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Australien: Neuer Lepra-Fall entfacht Debatte über Ungleichheit


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Vergessener Erreger im Outback
Ein Krankheitsfall, der ein riesiges Problem offenbart


Aktualisiert am 14.06.2024Lesedauer: 4 Min.
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Eine abgelegene Siedlung im Northern Territory: Viele Gemeinden kämpfen mit schlechten Gesundheitssystemen und Wohnungsnot. (Quelle: IMAGO/NEVE BRISSENDEN/imago)
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Bei uns gilt Lepra als ausgestorben, doch ausgerottet ist die Infektionskrankheit längst nicht. Ein neuer Fall in Australien entfacht Debatten über ein größeres Problem.

Lepra quälte in Europa einst unsere Vorfahren. In ärmeren Ländern, vor allem in den Tropen, infizieren sich noch immer jedes Jahr zahlreiche Menschen mit der Krankheit. Australiens Gesundheitswesen steht dem deutschen eigentlich in nichts nach, sollte man denken. Dennoch verzeichnet das Land pro Jahr immer noch zahlreiche Fälle dieser bei uns längst vergessenen Infektionskrankheit. Ein weiterer Fall, bereits der fünfte in diesem Jahr, wirft nun das Schlaglicht auf die schlimmen Hintergründe.

Denn erneut wurde eine indigene Person in einer abgelegenen Outback-Gemeinde im Northern Territory (NT) mit dem Erreger infiziert. Das sorgt bei Experten für großen Ärger, da es die große wirtschaftliche Ungleichheit, die in dem eigentlich wohlhabenden Land herrscht, offenbart. "Das ist eine Sache, die passiert, wenn Menschen in Armut leben", sagte Steve Rossingh, der vom australischen Sender ABC zu dem neuen Lepra-Fall befragt wurde.

Rossingh ist Geschäftsführer der Gesundheitsorganisation Miwatj Health, die im abgelegenen Arnhem Land von indigenen Gemeinschaften geführt wird und sich für die Belange der Ureinwohner einsetzt. Obwohl Lepra nicht besonders ansteckend ist (im Infokasten lesen Sie mehr), sind vor allem Migranten und Ureinwohner in Australien von der Krankheit betroffen "Australien sollte sich schämen", sagte Rossingh dazu.

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"Royal Flying Doctor Service": In die abgelegenen Regionen in Australien werden Ärzte in Notfällen per Flugzeug eingeflogen. (Quelle: IMAGO/RAFAEL BEN ARI/imago)

Was ist Lepra?

Die Lepra ist eine der ältesten bekannten Infektionskrankheiten. Das Bakterium Mycobacterium leprae befällt nach Angaben der Deutschen Lepra- und Tuberkulosehilfe Haut und Nervensystem. Im Verlauf bilden sich Beulen und Knoten auf der Haut und auf Dauer Nervenschäden, Betroffene verlieren das Gefühl in Händen oder Füßen. Einen Impfstoff gibt es nicht, Lepra ist aber mithilfe von Antibiotika heilbar. Während die Krankheit in Deutschland vor 300 Jahren verschwand, infizieren sich jedes Jahr weltweit Hunderttausende Menschen neu – vorwiegend in tropischen und subtropischen Ländern der Südhalbkugel. Die Weltgesundheitsorganisation verzeichnet jährlich mehr als 200.000 neue Lepra-Fälle in über 120 Ländern.

Rund 7 Millionen Menschen – oder 28 Prozent der australischen Bevölkerung – leben laut Daten der australischen Regierung in ländlichen und abgelegenen Gebieten. Diese Australier sind aufgrund ihrer geografischen Lage mit besonderen Herausforderungen konfrontiert. Die Daten zeigen, dass diese Menschen eine höhere Rate an Krankenhausaufenthalten, Todesfällen und Verletzungen aufweisen und auch einen schlechteren Zugang zu Gesundheitsdiensten haben als Menschen in den Großstädten. Auch die Suizidraten sind deutlich höher als in Metropolen.

Sozial benachteiligte Gruppen trifft es am härtesten. Medienberichte, Gutachten und Experten berichten immer wieder von den horrenden Bedingungen, unter denen viele Menschen in indigenen Gemeinden im Outback hausen. Ihre Lebenserwartung ist im Durchschnitt weit unter der von weißen Australiern. In ihren Gemeinschaften hapert es oft an sozialen Grundleistungen wie ausreichende Unterkünfte, Zugang zu Bildungsstätten und Einrichtungen für Gesundheits- und Körperpflege. Auch für die ärztliche und psychologische Versorgung fehlen in den abgehängten Gegenden oft Geld und Arbeitskräfte.

