Fünf Tote bei Gewalttat in Norwegen "Er versteht, was er getan hat"
Nach dem tödlichen Angriff in Kongsberg ist die Polizei nicht sicher, ob der mutmaßliche Täter psychisch krank ist oder ob er aus politischen Motiven gehandelt hat. Rechtspsychiater sollen ein Gutachten erstellen.
Nach der Gewalttat mit fünf Toten im norwegischen Kongsberg soll der Tatverdächtige am Freitag einem Haftrichter vorgeführt werden. Außerdem sollen Rechtspsychiater sich ein Bild machen, ob der 37-Jährige zurechnungsfähig ist. Nach Angaben seines Anwalts wurde nach den Verhören am Donnerstag entschieden, dass der psychische Zustand seines Mandanten genauer untersucht werden solle. "Das weist darauf hin, dass nicht alles am richtigen Platz ist", sagte Verteidiger Fredrik Neumann der Zeitung "Verdens Gang" am Donnerstagabend.
Der Sicherheitsdienst der Polizei (PST) war zunächst von einer Terrortat ausgegangen, hatte seine These am Donnerstag aber abgeschwächt. "Die Tat wirkt wie ein Terrorakt, aber wir kennen die Beweggründe des Täters nicht", sagte der Chef des PST. Der Mann habe häufig mit ärztlichen Einrichtungen zu tun gehabt.
Dem in Norwegen lebenden Dänen wird vorgeworfen, am Mittwochabend in der Kleinstadt Kongsberg mehrere Menschen mit Pfeil und Bogen und zwei weiteren Waffen angegriffen zu haben. Fünf Menschen starben, drei wurden verletzt. Bei seiner Flucht vor der Polizei drang der mutmaßliche Täter auch in Wohnungen ein, wo er Menschen tötete. Eine halbe Stunde nach dem ersten Notruf konnte die Polizei den Mann festnehmen. Nach Angaben des norwegischen Rundfunks hat der Däne einer Untersuchungshaft bereits zugestimmt. "Er versteht, was er getan hat", so sein Anwalt.
Die Polizei hatte am Donnerstag bestätigt, der Verdächtige habe bereits im Fokus der Behörden gestanden, weil es Hinweise auf eine Radikalisierung gegeben habe. Hinweise deuteten an, dass er zum Islam konvertiert sei. Der Mann war der Polizei aber auch wegen anderer Delikte bekannt. Einem Bericht der norwegischen Nachrichtenagentur NTB zufolge wurde der Däne bereits zweimal verurteilt. Er soll unter anderem Familienmitgliedern gedroht haben, sie umzubringen.
Jugendfreund machte Polizei auf Täter aufmerksam
Die Staatsanwältin hatte am Donnerstag mitgeteilt, dass der Mann eine umfassende Erklärung abgegeben habe. Er habe sein Tun auch begründet, doch man wolle die Details nicht der Öffentlichkeit mitteilen. Bislang wurde der Mann nicht konkret des Terrors beschuldigt.
Ein alter Jugendfreund des inhaftierten Mannes sagte der Nachrichtenseite "Nettavisen", er habe die Polizei bereits 2017 informiert, dass er seinen Freund für gefährlich halte. Norwegische Medien berichteten über Youtube-Videos, in denen ein Mann, bei dem es sich um den Verdächtigen handeln soll, sich als Muslim bezeichne und eine Handlung ankündige. Ein Sprecher des Sicherheitsdienstes sagte, er kenne das Video nicht und könne auch nicht bestätigen, dass es sich darin um den Inhaftierten handelt. Dies sei aber sehr wahrscheinlich.
"Die Bedrohungslage in Norwegen wird nach wie vor als moderat eingeschätzt", so der Sicherheitsdienst der norwegischen Polizei am Donnerstag. Nun werde untersucht, ob das Geschehene andere zu schweren Gewalttaten inspirieren könne. Konkrete Hinweise darauf lägen aber nicht vor.
