu einem solchen Vorfall vor 50 Jahren haben, freuen wir uns über eine Nachricht.
Anm. d. Red.: In einer früheren Fassung hatten wir geschrieben, die Neunjährige habe den Tod der Siebenjährigen mit ansehen müssen. Das wurde im Original-Posting umgekehrt geschildert und ist nun im Text korrigiert worden.
- Eigene Recherchen
- Badische Zeitung: "Kriminologe sieht in Gleis-Attacken 'keinen neuen Trend'"