Die betroffenen Menschen kämpfen nicht nur mit durchschnittlich schlechterer Gesundheit, sondern auch mit Vorurteilen: "Es ist nicht so, dass die Menschen selbst unsauber oder schmutzig sind. Es liegt an den Bedingungen, unter denen sie gezwungen sind zu leben – und es gibt keine Alternative", erklärte Rossingh der ABC.

Fehlende sanitäre Einrichtungen, überfüllte Wohnräume und schlechte Erstversorgung sorgen dafür, dass Krankheiten, die in westlichen Regionen längst ausgerottet sind, im Outback wieder ihr Revival feiern.

Auch andere Krankheiten plagen die Ureinwohner

So deckte eine investigative ABC-Recherche der Sendung "Four Corners" im Jahr 2022 auf, dass mehrere junge, indigene Frauen an Herzerkrankungen nach einem rheumatischen Fieber starben, obwohl sie vorher mit schweren Symptomen in der lokalen Klinik vorstellig geworden waren. Sie wurden aber wieder nach Hause geschickt – und starben kurz darauf.

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Auch ein vierjähriges Mädchen starb dem Bericht zufolge 2009 an Herzversagen; ihr Tod war auf eine unbehandelte Racheninfektion durch Streptokokken zurückzuführen. Obwohl Australien ein entwickeltes Land ist und die Bakterien erfolgreich mit Antibiotika behandelt werden können, sind bereits Hunderte Menschen an der Krankheit gestorben. Die Infektionsraten mit der rheumatischen Herzkrankheit im Land gehören zu den weltweit höchsten. Und mehr als 70 Prozent der Betroffenen identifizieren sich als Aborigine- und Torres-Strait-Islander-Peoples, also als australische Ureinwohner.

Dass sich Krankheiten hier rasch ausbreiten, befeuert vor allem auch die Wohnungsnot. Auf jede freie Sozialwohnung in Darwin kommen etwa 50 Personen auf der Warteliste, heißt es auf der Webseite der Regierung des Bundesstaats Northern Territory. In den entlegenen Gebieten bewohnen oft Dutzende Menschen ein Haus mit nur zwei oder drei Zimmern, unter Bedingungen, die für Europäer kaum vorstellbar sind.

Die Regierungen von Staat und Bund wollen in den nächsten zehn Jahren bis zu vier Milliarden Dollar in Maßnahmen stecken, um zumindest das Problem der Wohnungsnot in den Regionen einzudämmen. Die unmittelbaren Lebensrealitäten vor Ort ändern sich laut den Helfern vor Ort dadurch allerdings bislang nicht schnell genug.

Geld für Einrichtungen wie Miwatj Health ist knapp

So betonte Rossingh beim Sender ABC, dass sofortige Lösungen vor allem zur Prävention von Krankheiten in den abgelegenen Regionen notwendig seien. Als Beispiel nannte er etwa mobile Wäschereien, zu denen die Gemeinschaften leichten Zugang haben sollten. Er betonte, dass seine Organisation mit immer weniger Geld auskommen müsse. Die Zuschüsse der Regierung reichten ihm zufolge nicht aus, um die Kosten der Inflation abzufangen. "Wir verlieren wahrscheinlich jedes Jahr etwa drei Stellen für Krankenschwestern, um das auszugleichen", sagte Rossingh.

"Seit den 1970er-Jahren sind die Leprafälle dramatisch zurückgegangen, im Northern Territory wurde seit 2000 im Durchschnitt weniger als ein Fall pro Jahr bestätigt", hieß es von einem Sprecher des NT-Gesundheitsministeriums, den der "Guardian" zitierte. Im vergangenen Jahr gab es landesweit acht gemeldete Fälle von Lepra: drei in Queensland, drei in Victoria und zwei in New South Wales. Dieses Jahr wurden bisher neben dem aktuellen Fall noch drei weitere Fälle in New South Wales und einer in Victoria gemeldet.

Noch im vergangenen Jahrhundert wurden leprakranke indigene Kinder gewaltsam von ihren Familien getrennt und in Einrichtungen verbannt, die damals als Leprosenhäuser bekannt und über ganz Australien verteilt waren. Ein solches Leprosarium im Northern Territory, etwa 40 Autominuten von Darwin entfernt, wurde erst Mitte der 1950er-Jahre geschlossen. Der Grund: Ein nicht-indigenes Mädchen war dorthin geschickt worden – was im gesamten Land für einen Aufschrei sorgte.

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