Die Tat ereignete sich gegen 18.13 Uhr an mehreren Stellen im Zentrum der Stadt Kongsberg, die rund 80 Kilometer südwestlich von der Hauptstadt Oslo liegt. Mehrere Medien berichteten von einem Supermarkt als einem der Orte des Geschehens. Das Zentrum wurde vorübergehend weiträumig abgeriegelt. Im Fernsehen war ein großes Aufgebot an bewaffneten Sicherheitskräften und Krankenwagen zu sehen. Ein Hubschrauber und ein Bombenentschärfungsteam wurden ebenfalls zum Tatort entsandt.
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Bei der Verhaftung des mutmaßlichen Täters feuerte die Polizei Warnschüsse ab. Er wurde in eine Polizeidienststelle in der Nachbarstadt Drammen gebracht. Laut einem Bericht des Senders TV2 hatte der Mann auch ein Messer und eventuell mehrere andere Waffen bei sich. Die Verletzten seien ins Krankenhaus gebracht worden, darunter auch ein Polizist, der privat unterwegs gewesen war.
Eine Einwohnerin von Kongsberg sagte der Nachrichtenagentur NTB, sie habe gehört, wie der Alarm in einem Supermarkt losgegangen sei. Dabei habe sie sich nicht viel gedacht. Dann jedoch habe sie auch Polizeiautos und Rettungswagen gehört. Die Polizei habe am Abend mit Taschenlampen Garagen und Hinterhöfe im Stadtzentrum abgesucht.
Vorfall weckt Erinnerung an die Vergangenheit
Norwegens scheidende Ministerpräsidentin Erna Solberg zeigte sich erschüttert von der Tat. "Unsere Gedanken gehen zuallererst an die Betroffenen und ihre Angehörigen", sagte Solberg am späten Mittwochabend auf einer kurzfristig einberufenen Pressekonferenz in Oslo. Sie wird am Donnerstag nach ihrer Wahlniederlage vor einem Monat von dem Sozialdemokraten Jonas Gahr Støre an der Regierungsspitze abgelöst. Auswirkungen auf den Regierungswechsel habe die Tat nicht, sagte Solberg.
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"Die Meldungen, die heute Abend aus Kongsberg kommen, sind grauenvoll", sagte Solberg. "Der Täter hat furchtbare Handlungen gegen mehrere Menschen begangen. Das ist eine sehr dramatische Situation, die die Gemeinschaft in Kongsberg hart trifft." Es sei wichtig zu unterstreichen, dass man noch nichts Genaueres zu dem Vorfall wisse.
Steinmeier und Maas bekunden Anteilnahme
Auch Kongsbergs Bürgermeisterin Kari Anne Sand hatte sich fassungslos gezeigt. "Das ist eine Tragödie für alle Betroffenen. Mir fehlen die Worte", sagte sie der norwegischen Zeitung "Verdens Gang". Der Regierungschef im benachbarten Schweden, Stefan Löfven, schrieb auf Twitter, seine Gedanken seien bei den Opfern und ihren Angehörigen. Es handele sich um einen "furchtbaren Angriff".
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier erklärte in einem Kondolenzschreiben, er habe "mit großer Bestürzung und tiefer Trauer" von der "abscheulichen Gewalttat" erfahren. Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) erklärte auf Twitter, er sei "schockiert über das brutale Attentat".
Norwegen war in der Vergangenheit mehrfach das Ziel rechtsextremer Angriffe. Am 22. Juli 2011 tötete der Rechtsextremist Anders Behring Breivik 77 Menschen in Oslo und auf der Insel Utöya. Im August 2019 verübte der Rassist Philip Manshaus einen Anschlag auf eine Moschee am Stadtrand von Oslo. Manshaus hatte zuvor seine asiatischstämmige Stiefschwester getötet. Auch mehrere islamistische Anschläge wurden in der Vergangenheit vereitelt.
- Bericht von TV 2
- Nachrichtenagenturen dpa und afp